Give the song what it deserves

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Tame Impala veröffentlichten am 17. Juli ihr drittes Album „Currents“ via Caroline/Universal. Darauf haben sie mit 13 neuen Songs eine kleine Zeitreise gemacht – von den 60er/70er Jahren in die 80er. Tanzbare Beats treffen auf psychedelischen Electro-Pop und bilden den neuen Sound des Quintetts um Frontmann Kevin Parker. Die Australier werden damit sicher einige neue Wegbegleiter begrüßen dürfen, manch bislang treuer Gefährte könnte mit dieser stärker gen Mainstream und Pop strebenden Platte aber auch abspringen.

Als neue Speerspitze des Psychedelic-Rocks wurden die Australier um Mastermind Kevin Parker seit zwei Alben gefeiert. Sowohl „InnerSpeaker“ aus dem Jahr 2010 wie auch „Lonerism“ von 2012 gingen nicht nur in ihrem Heimatland durch die Decke. Auch der Rest der Welt feierte den modernen, in die Gegenwart getragenen Vintage-Sound vergangener Sternstunden der Rockgeschichte à la Jimi Hendrix, Cream, Led Zepplin & Co. Und nun? Der schwebende, transzendentale Psychedelic-Anteil, der oft einem Ausflug in die Welt der bewusstseinserweiternden Substanzen glich, ist geblieben, aber wo ist der Rock? Wo sind die Gitarren? Bereits die vier im Vorfeld veröffentlichten Singles „Eventually“, „Disciplines“, „Let It Happen“ und „Cause I’m A Man“ ließen erahnen, dass nach zwei konsequent aufeinander aufbauenden Alben nun das nächste Kapitel folgt. Und das macht richtig Spaß!

Synthesizer über Synthesizer

Auf „Currents“ dominieren vor allem flächige und verspielte Synthesizer sowie prägnante Bässe. Dadurch, dass die Gitarren in den Hintergrund treten oder jedenfalls so verfremdet werden, dass sie oft nicht mehr als solche erkennbar sind, tun sich neue Räume auf, in denen Parkers Stimme sich vielseitiger entfalten kann. Durch den großen Anteil der elektronischen Klänge und der breit gelegten Flächen driftet alles ein wenig mehr in Richtung Indietronic/Disco-Sound. Die Stücke sind zum Teil grooviger geworden, tanzbarer, und bleiben gleichzeitig meist viel zu schwammig, verworren und unberechenbar, um sie auf klassischen Dancefloors zu spielen. Vor allem die schön trocken gehaltenen Drums und der dynamische Bass sorgen dafür, dass der Gesamtklang trotzdem sehr organisch bleibt.

Der Opener „Let It Happen“ ist ein absolutes Meisterwerk und gibt gleich den neuen Kurs vor. Über einen stampfenden Schlagzeug Beat legt sich im Hintergrund eine flächige Soundwand, während sich im Vordergrund ein Synthie auf einem Ton bleibend im Staccato-Modus austobt. Dann setzt Parkers ruhiger, klarer Gesang im Refrain ein. Auf dem Weg zur Strophe verschwindet dann alles in einem riesigen Sog, der alle Bässe und Höhen mit sich zieht und alles auf einem weichen Bett aus Mitten schweben lässt. Highlight des ersten Songs ist, wenn das Stück sich aufzuhängen scheint, zu skippen beginnt und man kurzzeitig denkt, die Platte sei dahin. Dann aber ergibt sich aus dem Skip ein fortlaufender Loop, der fortan den Rhythmus bildet, über den sich dann effektvolle Midi-Streicher legen. Dieser Moment zeigt einmal mehr die Originalität und das kleine Genie, das in Parker steckt und vermittelt zur gleichen Zeit seine eigene Idee von Musik: „As I was working on the song, I had this idea for this skipping bit. I loved the idea that someone would be listening to the song on their car radio and they’d think that the radio was broken or go, ‘Something’s not right.’ I feel that’s a big part of what I do“, erklärt er dem Rolling Stone. Weiter führt er aus, dass es ihm nicht darum gehe das Genre Psychedelic zu bedienen, sondern Musik zu machen, die die Menschen bewegt, sie ein wenig verwirrt und nicht einfach nur so da stehen lässt.

