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Bild: Patrick Wira/bonnFM

Was müssen wir 2017 ändern, Herr Sonneborn?

Lesezeit: 5 Minuten

Martin Sonneborn ist Vorsitzender und EU-Parlamentsabgeordneter der Partei „die PARTEI“. bonnFM hat den Satiriker zum großen Interview getroffen.

Sonneborn ist einer der bekanntesten Satiriker Deutschlands. Er hat für das Satireressort des Spiegels „SPAM“ sowie die “heute-show” gearbeitet und ist ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“. Im Rahmen seines Programms „Krawall und Satire“ trat er in der Bonner Oper auf und schilderte dort den Aufstieg der PARTEI sowie seine Arbeit im Europaparlament.

„Wir werden den Bologna-Quatsch rückgängig machen“

bonnFM: Herr Sonneborn, wie lebt es sich auf Kosten des Steuerzahlers?

Martin Sonneborn: Vielen Dank für diese Frage, ich hätte das sonst noch selbst angesprochen: Ausgezeichnet! Ich bin gerade hier in Dings (Anm. d. Red.: gemeint ist Bonn) in der Oper, habe einen Teller mit ausgesuchten Früchten und Gemüse der Region vor mir. Ich lebe wie die Made im Speck.

bonnFM: Können Sie ihr studentisches Leben skizzieren? Wie wird man zu der Figur „Martin Sonneborn“?

Sonneborn: Jedenfalls nicht durch ein Bachelorstudium. Wir werden den Bologna-Quatsch sofort wieder rückgängig machen, wenn wir an der Macht sind. Ich habe meinen Magister in 15 Semestern gemacht, staatlich alimentiert mit einen Auslandssemester in Wien, ich hatte keinen zeitlichen Druck und konnte viel in einer Hängematte in Münster liegen, mir überlegen, was ich auf keinen Fall beruflich machen will und mir Gedanken über Politik machen – das sind die zwei Sachen, die Studenten heute nicht mehr tun können.

bonnFM: Apropos Beruf: Wie viele Stunden arbeiten Sie am Tag, Herr Sonneborn?

Sonneborn: Mein Kollege Elmar Brocken (Anm. der. Red.: gemeint ist Elmar Brok), einflussreichster CDU-Mann im Europaparlament und 172 kg konzentrierte CDU hat mich kürzlich als „faul, faul, faul, frech und faul“ bezeichnet. Das stimmt so nicht. Ich pflege dieses Image zwar, aber ich arbeite schon von morgens bis abends.

„Die Demokratie hat ihre große Zeit in den letzten 70 Jahren gehabt“

bonnFM: Herr Sonneborn, war 2016 wirklich so schlimm?

Sonneborn: Ich glaube schon, dass 2016 ein schlimmes Jahr war. Wir wissen zwar schon länger, dass das Zeitalter der grotesken Politclowns angebrochen ist – Trump hat uns nicht überrascht, ich persönlich weiß es schon seit 2009, seitdem Sigmar Gabriel zum SPD-Vorsitzenden wurde. Aber Europa hat immer größere Schwierigkeiten, in Österreich wäre fast ein Mann, der noch dämlicheren Populismus als wir betreibt, zum Staatspräsidenten gewählt worden, die Engländer sind ausversehen aus der EU ausgetreten, die Ungarn drehen durch, die Italiener haben wirtschaftliche Probleme – wir könnten das unendlich weiterführen.
Ich finde es etwas belastend, in dieser Welt leben zu müssen, die immer komplexer, dämlicher und brutaler wird – und Satire ist eine Art sich damit auseinander zu setzen.

 „Man kann die PARTEI als intelligente Protestwahlmöglichkeit sehen“

Bild: Patrick Wira/bonnFM
Bild: Patrick Wira/bonnFM

bonnFM: Ist die PARTEI eine Form von Politisierung oder Entpolitisierung und Aufgeben politischer Mitgestaltung?

Sonneborn: Wir sehen die Partei als Politisierungsmöglichkeit für junge Leute, wir haben im Monat mindestens 300 Eintritte von Schülern und Studenten – neulich musste ich sehr lachen, als ich einen Spiegelartikel gelesen habe, weil zwei unter-30Jährige in die SPD eingetreten sind. Ich glaube schon, dass junge Leute sich über Komik und Satire politisieren können. Leute aus etablierteren Parteien schlackern immer mit den Ohren, wenn sie hören, was wir für einen Zugang zu bedeutenden jungen Wählerschichten haben. Bei Studentenwahlen oder U18-Wahlen zum Beispiel stehen wir immer bei fünf oder sechs Prozent.

bonnFM: Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, sich ordentlich zu engagieren: NGOs, Politische Organisationen oder direkt „die PARTEI “?

Sonneborn: Ich sehe die PARTEI nicht als Partei, in der man sein Leben verbringt. Es gibt Leute, die kommen zu uns, die gehen anschließend in die FDP, in die SPD, in NGOs. Wenn man Humor mag, geht man in die PARTEI und sonst geht man eben für ein NGO nach Afrika.
Mittlerweile gelten wir übrigens als so etabliert, dass eine Mitarbeit in der PARTEI gerne im Lebenslauf gesehen wird.

