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Bild: Jennifer Metaschk / bonnFM

“Ich mag Rap, wenn er hart ist” – Juse Ju im Interview

Lesezeit: 7 Minuten

Wir haben auf dem Southside Festival mit Juse Ju über Heimat gesprochen. Er hat uns außerdem verraten, was er von den aktuellen Entwicklungen in der Rapszene hält und warum er gesagt hat, dass Studentenradios langweilige Fragen stellen.

bonnFM: Zum Einstieg – Kannst du kurz deine Biografie skizzieren?

J: Das ist schwer, ich versuchs mal so: Kirchheim, Tokyo, Yokohama, Kirchheim, El Paso, Kirchheim, München, Tokyo, Berlin. Das ist so ungefähr die Reihenfolge, in der ich in den Städten gelebt habe. Es ist verwirrend, so kann man sich meine Biografie merken.

bonnFM: Du hast in einem Interview gesagt, dass du keine Heimat im klassischen Sinn hast. Schränkt dich das ein?

J: Das schränkt mich daher ein, dass ich keine schwachsinnigen Deutschlandtrikots tragen und mir keine Fahnen auf die Backen malen kann. Nein Spaß, eigentlich könnte ich Deutschland viel mehr als meine Heimat sehen, weil ich zu den Leuten gehöre, die wissen was es heißt, nicht in Deutschland zu sein. Aber ich identifiziere mich nicht so sehr damit, eher mit den Leuten, die mich umgeben und ich identifiziere mich sehr stark mit Sachen, die ich schon lange mache. Also Musik, Skateboard fahren, Wrestling schauen und Mangas lesen.

bonnFM: Wie stehst du denn zu dem neuen Heimatministerium?

J: Ich find es gut, dass es das endlich gibt. Man hat sich ja immer gefragt, wie man die größten Probleme unserer Zeit löst. Also Wohnungsmangel, Kitaplatzmangel, Schere zwischen Arm und Reich – wie löst man das? Mit dem Heimatministerium, natürlich. Denn man weiß: Heimat kann das alles lösen. Erst wenn wir alle wieder Trachten tragen *verfällt in Bayrischen Akzent* und schunkeln und uns Lebkuchenherzen umhängen, so wie Seehofer das möchte, oder Herr Söder, dann werden alle Probleme gelöst sein. Insofern ist das Heimatministerium das, was man endlich einführen musste. Scheiß auf die Digitalisierung, das braucht niemand. Das Internet ist generell ein Fehler.

bonnFM: Du sagst, dass deine Texte größtenteils ironisch gemeint sind und arbeitest generell viel mit Ironie – meinst du irgendwas ernst?

J: Um Gottes Willen, hoffentlich habe ich nie in meinem Leben gesagt, dass meine Texte ironisch gemeint seien, vor allem auch nicht alle. Innerhalb der Rapszene gabs ein paar Testosteron-gepumpte Menschen, die gesagt haben „Ironie geht nie“. Hinter Ironie würde man sich verstecken, wenn man nicht zu dem steht, was man sagt. Das ist so mit die dümmste Aussage, die ich je gehört habe. Das ist einfach Quatsch. Ironie ist ein Kunststilmittel. Mal kann man sich dahinter verstecken, mal kann man das nutzen um was klar zu machen, mal kann man es auch einfach mal nicht nutzen. Auf meiner neuen Platte haben von 12 Songs vielleicht 2 eine ironische Note, der Rest ist Bierernst. Tut mir leid, wenn ihr immer gedacht habt, ich meine das alles ironisch. Propaganda ist der einzige Song, der wirklich ironisch gemeint ist. Und ich hab da wirklich wütende Mails zu bekommen, da fühlen sich ein paar Leute echt angegriffen und anscheinend verstecke ich mich da doch nicht so sehr hinter der Ironie. Ich glaube man versteht die Aussage sehr gut, wenn man nicht das Gehirn einer Eintagsfliege hat. Ich meine das auch gar nicht so arrogant, nach dem Motto „Die sind zu dumm um Ironie zu verstehen“, nein, die verstehen das sehr gut. Das ist so ein Argument, über das jemand keine 20 Sekunden nachgedacht hat. Ironie ist einfach ein Stilmittel. Die Titanic verwendet das manchmal. Stilmittel grundsätzlich zu verteufeln finde ich falsch. 

bonnFM: Zu deinem neuen Album. Du hast einen Song, der „Cloudrap“ heißt. Wie stehst du zu der aktuellen Rapszene? RIN spielt ja auch auf dem Southside.

