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Bild: Niklas Schröder / bonnFM

Ein Wochenende in der Heimat

Lesezeit: 6 Minuten

We call it home. Das war das Motto der 23. Nature One, die am ersten Augustwochenende 56.000 Menschen auf die Raketenabschussbasis Pydna in Kastellaun lockte. bonnFM war für Euch bei einem der größten Festivals für elektronische Tanzmusik und berichtet über die Erlebnisse und warum es so heimisch war.

Die Party vor der Party, das ist Camping Village

Laut dröhnen die Bässe in meinen Ohren. Tag ein Tag aus. Autos in allen Farben stehen aufgereiht nebeneinander. Man stolpert, klettert und balanciert durch den endlosscheinenden Wald aus Zelten, Pavillons und ihren in den Boden eingeharkten Stricken. Wir sind umzingelt von Musikboxen aller Art. Laut und wild drücken sie alle erdenklichen elektronischen Musikrichtungen in die Luft. Es ist ein wildes Durcheinander von dumpfen und schrillen Bässen. Unser Camp liegt direkt an einem der Hauptwege, die zum Festivalgelände führen. Das Duschzelt und mehrere Hauptverkaufszelte sind nicht weit entfernt. 50 Meter aufwärts gabelt sich der Weg direkt bei den Plumpsklos und Waschbecken. Links geht es raus zu den Feldern mit ihren zahllosen Zelten und rechts geht es geradewegs zum nicht weit entfernten Festivalgelände. Ein Aussteller hat an der Gabelung seine Bühne aufgebaut, die neben den ständig wechselnden DJs auch ein gutes Klangerlebnis bietet, welches die Tage über nie verstummen wird. Was hier wie ein verlockender Bericht von einem Reiseanbieterportal klingt, lässt sich tatsächlich so schreiben. Wir haben dieses Jahr mit der Lage des Zeltplatzes Glück gehabt. Keine kilometerlangen Wanderungen zum Duschzelt oder Festivalgelände. Dieses Jahr gab es das erste Mal für die Camper Einzelduschkabinen, ein Fortschritt, der nicht nötig war. Vielmehr hätte man meiner Empfehlung nach in ein zweites Duschzelt investieren sollen, damit die Warteschlangen schrumpfen.

Die gute Lage zeichnete sich aber auch durch die vielen Menschen aus, die den Weg entlang schritten und mit ihren Kostümen und Stimmungen eine Vielzahl an Kuriositäten aufboten. So wurde der Klappstuhl ausgeklappt, der Grill angemacht und mit einen Bier in der Hand beobachtet und geschmunzelt. Unsere Nachbarn auf der anderen Seite des Weges waren am Samstag auf die Idee gekommen, den grünen Streifen mit leeren umgestülpten und in den Boden eingelassenen Bierflaschen zuzupflastern und so eine Sperre zu bauen, die nur einen kleinen Durchgang zuließ. Dort wurde ein Tor mit einer Limbo Stange fachmännisch konstruiert. Zwei eifrige Moderatoren standen dann dort mit ihren Mikrofonen und kommentieren alle Besucher, die durch die Absperrung mussten. Es war zum fremd schämen komisch und hatte durchaus seinen Unterhaltungswert. Aber so ist die Nature One: Die Betreiber bieten den Besuchern auf dem Camp-Gelände viele Freiheiten, ohne dass diese stark in negative Richtungen ausschlagen würden. Ich habe das ganze Wochenende in ausschließlich friedvolle Gesichter geblickt. Und so wird das Gefühl von Heimat dann doch stark in den Menschen, weil alles so ist wie immer und man sich einfach fallen lassen kann. Die Nature One hat einfach etwas magisches und bietet mit ihren 22 Jahren Erfahrung einiges an Gelassenheit. So darf jeder Besucher auf das Camp Gelände alles mitnehmen, was halt in einen Großraumwagen passt. Mit anderen Worten: Das heimliche Festival ist das Camping Village. So mancher schafft es von hier gar nicht mehr zum eigentlichen Hauptgelände, da die Party vor einen der vielen Privat-Bühnen einfach zu berauschend war.

