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Serdar Somuncu: Nach Irritation folgt Erkenntnis

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Serdar Somuncu sagt Dinge auf der Bühne, bei denen Chris Tall-Fans das debile „Darf-er-das“ im Rachen stecken bleibt. Am Donnerstag besuchte BonnFM-Reporter Patrick Wira die erste der drei Kölner Vorstellungen auf der Abschiedstour des selbsternannten „Hassias“.

Prolog: Ich sitze bei Kaffee und Kuchen bei meiner Oma in einem kleinen Dorf im Umkreis von Köln. Die Nacht davor war kurz, auf einer Waldorf-WG-Party mit dem Motto Tiefseetaucher wurde sich angeregt über Sojaprodukte, Marihuana und Waldfriedhöfe unterhalten. Was für ein Kontrastprogramm zum Alltag bildet da der Kabarettist Serdar Somuncu? Meine Familie würde den Mann für ungehobelt und verletzend halten, Teile meiner Freunde für ekelhaft und einschüchternd.

Serdar Somuncu ist Moderator, Kabarettist, Musiker und Talkshowgast. Somuncu, heute deutscher Staatsbürger, hat eine breit gefächerte Vita vorzuweisen. Lesungen aus „Mein Kampf“, in denen er über 1400 Mal durch bloßes Vorlesen die wirren Gedanken Adolf Hitlers entblößte oder meine persönliche Lieblingsrolle als pöbelnder Missionar des „Hassismus“. Ich kann mich noch gut an den Moment vor einigen Jahren erinnern, als ich eine dreiviertel Stunde seines Programms auf Youtube entdeckte. Ich war begeistert von so viel Eloquenz, ohne den Kontakt zu unteren Gesellschaftsschichten zu verlieren. Er wanderte spielerisch auf dem Grat zwischen asozialer Wutbürgerschaft und feuilletonaffiner Gesellschaftskritik.

Am 7.5.16 spielt Serdar Somuncu das erste Mal im E-Werk, die folgenden zwei Nächte erneut. Alles ausverkauft. 31 Euro lässt sich die Zielgruppe (Akademiker und Singles mit & ohne Niveau) das kosten. Der selbsternannte Hassias ist bekannt. Auftritte in Talkshows, der Heute-Show, dem Neo Magazin Royale, Circus Halligalli und selbst bei einer eigenen auf n-TV laufenden Show „So!Muncu“ verhelfen ihm zu größerer Bekanntschaft.

Somuncu, das Niveau-Chamäleon

Der 47-Jährige balanciert in seiner Rolle als Hassias an der sprachlichen Grenze zur maßlosen Brutalität. Witze über Flüchtlinge, über Türken, aber auch über das Reker-Attentat gehören zum Programm. „Erstattet doch Anzeige, ein Abend ohne Anzeige ist kein guter Abend!“ ruft er in die Menge. Vulgär-eloquent, ein mehrminütiger Monolog über die Konsistenz seines Stuhlgangs incl. Unverdauter Leinsamen – Religionskritik, Fotzen-Kabarett. All das sprudelt aus Somuncu hervor.
Hass treibt ihn an und die Schizophrenie, das Publikum zu hassen und es doch bespielen zu wollen. Er redet sich in Rage. Wie ein schwitzendes Rumpelstilzchen beleidigt er das Publikum, spontan, je nachdem wer gerade in der ersten Reihe sitzt. Er beleidigt alle, selbst seine Kollegin Carolin Kebekus, den Halb-Tunesier Bushido sowie die Refugees-Welcome-Bewegung. Leute die in Köln wohnen, sind übrigens „Schwulis aus Jülich“. Ja, besonders Köln kriegt viel ab an dem Abend. Somuncu behauptet: „Ich möchte in die Hölle, die ist viel spannender“ und genauso gibt er sich.
Neben mir gluckst eine überschminkte Mittdreißigerin: „Das ist so ein Arsch!“
Nein, das ist eine Rolle und er formuliert, was andere sich nicht auszusprechen trauen. Ich traue mich übrigens nicht Mitte 30 zu sein!

Aber wer bei seinem Programm eine bloße Aneinanderreihung von Beleidigungen erwartet, täuscht sich ähnlich, wie Serdar Somuncu das Publikum: Er gibt vor, eine Pause zu machen,um die direkt Aufstehenden kalt zu erwischen, dann Shakespeare vorzutragen, den oberen Rang als Königsloge darzustellen und aufzuzeigen, was er kulturell wirklich vermag. Der fehlende Applaus zeigt, dass das Publikum Genitalwitze lustiger findet.

Nach der Pause gibt’s Politik!

Somuncu wird im zweiten Teil politischer: Erdogan sei das Eisschirmchen in der Scheiße „Türkei“, Trump ein Arschloch, Die AfD nehme den Menschen die Selbstbestimmtheit und nutzt dabei das rudimentärste Mittel: Die Angst! Es wird sich klar gegen Faschismus ausgesprochen. Selbstverständliche Aussagen, die den Zuschauern aber eines klar machen: Es gibt gewisse Standpunkte, die nicht zu verhandeln sind.

Weg von der Politik, hin zur maroden Gesellschaft: Somuncu setzt zu einem Monolog über die Freiheit an. Religion drückt Prinzipien auf. Der ehemalige Türke Somuncu beschreibt das andauernde Fremdsein als Migrant erster, zweiter oder dritter Generation so zutreffend, die Zustimmung im kulturell bunt gemischten Publikum ist deutlich zu spüren. Er fragt sich, wie wir dem ewigen Einklang der gesellschaftlichen Mustern entkommen können.
Generell ist der zweite Teil nachdenklicher. Darauf weisen tiefgründige Momente hin, die Ernsthaftigkeit seiner Aussagen. Es gibt weniger Pointen, weniger Lacher.
Nachdenklichkeit nimmt den Wahnsinn in Kauf, sagt er auf einmal. Wie wahr.

Serdar Somuncu will sein 1200-köpfiges Publikum irritieren, das ist ein Leitmotiv. Er inszeniert permanent, robbt auf der Bühne herum und beendet den Abend mit einem Stevie Wonder-Jazzstück am Klavier. Er will irre machen, er will alle irre machen. Und das schafft er irre gut.