„Es gibt keine wichtigen Entscheidungen im EU-Parlament“

bonnFM: Wie bewerten Sie Europa?

Sonneborn: Ich sage Ja zu Europa, Nein zu Europa. Das Problem Europas kann man gut an einem Beispiel erklären: Damals haben europäische Nationalsozialisten eine Vision Europas für nach dem Krieg entworfen.
Wir sind gar nicht so weit entfernt von deren Vorstellungen: Deutsche Vormachtstellung, Handlungsverhältnisse, Zentralbank – Europa ist eine wirtschaftliche Konstruktion. Solange das Europaparlament konservativ besetzt ist und eine wirtschaftsorientierte und finanzmarktfreundliche Politik fährt. Und solange es die sozialen Verwerfungen gibt und die Auseinandersetzung Nord-Süd, solange wird dieses Konstrukt keine Chance haben, gemocht zu werden. Da muss ganz schnell was passieren, sonst fliegt uns das irgendwann um die Ohren.

bonnFM: Was werden Sie 2017 machen? Freuen Sie sich auf das Wahlkampfjahr?

Sonneborn: Eigentlich nicht, ich habe viele Termine. Zum Glück sind unsere Wahlkämpfe nicht so arbeitsintensiv. Wir beginnen zwei bis drei Wochen vor der Wahl, denn wir betreiben moderne Turbopolitik (was andere Parteien nicht verstehen) – Aktionen und Plakate, die im Internet herumgehen. Ich freue mich zudem sehr, dass Serdar Somuncu unser Kanzlerkandidat werden wird und zusammen können wir da noch einiges auf die Beine stellen.

bonnFM: Was bringt einen Martin Sonneborn aus der Fassung?

Sonneborn: Dummheit. Fernsehprogramm. Wenn ich den Fernseher anmache und ich sehe Frank Plasberg, ist es eine derart penetrante Dämlichkeit, die zur Schau gestellt wird.
Oder dass die Qualität der Qualitätszeitungen nachlässt. Zeitungen sind ein wichtiger Kulturträger und wenn deren Wert geringer wird und wenn nur der ganze Internetzirkus, diese Blasen in denen wir uns bewegen, bleibt – das bringt mich aus der Fassung.
Dieser Wettkampf der Medien nach dem Anschlag in Berlin um die heißeste Nachricht, anstatt einfach mal abzuwarten und sich als Qualitätsmedium auf das zu beschränken, was wir wissen.

Bild: Patrick Wira/bonnFM
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bonnFM: Gibt es eigentlich Momente, in denen Satire nicht funktioniert, nicht erlaubt oder sogar unpassend ist?

Sonneborn: Es gibt wenig Situation, Satire reagiert ja auf Dinge. Die “Titanic”-Redaktion soll die Grenzen der Satire monatlich neu ausloten – man kann nicht sagen, dass es ein Thema gibt, worüber man keine Witze machen kann. Natürlich gibt es keine Notwendigkeit einer satirischen Reaktion auf den Breitscheidplatz. Es sind viel mehr die offiziellen Reaktionen von Politik und Medien, diese schematischen und floskelhaften Herangehensweisen – wenn der Innenminister den Kriegszustand ausruft, wenn mein EU-Parlamentskollege Marcus Pretzell schreibt: „Es sind Merkels Tote“ – Wenn es Merkels Tote sind, ist es Pretzells LKW.

bonnFM: Was müssen wir 2017 ändern?

Sonneborn: Alles. Ich glaube, dass dieses kapitalistische Irrsinnssystem einen Grad erreicht hat, an dem wir uns entscheiden müssen. Entweder wir teilen den ganzen Quatsch, den wir haben und wir rücken die Weltordnung, wie es sie jetzt gibt, zurecht, machen diese Welt gerechter und fairer.
Oder es werden unangenehme Dinge passieren, wir sehen dass ganz dicht unter der Oberfläche unserer hochentwickelten Kultur animalische Dinge zum Vorschein kommen – wäre nicht gerne dabei, wenn das ganze eskaliert, aber es gibt nicht viele Menschen, die ihren Anspruch zurückschrauben wollen, es gibt nicht viele Politiker, die bereit sind, die sozialen Missstände zu erkennen, anzugehen und zu verbessern.
Wir müssen konstatieren, dass wir hier ein sehr euro- und egozentrisches Weltbild haben. Wenn wir diese Welt nach ökonomischen Prinzipien gestalten und wenn wir unseren Reichtum verteidigen wollen gegenüber dem „Neger“ in Afrika und den vielen anderen Gegenden, auf deren Kosten Europa und Amerika leben, dann müssen wir damit leben, dass so etwas wie Terroranschläge passieren.
Wir müssen einfach eine andere Ökonomisierung haben.

 

Martin Sonneborn antwortet im Interview erstaunlich ernst und unironisch, ohne Pointen auszulassen. Satire ist eine hochkomplexe Möglichkeit der Politisierung und Sonneborn personifiziert diese wie kein anderer in Deutschland. Der Wahlkampf der PARTEI zur Bundestagswahl wird auch in Bonn erwartet.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. vektorweg

    Wenn die Welt zum Zirkus wird, braucht man kaum noch selbst Satire schreiben …

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