J: Ich geh raus mit meinen Jungs heute, Baby.. *singt* find ich gut! Der Song Cloudrap wurde missverstanden. Das ist ein Wortspiel, weil ich darüber rede, dass ich auf Wolken laufe. Ich hab auf Fritz ne Sendung über Deutschrap. Wenn ich also der Meinung wäre, dass ich diese Entwicklungen scheiße fänd, dann könnte ich die Sendung nicht mehr machen. Ich find ein paar Songs von RIN ganz cool. Es ist wie mit allen Musikrichtungen: ein paar Leute haben es echt drauf und dann kommt ein ganzer Haufen und versucht es nachzumachen. Die Leute, die das gut machen, reichen ja auch. Die find ich cool, kann ich mir anhören. Ich finds nicht alles gut, dieses ständige „ich möchte diese und jene Klamottenmarke haben“. Ich bin jetzt über 30, irgendwann langweilt mich das. Aber als ich damals MOR oder Justus Jonas gehört habe, gabs auch 30-jährige, die das scheiße fanden. Man muss versuchen nicht auf diese „weird old man“ Schiene zu geraten, sondern verstehen, was daran geil ist.

bonnFM: Trettmann ist ja beispielsweise auch schon über 40 und er zieht auch mit. Bei Fake It ´Till You Make It sagst du, dass du jetzt nachkommst. Hast du nicht das Gefühl, dass du auch in diese Richtung mitziehen musst?

J: Autotune und so singen? Nö. Klar machen das jetzt viele und es wirkt als wäre es DAS erfolgreiche Ding, aber ich glaube man muss gar nichts machen. Wenn man ein Trendrapper sein will, also jemand der richtig gehypet wird, dann könnte man das versuchen. Aber ich bin ja nicht diese Art von Rapper. Ich mache das schon lange und meine Base hört mich vor allem wegen meiner Texte. Wenn jetzt jemand aus der Schlagerszene unbedingt Rapper werden will, dann würde er wahrscheinlich so ein angecloudetes Zeug machen, aber ich glaube jeder Mensch der Verstand hat, macht einfach gute Musik. Das klingt ein bisschen banal und scheiße, aber die Frage ist eigentlich nur: Hast du einen guten Song geschrieben und fühlt den irgendwer? Die Musikrichtung ist eigentlich egal. Ich werde natürlich nicht anfangen sowas zu machen, weil ich diesen Singsang einfach nicht so feier. Ich mag Rap mehr, wenn er hart ist. Was ich aber tatsächlich geil finde, ist wie die Pausen setzen. Da bin ich und meine ganze Umgebung krass beeinflusst von und wir feiern das auch, aber das heißt nicht, dass wir jetzt auto-tunen müssen.

bonnFM: Du hast vorhin viel gefreestylet. Vermisst du deine Battlerap-Zeiten? Würdest du manchmal gerne wieder zurück oder willst du doch lieber kommerzieller und größer werden?

J: Die Zeit, zu der ich Battlerap gemacht habe, war anders als heute, wo ich auch selber Battlerap moderiere. Früher war Battlerap immer Freestyle und das war mehr wie so ein Fußballspiel. Man geht da hin und klar, du kannst rappen trainieren, aber man wusste nie was passiert. Und heute ist alles schon vorgeschrieben und da kann man battletechnisch ein viel krasseres Niveau erreichen. Und wenn man guckt, wie ich damals gebattlet habe, oder auch die damalige Spitze, war das einfach nicht gut. Die Leute würden heute wahrscheinlich denken „Oh, das waren die härtesten Punchlines? Mega whack!“. Ich würde gerne nochmal freestyle battlen. Bei den Written Battles mache ich die Interviews, aber ich hätte keinen Bock da zu battlen. Und ganz im Ernst, Battelrap fickt auch deinen Kopf, das darf man nicht unterschätzen. Es ist, wie gesagt, wie ein Fußballspiel. Man ist auch nervös und man kann auch verlieren. Da muss man auch mit umgehen können.

bonnFM: Was war die krasseste Punchline, die du je gebracht hast?

J: Ein Rapper hat mir vorgeworfen, ich würde mich beim Sex am Schulranzen meiner Partnerin festhalten. Und dann habe ich gekontert: „Also mit dem Ding kommst du zu spät, ich halt mich doch nur am Ranzen fest, weil deine Schwester noch zur Schule geht“. An die Zeile kann ich mich erinnern und die gibts auch noch im Internet.

bonnFM: Du hast bei rap.de gesagt, dass Studentenradios nicht gut ausgebildet sind und langweilige Fragen stellen – warum hast du dem Interview zugesagt?

