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Chemnitz – Raus aus der Blase, rein in den Hass

Lesezeit: 5 Minuten

Am Samstag sind zwei Reporter von uns in Chemnitz bei der Demonstration von mehreren tausend Rechten gewesen. In diesem Artikel spiegeln sie ihre persönlichen Eindrücke von einem Nachmittag voller Hass, aufplatzenden Filterblasen und dem Gefühl der Verrohung unserer Gesellschaft.

Es ist Samstag Nachmittag, genauer 16 Uhr, als wir Chemnitz erreichen. Polizeiwagen und ein Zustrom vieler Leute, entweder Richtung Karl-Marx-Kopf (Pro Chemnitz) oder Richtung Johanniskirche (Herz statt Hetze) bewegt sich auf die Innenstadt zu. Die Demonstration der AfD Sachsen und Pegida soll eine Stunde später, um 17 Uhr auf der Theaterstraße auf der entgegengesetzten Seite des Stadtzentrums starten. Auf dem Weg sehen wir einen Sanitäter, der sich über einen Mann beugt, der von seinem Rollator gestürzt ist und blutend auf der Straße liegt. Er trägt eine Freiwild-Jogginghose.

Wir bewegen uns an den Gegendemonstranten vorbei, von denen einige gerade Grundgesetze aufstellen, zum Wahrzeichen von Chemnitz, dem Karl-Marx-Kopf. Dort steht unserer ersten Einschätzung nach hauptsächlich das rechtsradikale Spektrum. Thor Steinar-Klamotten, Pullover mit Runen und Aufdrucken in Altdeutscher Schrift sowie Tattoos mit nationalsozialistischer Symbolik werden offen getragen. Viele der Männer scheinen sich gegen ihr Haupthaar und für eine Glatze entschieden zu haben. Als die Polizei die Route der Demonstration ändern möchte, um einer Zusammenführung des „Trauermarsches“ von Pegida und der Demonstration von Pro Chemnitz vorzubeugen, beenden die Organisatoren die Veranstaltung und rufen dazu auf, sich als „freie Bürger“ dem Trauermarsch der AfD anzuschließen. Praktisch die gesamte Demonstration folgt diesem Aufruf.

Rechte Journalisten veröffentlichen ihre Realität

Wir folgen den einigen hundert Rechtsradikalen in geringem Abstand, bis sie sich unter die deutlich größere Zahl von Demonstrierenden mischen. Es ist ein mulmiges Gefühl, das uns auf diesem Weg begleitet. Es ist im Vergleich zu einer üblichen Geräuschkulisse einer Stadt verhältnismäßig leise und dennoch beklemmend, gelegentlich vernimmt man „Lügenpresse“- oder „Wir sind das Volk“-Sprechchöre. An der Position angekommen, auf dem die Demonstration starten soll, warten neben Demonstrierenden etliche internationale und nationale Medien. Es werden neben vielen Deutschlandfahnen auch Bildtafeln hochgehalten von dem getöteten Daniel H. sowie anderen Todesopfern, die durch Geflüchtete umgekommen sein sollen.  Das erste Mal überhaupt sehen wir, wie viele Menschen auf der rechten Seite stehen. In diesem Fall sind es 8.000 (Tagesschau nennt diese Zahl Sonntag Abend). Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Der Gedanke es könne bald in weiteren Städten so aussehen löst Panik in uns aus.

Wir sehen unter anderem MoMa-Moderatorin Dunya Hayali, die Journalisten Georg Restle sowie Arndt Ginzel, der vor einigen Tagen von der Polizei zeitweise von dem Berichten über eine PEGIDA-Veranstaltung abgehalten wurde, im Gespräch mit den Demonstrierenden. Aber wir sehen auch etwas Neues: Rechte Berichterstattung durch YouTuber, Blogger und Journalisten in einem Ausmaß, wie wir es bisher noch nicht beobachten konnten. Diese konzentrieren sich eher darauf, über die Journalisten der etablierten Medien und ihre Arbeit zu berichten, unserer Wahrnehmung teilweise auch, um diese abzulenken oder in ihrem Arbeitsablauf durcheinander zu bringen. So läuft ein Berichterstatter durch die Journalisten und stellt tendenziöse Fragen. Ein Kameramann des Chemnitzer Lokalfernsehens antwortet ihm, fordert jedoch nach Ende des Interviews die Nichtausstrahlung. Der AfD-nahe Journalist bezeichnet dies anschließend als „Zensur“ und „Verhinderung einer neutralen Berichterstattung“. Wir erleben, wie einige dieser Blogger von Teilnehmerzahlen, einem Falschverhalten durch Journalisten oder von Gegendemonstranten berichten, die wir so zu dem Zeitpunkt in keiner Weise erkennen können. So behauptet ein Vlogger, visuell eine Karikatur Philip Amthors, in seinem Livestream, eine Journalistin hätte versucht, ihm das Handy aus der Hand zu reißen und auf den Boden zu werfen. Er filmt sie ins Gesicht und verweist auf die 4000 Views auf seinem letzten Video, bedrängt sie immer wieder, bis sie den Schutz der Beamten sucht. Das selbe spielt sich einige Zeit später mit einer anderen Journalistin erneut ab.