An Schlaf ist nicht zu denken!

Zum Wetter: Bei der Anreise am Donnerstag empfing die Besucher ein starker Wind, der das Zeltaufbauen zur Herausforderung machte.  Dieser sollte sich aber im Gegensatz zu vielen Befürchtungen verflüchtigen. Es gab das Wochenende alles in allem angenehm sonniges Wetter.
Zur Lage: Das Camp und das Festivalgelände sind mit Wald und Feldern sehr idyllisch und ruhig gelegen.
Zum Schlafkonsum: Wenn man auf der Nature One ausschlafen will, kann man sich diese Idee aus dem Kopf schlagen. In meinen Augen ist es nicht möglich, wirklich bei dem nie endenden Brummern und Wummern der umliegenden Musikboxen schlafen zu können.

Nature One, Es geht los!

Das am Donnerstagabend stattfindende Mixery Opening, welches von unseren Zelten nur ein Sprung am Apfelbaum vorbei über den Graben war, besuchten wir nicht. Es gilt als die erste große Einstimmungsparty für die Nature One. Es soll sich nicht lohnen, heißt es von allen Besuchern mit denen wir gesprochen haben. Somit besuchten wir den Aussteller an der Gabelung.
Freitagabend ging es dann endlich los, das Festivalgelände öffnete pünktlich seine Tore. Vier Head-Floors und 19 Club-Floors warteten auf ihre Gäste. Die Nature One ist auf einen ehemaligen US-Militärstützpunkt errichtet und verbreitet jetzt einmal im Jahr Frieden. In Pydna sollten während des Kalten Krieges Atomsprengköpfe gelagert werden, was zu vielen Protesten in der Bevölkerung geführt hatte.

Wir hatten uns dafür entschieden, als erstes das DJ Duo Milk & Sugar im House of House Zelt anzuschauen.  Hervorzuheben sind hier die von der Decke herabhängenden und sich ständig bewegenden 350 leuchtenden LED Digitalkugeln, die in dem Zelt ihren Charme versprühten. An dem Job von Milk & Sugar lässt sich nichts aussetzen oder hervorheben. Vom House of House Zelt ging es als nächstes zum Open Air Floor. Ich weiß nicht, ob es an dem DJ-Set von Above & Beyond lag oder, dass ich das erste Mal die neue Bühne der Mainstage sah. Es hat mich jedenfalls ergriffen und mir einen sehr intensiven Glücksmoment geschenkt. Die Veranstalter der Nature One bekleiden ihre Bühnen schnörkellos. Es wird nicht wie beim Tomorrowland oder wie bei Parookaville großen Wert auf das Design gelegt, sondern auf die Lichtshow und den Sound. So prangerten große LED Wände über der Bühne und gaben dem Ganzen ein großes, sich bewegendes Bild. „WE CALL IT HOME“ stand mit matter Schrift zwischen den leuchtenden Wänden und erinnerte nochmals an das Motto für dieses Jahr. Für das Gerüst, das über der Tanzfläche hängt, lassen sich die Betreiber jedes Jahr etwas neues einfallen. Dieses Jahr war es ein großer Kasten voller Licht.

Zurück zu Above & Beyond. Geschmäcker sind verschieden, aber was das britisch-finnische DJ Duo da ablieferte, hatte System und war nachvollziehbar. Der Besucher wurde durch das Set gezogen und konnte nicht still stehen bleiben. Meine Empfehlung für alle Fans von elektronischem Trance: Schaut euch ein Set der Künstlern live an. Sie sind schon jetzt mein absolutes Highlight der Nature One. Der darauf folgende Partymacher Markus Schulz machte viel richtig, konnte aber nicht vollkommen überzeugen. Wir sind während des Auftrittes gegangen und haben noch im Camp gegrillt.

