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Bild: Clownvisite e.V.

„Klopf Klopf, dürfen wir rein?“

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„Treffpunkt um 10 Uhr am Eingang der Kinderuniklinik“, sagt die E-Mail. Am Freitag stehe ich tatsächlich um 9 Uhr 55 da, neugierig und, muss ich gestehen, ein klein bisschen nervös vor dem besonderen Erlebnis, welches mich erwartet.

Ungefähr dreißig Minuten später stehe ich vor dem Gang der Onkologie Station. Hier ist es ruhig, man hört noch nicht die regelmäßigen und abrupten Klänge der verschiedenen Maschinen. Neben mir tanzen Lilly und Stift. Sie schlagen sich lustig auf die Schulter, schreien und versuchen durch kleine Sprünge und kindisches Lächeln die Energie und die Aufmerksamkeit ihres Körpers und ihrer Seele ganz zu aktivieren. Lilly und Stift sind weder kranke Kinder, noch verrückte Krankenschwestern. Es sind zwei Clowns, mit denen ich heute verabredet bin, um die Welt des Krankenhauses zu entdecken. Beide bunt angezogen, eine bringt Ordnung in ihre geflochtenen Zöpfe, die auf der Spitze ihres Kopfes aufgestellt sind, während die andere ihre Lieblingswäscheklammer auf ihrem Melonenhut einrichtet. Wir gehen die Treppe runter, und es geht los mit ihrem „Auftritt“ oder ihrer „Visite“, in dem Moment weiß ich ja noch nicht genau, welcher Begriff am besten passen wird.

Ein umwerfendes Treffen im Gang der Etage

„Hallo Schwestern!“, rufen sie fröhlich. Nach einer kleinen Besprechung mit einer Krankenschwester und einem schnellen Namen- und Zimmernummerauswendiglernen, wagen wir uns endlich, mysteriös auf dem Gang zu laufen. Da treffen wir schon einen Ninja Turtle, der sich in unsere Richtung auf seinem roten Wagen bewegt. Seine Sonnenbrille und seine Schutzmaske verhindern zu sehen, was sein Gesichtsausdruck ist. Dies sieht aber für beide Clowns ganz vermutlich bedrohlich aus. Lilly und Stift beginnen sofort zu improvisieren: „Ah Hilfe ein Ninja Turtle! Schnell, wir sollten uns verstecken!“, ruft eine und stellt sich auffällig hinter eine Krankentrage. Die andere zögert nicht eine Sekunde und, während das Ninja-Kind uns langsam, aber unweigerlich nähert, beginnt sie ein umwerfendes Rennen auf einer anderen Mini-Karre durch den Gang der Etage.