Als sich mit einiger Verspätung der Marsch mit rechten Größen wie Björn Höcke und Lutz Bachmann in Bewegung setzt, verhält dieser sich dem Plan nach ruhig und zieht schweigend hinter dem AfD-Wagen, auf dem der Organisationsleiter sitzt, einige hundert Meter weiter. Gesichert wird durch von der Demonstration organisierte Ordner. Diese versuchen uns Journalisten auf Distanz zu halten, werfen uns („im Gegensatz zu den Demonstranten“) nicht ordnungsgemäßes Verhalten vor und kommen uns beunruhigend nah. Wir bitten sie, Körperkontakt zu unterlassen, was dann auch respektiert wird, werden aber auffällig gemustert und unter anderem auch gefragt, ob Interesse an einem Austausch der Facebook-Profile besteht. Als die Demonstration kurz darauf zum Stillstand kommt, um das Aufeinandertreffen des „Trauermarsches“ mit der Gegendemonstration zu verhindern, kommt es zu den ersten aktiv beunruhigenden Situationen.

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Sicherheit fühlt sich anders an

Um kurz vor sieben erleben wir erste Jagdszenen. Eine Gruppe von ca. 20 jungen Männern aus dem rechten Spektrum formiert sich abseits der Polizei und rennt, teils mit Quarzhandschuhen bewaffnet, auf eine Gruppe von Gegendemonstranten zu und tritt auf sie ein. Es hallen Mädchenschreie durch die Seitenstraße, die Polizei greift ca. eine halbe Minute später ein, gefolgt von weiteren „Trauernden“ und Sanitätern. Die Hauptgruppe ist da bereits wieder in der Masse untergetaucht. Die Beamten, aus allen Bundesländern herangerufen, scheinen teils unkoordiniert zu agieren. Immer wieder können Demonstrierende die Polizeikette umgehen, die Situation lässt sich keineswegs mit „unter Kontrolle“ beschreiben. Ein Aspekt, den wir so aus NRW nicht kennen, beschäftigt uns zudem: Die umstehenden Interessierten scheinen tendenziell eher mit der AfD-Demonstration zu sympathisieren. Von außen wird Zustimmung bekundet. Vergleiche mit HOGESA oder vergleichbaren Kundgebungen in Westdeutschland stellen sich nicht, dort waren die Gegendemonstrierenden oft in drückender Überzahl.

Als wir an einem Imbiss vorbeikommen, holen wir uns einen Snack, bei (so heißt er wirklich) Dunya Döner. Hier soll die Demonstration vorbeilaufen. Wir fragen, ob die Besitzer den Laden gleich schließen werden. „Nein, wir haben immer bis 5 Uhr morgens auf“, sagt einer und grinst. Doch auch hier steht Polizei direkt neben dem Laden.

Faszinierendes Paradoxon: Rechte kaufen trotzdem bei einem Dönerladen in der Nähe der Demonstration fleißig orientalische Gerichte und rufen sitzend: „WIDERSTAND! WIDERSTAND!“

Langsam wird es dunkel, einige Gegendemonstrierende bilden eine Blockade, um das Weiterlaufen der Demonstration zu verhindern. Diese hat sich allerdings schon seit einer Stunde nicht weiterbewegt und wird es auch in dieser Form nicht mehr tun. Immer wieder wollen Leute aus der Demonstration die Blockade auflösen und am Ring der Polizei vorbeigelangen. Polizisten sprinten an uns vorbei, Helme werden aufgesetzt.

Ein Mann schreit: „Rotes Pack.“, die Demonstrierenden heizen und hetzen sich gegenseitig an. Die Stimmung wird uns zu gefährlich, zu viel Aggression und Hass herrscht um uns herum. Auch die Polizei scheint sich der Lage bewusst. Wasserwerfer, die in Richtung der Gegendemonstration standen, drehen sich nun in Richtung der Rechten. Immer mehr Wagen rücken an und die Demonstration wird offiziell aus Gründen der Zeitüberschreitung für beendet erklärt, die Teilnehmenden werden gebeten nach Hause zu gehen.

 

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Angst bis zum Ende

Wir gehen über die leere Straße an der Polizei vorbei. Zwischen beiden Demonstrationen gibt es einen abgesperrten Bereich, auf dem sich auch der Tatort des Mordes an Daniel H. befindet. Dort befinden sich einige Dutzend Menschen in einem Kreis um den Tatort.

Als klar wird, dass die Polizei die Demonstration aufgefordert hat, sich aufzulösen, löst sich um 20 Uhr auch die Gegendemonstration langsam auf. Hier hatten nachmittags unter anderem Irie Revoltes, Madsen und Egotronic gespielt, die Stimmung wirkte locker.

Wir gehen an der Polizeibarriere vorbei und fühlen uns langsam sicherer.

Auf dem Weg zum Auto werden wir über Nebenstraßen umgeleitet, die Hauptstraße ist von der Polizei gesperrt. Plötzlich schreit vorne jemand „lauft!“ und Gruppierungen der Gegendemonstranten rennen zurück in Richtung der Polizei. Diese schickt eine Gruppe Polizisten mit, eine Frau ruft: „Ich bin zu alt für den Scheiß!“ Wir verstehen plötzlich, warum auf der Gegendemonstration ausgerufen wurde, in großen Gruppen Chemnitz zu verlassen. „Sie sind in den Hinterhöfen“, sagt ein uns entgegenkommender Polizist. Ganz plötzlich ist die Angst wieder da und wird uns auch den restlichen Abend nicht mehr loslassen. Die persönlich gefühlte Angst ist etwas, was wir in dieser Form noch nie erlebt haben, etwas anderes als ein abstrakter Beitrag im Fernsehen.

Wir sehen erste Krankenwagen, während wir zu unserem Auto zurückgehen. Im Burger King treffen wir noch einmal auf Rechte, die sich neben uns Pommes bestellen.

Später schauen wir uns noch ungläubig Videos der Demo an, sehen, wie groß es wirklich war, sehen die Videos der „Adolf Hitler-Hooligans“. Uns ist schlecht.

Chemnitz, Sachsen, September 2018.