Samstag knallt das Feuerwerk

Mein Samstagabend begann um 20.30 Uhr auf der Mainstage mit dem DJ Calvo. Dieser lieferte ein durchaus gelungenes Set mit bekannten alten und neuen Songs aus dem Radio ab. Die Übergänge stimmten und das hätte auch schon für eine gute Party gereicht. Umso bedauerlicher ist es, dass die meisten Gäste erst ab 22 Uhr auf dem Festivalgelände eintrafen. Da spielt ein Top-DJ bei Sonnenschein vor ein paar hundert Menschen auf der Mainstage und kaum jemand sieht es. Letztes Jahr war mir das schon beim brasilianischen DJ Alok aufgefallen, der dieses Jahr unter anderen auf dem Tomorrowland auflegt und auch letztes Jahr zur selben Uhrzeit ein Wahnsinns-Set abgeliefert hatte. Vielleicht könnte man da überlegen, solche Künstler später vor größeren Publikum auftreten zu lassen.

Die Einstimmung passte schon mal, was darauf folgte, war der perfekte Stimmungsmacher, um eine Party auf den Siedepunkt zu bringen. Die Ostblockschlampen, einer der Headliner, gaben ihr Konzert vor nun vollem Haus. Die Leipziger sind dafür bekannt, dass sie ihr Set sehr dynamisch durcheinander spielen und vieles spontan entscheiden. So hat ihr Set kein Konzept, ist aber unterhaltsam und wuchtig. Mehr über die Künstler könnt ihr auch in einen Interview erfahren, das bonnFM nach der Party mit dem Duo geführt hat.

Nach dem Interview ging es noch schnell zum Century Circus zu Sven Väth, der schon häufiger zum besten Deutschen DJ gekürt wurde. Dem ist nichts hinzuzufügen. Während seines Auftritts entzündete das jährliche große Feuerwerk etwas später als sonst. Es war wieder ein Genuss für das Auge. 10 Minuten lang knallte am Himmel das Lichtspektakel und begeisterte die Besucher spürbar. Vom Century Circus Zelt ging es zurück zur Mainstage auf den Open Air Floor. Hier traten um 1.10 Uhr Paul van Dyk (Techno) und um 3 Uhr Ferry Corsten (Trance) auf. Beide sind Altmeister ihres Fachs und brachten perfekte Sets mit. So verschmolzen Musik und Lichtshow ineinander und nahmen die Besucher mit in eine andere Welt.

Die Kälte der Nacht spürte ich erst beim um 4.30 Uhr auflegenden Tujamo. Ich habe lange an diesem Wochenende nicht so viel gestanden wie bei seinen Set. Bei allen guten Willen, aber das Set des Bielefelders war ein Wirrwarr aus bekannten Songs, abgebrochenen Übergängen, einem Schreihals, der dazwischen rief und dem Versuch, Beats auf den Punkt zu bringen, um sich dann in ein anderes Lied ruckartig zu stürzen. Das ist in meinen Augen Musik für die kleinen Dorfklubs und ist für ein elektronisches Festival nicht geeignet. Das Schöne jedoch ist, es besteht eine große Auswahl und wenn ein Auftritt eines DJs dem Besucher nicht gefällt, dann geht er eben woanders hin. Von Hardstyle über Goa bis Techno, sind alle erdenklichen Musikrichtungen auf ihren eigenen Bühnen vertreten. Wir sind dann noch wieder zurück zum Century Circus gegangen, wo Pappenheimer um 6.00 Uhr auflegte. Der knackige Clubsound knallt gehörig in den Ohren und gab mir persönlich ein versöhnliches Ende auf der Nature One.

So wurde es noch ein guter Abschluss für eine lange Nacht. Um 7 Uhr ging es dann im Licht der Morgensonne zurück in das Camp. Ein friedvoller Gang durch die Heimat zum Wummern und Brummern.