Schritt für Schritt lachen

Einige Minuten später wird an einer Zimmertür geklopft. „Dürfen wir rein?“, fragen die Clowns. „Es ist ganz wichtig, erstmal zu fragen“, wurde mir erklärt. „Wenn das Kind oder die Eltern nicht bereit sind, beharren wir nicht. Wir sind die Einzigen hier im Krankenhaus, die rausgeschmissen werden dürfen. Sie sollen Bescheid wissen.“ Im Zimmer sitzen drei Kinder auf ihrem Bett. Die Mütter daneben. Ganz langsam beginnen die Clowns, einen Vertrauensraum aufzubauen. „Ich traue mich nicht. Ich kenne sie nicht.“, sagt Stift und wirft kurze, schüchterne Blicke zum Kind. „Ach komm, du kannst erstmal „Hallo“ sagen.“, antwortet Lilly. Um die Befürchtung von Stift zu entfernen, einigen sich beide Clowns, erstmal den Tisch zu begrüßen und zu beobachten, was er antwortet. Vorerst wird das Kind also nur Publikum der Szene. Stift ruft „Hallo Tisch“ aus und steigt darauf. Dazu fangen beide Clowns an, mit Krankenhaushandschuh zu spielen, und versuchen Schritt für Schritt, das Kind ins Spiel miteinzubeziehen. Das kleine Mädchen scheint aber nicht einverstanden und schüttelt den Kopf auf jeden Vorschlag hin. Es dauert eine Weile bis das verschlossene Gesicht des Kindes sich ein bisschen öffnet. Nach der farbigen Klebeband Kollage eines Gesichts auf dem Schrank und dem Gesang eines Liedes, entspannt sich die Stimmung im Zimmer. Das kleine Mädchen schüttelt immer noch den Kopf. Dies bedeutet aber nicht mehr eine Weigerung zu spielen, sondern sie nimmt jetzt Teil an der lustigen Geschichte, die von den Clowns erzählt wird: „OOOH du bist die Weltmeister-nein-Sagerin! Du kannst das richtig gut!“ Das kleine Mädchen schüttelt noch einmal den Kopf und scheint plötzlich ganz stolz auf ihren neuen Spitznamen. Sie zieht kurz ihren Mundschutz aus und auf ihren Lippen zeichnet sich fast widerwillig ein dünnes Lächeln. „Wir bereiten nichts vor, bevor wir ins Zimmer kommen. Wir improvisieren direkt in der Situation, denn wir sind im Moment.“, erklärt mir später eine der Clown-Schauspielerinnen. Zum Beobachten muss ich mich deswegen in eine kleine Ecke des Zimmers kauern. Sie brauchen Platz, um eine Geschichte mit ihrer Mimik und ihrem Körper entstehen zu lassen. Auch wenn sie in der Etage der Klinik die „bekloppte Clowns“ genannt werden, und auch wenn ihr Job darin besteht, so viel Unsinn wie möglich zu machen, müssen sie Disziplin haben. Die Witze und Spiele, die sie machen, lassen sich nicht ohne Beachtung des Umfelds darstellen. So ist Hygiene und Vorsicht vor den medizinischen Ausrüstungen angebracht. Der Tisch, auf dem Stift getanzt hat, wird auch im Spiel gesäubert und die Hände der zwei Clowns nach jedem Zimmer mit Desinfektionsmittel gereinigt.

Und dann?

Flanieren wir noch bis zur nächsten Tür: „Hallo! Dürfen wir rein?“. Der Ninja-Turtle sitzt auf dem Bett. Er hat seine Sonnenbrille und seine Ninja Turtle Kappe abgelegt. Man spürt die Traurigkeit dieses Kindes, aber er hält den lilafarbenen Luftballon fest in den Händen, den die Clowns für ihn aufgeblasen haben und will ihn nicht mehr loslassen. Aus dem Gang hört man: „He Clowns! Clowns! Hier!“ Die Weltmeister-nein-Sagerin ist uns euphorisch bis zum nächsten Zimmer gefolgt. Sie pustet Seifenblasen, die über den zahlreichen Biep-Maschinen und Schläuchen aufblühen. „Nächste Woche! Wir kommen nächste Woche wieder!“, versprechen die zwei bunten Clowns. Sie haben nur drei Stunden, um die Kinder des ganzen Krankenhauses zu besuchen und müssen jetzt schon weiter.

Richtung Intensivstation

Dort angekommen, flüstert Lilly noch ein Mal durch die halboffene Tür ein sanftes: „Dürfen wir rein?“. Die Säuglinge sind im tiefen Schlaf, aber die Clowns bleiben trotzdem im Zimmer. Sie zaubern ganz leise eine Enten- und Puppen- Geschichte. In dem Augenblick wird mir schließlich bewusst: die Clowns sind nicht nur für die Patienten. Die Geschwister und die Eltern freuen sich auch auf dieses lebendige Ufo, das seit 14 Jahren einmal die Woche auftaucht. Die Geschwister bekommen eine Pause in dem besorgten Alltag, auf dem Gesicht der Eltern sieht man ein leises Wohlwollen, was berührt.