J: Naja, ich war ja auch mal schlecht ausgebildet und habe langweilige Fragen gestellt. Ich hab nach dem Studium noch Journalismus gelernt, quasi von der Pike auf und ich betreue bei Fritz auch junge Videoreporter. Ich glaube als Reporter ist man anfangs sehr vorsichtig und stellt deswegen eher banale Fragen, als einfach mal auf die Fresse zu geben. Ich will das auch gar nicht so BILD-Zeitung-Boulevard mäßig meinen, sondern dass man in die Materie geht und sieht wo das Feuer ist, auf das man gehen könnte. Ich habe in letzter Zeit Radiointerviews gegeben, wo dann Fragen kamen wie „Wie findest du die Stadt, in der du grade bist?“, „Wie bist du zur Musik gekommen?“ oder „Woher kommt dein Name?“. Also nicht nur Studentenradios fragen sowas, sondern auch Blogs oder so. Man merkt schon nen Unterschied, ob Leute sich wirklich Gedanken über ihren Job machen oder einfach nur denken, dass es ganz cool ist. Man muss ein Feuer dafür haben, wirklich was aus Leuten rauszukitzeln. Ich werde selber oft für meine Interviews bei Don’t Let The Label Label You kritisiert, weil ich den Leuten ganz oft unangenehme Fragen stelle. Z.B. Frage ich dann ob jemand einen Fußfetisch hat. Es ist heute so, dass jedes Medium, das nach 10 Sekunden nicht gefällt, weggeklickt wird. Man muss von Anfang an catchen und kann in einem Interview nicht mit „Hallo, wie geht es dir heute?“ anfangen. Das ist eine scheiß Frage für ein Interview. Wenn man sich die großen Medien in Deutschland anguckt, fragen die nicht als erstes „Wie gehts Ihnen?“, sondern „Herr Schäuble, treten sie jetzt eigentlich zurück?“. Der fragt dann warum und schon ist man im Thema und so muss man es machen.

bonnFM: Du hast gesagt, dass Shibuya Crossing das erste Album ist, bei dem du dich angestrengt hast. Warum hast du dich nicht schon vorher angestrengt?

J: Versteh mich nicht falsch, ich hab noch nie nen Song aufgenommen und mich nicht angestrengt. Oder nen Song geschrieben und gedacht „Das ist verdammt scheiße, aber so lass ich das!“. Ich würde sagen, dass es das erste Album ist, bei dem ich mir einen wirklichen Plan gemacht habe. Davor hab ich ein paar Tracks gemacht und wenn das Album fertig war, hab ich es als Free Download zur Verfügung gestellt und vielleicht noch ein Video gemacht. Das war jetzt anders. Ich hab der Platte eine Richtung gegeben, indem ich meine Jugend in drei verschiedenen Ländern aufgearbeitet habe. Und hab mal was mit Hand und Fuß gemacht und nicht bloß eine Aneinanderreihung von Tracks, auf denen ich Leute beleidige, was manchmal aber auch echt geil ist. Vielleicht mache ich das auch auf der nächsten Platte wieder.

bonnFM: Wann kommt die nächste Platte?

J: Da ich nicht von Musik lebe, sondern von meinem Job, mache ich jetzt nicht jedes Jahr eine Platte. Vielleicht in zwei Jahren, oder anderthalb. Songs schreiben ist jetzt auch nicht das Problem, das kann ich schon machen. Man muss sich klarmachen, dass eine Platte sehr viel Arbeit ist. 80% der Arbeit, die ich dann habe hat nichts mit Musik zu tun. Das ist dann sowas wie Buchhaltung, Planung, Verträge und so weiter. Ganz viel Verwaltung oder auch, dass Leute was falsch machen und du musst es dann selber neu machen. Also echt wenig Musik.

bonnFM: Hat es dich geärgert eine so frühe Stagetime zu haben, vor allem weil du so viel Zeit in deine Platte gesteckt hast?

J: Ich finde 14:45 für mich voll okay, wenn man sich das Line-Up mal anguckt. Hier spielen die Arctic Monkeys, Franz Ferdinand und eine Band, die Schlaraffenlandung heißt (lacht). Hier spielen The Offspring, das ist nicht meine Liga. Natürlich spiel ich nicht um 19 Uhr, wenn auf der anderen Stage dann Arcade Fire spielt. Ich bin Musikfan, ich weiß schon wer Arcade Fire ist und wie groß die sind. Ich würde mir nie anmaßen mich mit denen auf eine Zeit einzustellen. Ich finde ich habe eine ganz gute Zeit erwischt. Morgen beim Hurricane spiele ich ein bisschen früh, um 13 Uhr. 

bonnFM: Du hast ja quasi alles gemacht. Du warst Autor bei K11, du bist Moderator bei Fritz, du machst Musik. Kannst du dich nicht entscheiden oder möchtest du grade alles machen?

J: Diese Drehbuchautoren-Geschichte mach ich seit ein paar Jahren nicht mehr, weil ich keine Zeit habe. Egal was ich mache, es hat alles was gemeinsam: dass ich schreibe. Ich schreibe meine Texte, ich schreibe Drehbücher und ja gut, Moderationen schreibe ich jetzt nicht. Ich rede und schreibe. Das ist mein Job. Nur der Rahmen, in dem ich das mache, wechselt. Das ist natürlich ein Privileg, aber war auch sehr viel Arbeit. Man muss sehr viel scheiße schreiben, damit man irgendwann die guten Sachen schreiben darf. Schreiben ist halt mein Job, ich hab da schon sehr früh mit angefangen, lange bevor es mein Job war. Musik gemacht, Kolumnen geschrieben, für irgendwelche Blogs Sachen gemacht und dann ergibt sich das auf Dauer, dass man da irgendwann Geld für bekommt – wenns gut läuft. Wenns scheiße läuft, dann läuft es scheiße.