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Swipen für den Kick – Wenn Tinder zur Sucht wird

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Links, Links, Links, Links, Rechts. Das typische Verhalten von Tinder Nutzern. Doch was, wenn das Hin- und Hergewische zur Sucht wird?

Tabea* und ich sitzen in der hintersten Ecke eines Cafés. Sie will nicht, dass irgendwer unser Gespräch mitbekommt. Tabea war süchtig nach Tinder. Eine Sucht, die sie sich lange Zeit nicht eingestehen wollte. So richtig gibt sie es auch erst in unserem Gespräch zu, sagt sie.

Wir sprechen darüber, was eine Sucht ausmacht. Regelmäßiger Konsum und das Bedürfnis nach eben diesem. Tabea nimmt ihre leicht beschlagene Brille ab. „Wenn ich das jetzt so reflektiere, dann war ich wirklich süchtig“, sagt sie.

Tinder war für uns eigentlich nur ein Mythos.“

Bei Tabea hat der erste Kontakt mit Tinder als Scherz angefangen, „nur so als Gag“. Sie war auf einem Geburtstag mit Freunden und alle haben gemeinsam beschlossen, sich auf der Plattform anzumelden. Dann wurde auch direkt gemeinsam auf dem Sofa geswipet.
Tinder war bei uns eigentlich nur ein Mythos“, sagt sie heute. Niemand aus ihrem Umkreis hatte einen Account. Die Leute, die einen hatten, waren „arm dran, weil sie niemanden im ‘Real Life’ kennengelernt haben“. Als sie nach der Feier mit dem Zug nach Hause fuhr, swipet sie alleine weiter und auch noch ein Jahr später nutzt sie die App regelmäßig.

„Man fragt sich, ob man nicht hübsch genug ist.“

Doch Tabea ging es nie darum wirklich jemanden zu treffen. Am Anfang ist Tinder für sie lediglich ein Zeitvertreib. Dennoch fand sie den Gedanken Leute „oberflächlich” hin und her zu wischen unangenehm und beschloss ihren Matches eine Chance zu geben. Nach einem Monat mit aktivem Account verabredete sie sich zum ersten Mal mit einem Mann. Das erste Date auf einer Comedy-Show war laut Tabea die reinste Katastrophe. „Es hat einfach nicht gepasst“. Er lachte an anderen Stellen als sie, hatte eine Freundin und wollte sie dennoch mit nach Hause nehmen. Als sie von dem Date erzählt, muss sie grinsen. „Das war alles so weird“.

In dem Jahr, in dem Tabea Tinder benutzt hat, hatte sie ungefähr sechs Dates.
Für sie viel wichtiger: die Matches. Sie beginnt ihr Selbstbewusstsein von den Push-Benachrichtigungen, die ihr die App schickt, abhängig zu machen. Hatte sie länger kein Match, war sie oft schlecht drauf, traurig. „Man fragt sich schon, ob man nicht hübsch genug ist. Nicht lustig genug. Nicht interessant genug.“, sagt sie und rührt dabei in ihrem Cappuccino. Auch ihre Freundinnen erleben ähnliche Gefühle.

„Mittlerweile gehe ich aktiv auf Menschen zu.“

Am meisten hat sie letztendlich aber ihr eigenes Konsumverhalten abgeschreckt. Sobald Tabea Zeit hatte ihr Handy in die Hand zu nehmen, war sie auf Tinder. „Wenn du dich dann mal dransetzt, machst du locker 200, 300 Leute“, sagt sie und ist sichtlich beschämt. Das paradoxe daran ist: Tabea ist aktives Mitglied bei der Partei Die Linke, geht zum Stammtisch, bespricht Feminismus, Marxistische Theorien und den Kapitalismus. „Um 18 Uhr gehe ich zu den Linken und eine Stunde später bin ich auf Tinder und lebe das aus, wogegen ich eigentlich kämpfe“, sie lacht und wischt sich dabei die Haare aus dem Gesicht. Sie habe die App mehrfach gelöscht und dann aus Langeweile doch wieder installiert. Jetzt sei es aber eine langanhaltende Entscheidung.

Was sich seitdem verändert hat? Sie sagt, sie sei viel selbstbewusster geworden. „Mittlerweile überwinde ich mich und gehe aktiv auf Menschen im echten Leben zu“, das sei sowieso viel schöner. Menschen, welche Tinder weiterhin benutzen verurteilt sie dennoch nicht. Sie kenne viele positive Beispiele: Ihr ehemaliger Mitbewohner, der seine Freundin auf Tinder gefunden hätte, oder ihr Chef, der dort seine Frau kennengelernt habe. Wie lange die beiden vorher geswipet und nach einem Partner gesucht haben, besprechen wir nicht.

(*Name von der Redaktion geändert)