„Ihr liegt auf der Couch, wir sitzen auf der Straße“

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Psychotherapeut: Ein Beruf mit Zukunft. Patienten müssen oft mehrere Monate auf einen Termin warten. Für angehende Psychotherapeuten ist die Situation aber alles andere als rosig, der Ausbildungsweg wird durch viele Hindernisse erschwert. Dagegen protestieren Bonner Psychologiestudenten.

„Psychotherapeut in Ausbeutung“ statt „Psychotherapeut in Ausbildung“ konnte man auf vielen Plakaten am Dies Academicus auf dem Münsterplatz und auch deutschlandweit in anderen Städten lesen. Die Bonner Fachschaft Psychologie hatte hier eine Protestaktion organisiert, um auf schlechte Bedingungen in der Ausbildung zum Psychotherapeuten aufmerksam zu machen.

Ausbildung kostet oft 30.000 Euro

Um als Psychotherapeut arbeiten zu dürfen, muss man nach dem fünfjährigen Psychologiestudium eine Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten erfolgreich abschließen. Dadurch erhält man eine Approbation von der zuständigen Behörde des Bundeslandes. Die Ausbildung dauert drei bis fünf Jahre, je nachdem, ob man sie in Vollzeit oder berufsbegleitend absolviert, und ist in mehrere Teile geteilt: Am Anfang steht ein praktischer Teil in einer Klinik, anschließend folgt eine Zwischenprüfung, danach führt man eigene Therapiegespräche mit Patienten. Daneben belegt man an den Wochenenden theoretische Seminare und sogenannte „Selbsterfahrungen“, bei der in Gruppen mit anderen Auszubildenden verschiedene Therapieformen ausprobiert und angewandt werden. Private Ausbildungsinstitute organisieren die Psychotherapeutenausbildung und veranstalten die Theorie- und Selbsterfahrungsseminare. Dafür müssen angehende Psychotherapeuten je nach Therapieform und Institut zwischen 10.000 und 60.000 Euro zahlen.

Auf der anderen Seite verdienen angehende Psychotherapeuten aber nichts oder nur sehr wenig. Die praktische Tätigkeit in Kliniken wird im ersten Jahr bei über der Hälfte der rund 15.000 Psychotherapeuten in Ausbildung in Deutschland nicht vergütet. Andere bekommen Stundenlöhne von einzelnen Eurobeträgen, obwohl die Eigenverantwortung der sogenannten PiAs in den Kliniken sehr hoch ist und es oft an guter Ausbildungsbetreuung durch erfahrene Psychotherapeuten mangelt. Die Einzeltherapiestunden, die die PiAs nach der Zwischenprüfung halten, werden anteilig vergütet, allerdings nur mit einem Bruchteil dessen, was die Patienten bzw. Krankenkassen dafür bezahlen.

Hohe Verantwortung, die nicht gewürdigt wird

Angehende Psychotherapeuten können die Kosten für ihre Ausbildung und ihren Lebensunterhalt häufig nur durch mehrere Nebenjobs oder Kredite finanzieren, obwohl sie ja 40 Stunden pro Woche praktisch in Kliniken tätig sind. Dies kritisieren die protestierenden Bonner Psychologiestudenten. „Es geht um eine angemessene Bezahlung der praktischen Tätigkeit im ersten Jahr“, erklärt Ronja Meingast, Psychologiestudentin und Mitorganisatorin der Aktion. Die Studentinnen und Studenten hatten auf dem Münsterplatz ein Hemd aufgehängt, mit dem sie darauf aufmerksam machen wollten, dass angehende Psychotherapeuten „ihr letztes Hemd“ für die Ausbildung geben müssen.
Die Psychologiestudentin Sarah Bonk erklärt, warum sie auf den Münsterplatz gekommen ist, obwohl sie selbst später nicht als Psychotherapeutin arbeiten will: „Ich bin hier, weil ich mich solidarisch zeigen möchte mit allen Psychologiestudenten und Psychotherapeuten in Ausbildung, die ausgebeutet werden in ihrer Ausbildung. Ich möchte, dass dieser Zustand verändert wird, dass es fair ist für alle.“

Uneinheitliche Zugangsvoraussetzungen und fehlende Arbeitsverträge

Ein weiteres Problem sehen die protestierenden Psychologiestudenten bei der Zulassung zur Ausbildung: Laut dem aktuellen Psychotherapeutengesetz, das 1999 in Kraft getreten ist, braucht es ein Diplom, um die Ausbildung zum Psychotherapeuten zu beginnen. Mit der Bologna-Reform wurde aber auch das Psychologiestudium auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt. Seitdem sind im Gesetz die Zugangsvoraussetzungen nicht neu geregelt worden. Es ist also unklar, welcher Abschluss offiziell qualifizierend ist. Für jeden Auszubildenden wird momentan im Einzelfall entschieden, ob er zur Ausbildung zum Psychotherapeuten zugelassen wird oder nicht. Deshalb fordern die Protestierenden, dass der Master als einheitliche Zugangsvoraussetzung zur Ausbildung gesetzlich festgelegt wird.
„Zusätzlich kommt dazu, dass Psychotherapeuten in Ausbildung oft keine Arbeitsverträge haben. Das heißt, der rechtliche Status ist ungeklärt“, erläutert Julia Weber, Mitglied der Fachschaft Psychologie. Dadurch haben PiAs beispielsweise kein Streikrecht.

Verständnis der Bevölkerung

Mit der Protestaktion sollen die Menschen in der Umgebung auf diese Missstände aufmerksam gemacht werden. „Viele Menschen, die nichts mit Psychologie zu tun haben, kennen diese Zustände nicht und da wollen wir aufklären“, erklärt Masterstudentin Julia Weber. Von den Menschen, mit denen sie auf dem Münsterplatz ins Gespräch kamen, erfuhren sie viel Verständnis für ihr Anliegen. Gleichzeitig soll durch Kundgebungen wie diese der Druck auf politische Entscheidungsträger erhöht werden. Die Teilnehmer der Demonstration auf dem Münsterplatz und deutschlandweit fordern eine Ausbildungsreform, mit der rechtliche Grundlagen für eine angemessene Bezahlung, für Arbeitsverträge und einheitliche Zugangsvoraussetzungen zur Psychotherapeutenausbildung festgelegt werden, damit „PiA“ bald nicht mehr auch für „Psychotherapeut in Ausbeutung“, sondern nur noch für „Psychotherapeut in Ausbildung“ steht.