„Nangs“ ist ein kurzes (fast) instrumentales Interlude, das einem zu Beginn um die Ohren wobbelt und erneut mit Sounds der analogen Tonträgerwiedergabe spielt, wenn der Klang des Zurückdrehens einer Schallplatte mit dem Beat bricht. Leichtfüßiger bewegt sich „The Moment“, das in einem treibenden Beat dahin trabt. Doch der stellenweise fröhliche Schein trügt. Wie auch bei manch anderem Stück, mischt sich ein melancholischer Beigeschmack hinzu, der sich auch im Text über die Ungewissheit der Zukunft widerspiegelt. „Yes I’m Changing“ ist eine bittersüße Dreampop-Ballade über Veränderungen im Leben und kann parallel als Resümee zu Tame Impalas Verwandlung gelesen werden: „Yes I’m changing, can’t stop it now / And even if I wanted I wouldn’t know how /Another version of myself I think I found, at last“. Mit „Eventually“, das bereits als Single erschienen ist, folgt dann der erste auch in seiner Länge Hit-kompatible Track. Hier begrüßen einen zu Beginn kurz rockige (!) Akzente, dann kippt die Stimmung wie so oft in diesem Werk und Parker gleitet ins Schwerelose ab, lediglich durch den Beat und den Bass ein wenig geerdet. Die Hook strahlt dann in vollen Zügen, wenn die aufgestaute Ruhe vom lang gezogenen „Eventually“ funkelnd aufgebrochen wird.

Let’s get funky

Eine Überraschung erwartet einen nach dem nächsten instrumentalen Intermezzo „Gossip“. „The Less I Know The Better“ ist richtig funky. Die Füße beginnen zu wippen, der Kopf nickt zum fuzzigen Bass und man verspürt Lust zum Tanzen. Der Refrain gerät dann ein wenig kitschig, doch mit einem näheren Blick auf die im Stück erzählte Geschichte fügt sich auch dies in einen stimmigen Kontext ein: „Oh my love, can’t you see yourself by my side / No surprise when you’re on his shoulder like every night“. „Past Life“ fährt im Intro dann so richtig die 80er-Sounds auf. Parker wechselt zwischen gewohnt hoher Kopfstimme und einer etwas befremdlich heruntergepitchten Bassstimme, das sind dann aber auch die einzigen markanten Momente des Songs. Dafür sticht „Disciplines“ umso mehr heraus, das mit seinem treibenden Beat schön geradeaus marschiert und kurz und knackig auf den Punkt kommt. „Cause I’m A Man“ erschien ebenfalls schon im Voraus als Single und beschäftigt sich mit dem schwachen Willen des Mannes, der in dessen Natur zu liegen scheint: „Cause I’m a man, woman / Don’t always think before I do / Cause I’m a man, woman / That’s the only answer I’ve got for you Cause I’m a man, woman / Not often proud of what I choose / I’m a human, woman / A greater force I answer to“. Die zuckersüß gesungenen Entschuldigungen und Erklärungsversuche der angedeuteten Fehltritte perlen langsam dahin und enden nach guten vier Minuten im dezenten Stöhnen einer Frau. Ob sich die Damen dieser Welt mit einer solchen Begründung zufrieden geben?

„Reality In Motion“ krempelt dann kurz vor Schluss noch einmal die Ärmel hoch und geht mit ein wenig mehr Druck zu Werke, bevor das laid-back groovende, mit R’n’B Passagen durchzogene „Love/Paranoia“ und das etwas düsterer gestaltete „New Person, Same Old Mistakes“ das Album ausklingen lassen.

Feinfühlige Melancholie

Insgesamt ist Tame Impala mit „Currents“ eine äußerst erfrischendes Werk mit jeder Menge Überraschungen gelungen. Vor allem die neuen rhythmischen Elemente, die vielseitige Dynamik und die akribisch ausgetüftelten und perfekt aufeinander abgestimmten Sounds unterstreichen einmal mehr die Klasse Kevin Parkers. Manche Stücke verlieren sich ein wenig zu sehr in ihren endlosen Weiten, es fehlt ab und an der besondere Moment. Doch diese wenigen schwächeren Stellen werden dann von umso stärken Augenblicken wie in „Eventually“, „The Less I Know The Better“ oder „Disciplines“ aufgefangen. Tame Impala setzen auf das Album als Gesamtwerk und gleichzeitig funktionieren die meisten Stücke auch, wenn sie aus dem Kontext gelöst werden. Was sich im ersten Moment nicht ganz fassen lässt und erst am Ende durchschimmert, ist die subtile, flächendeckende Melancholie, die sich durch die Texte zieht, sich musikalisch jedoch nur in Ansätzen und wenn dann meist im Gesang abzeichnet. Insgesamt hat Kevin Parker versucht, seinen Songs gerecht zu werden – „One of my mottos for ‘Currents’ was “give the song what it deserves“ – und das ist ihm definitiv gelungen. Ob man den neuen Weg mitgeht, bleibt jedem selbst überlassen – reinhören könnt ihr hier aber schon mal!