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Bild: © Rainer Keuenhof

„Aber trotzdem finde ich es gerade irgendwie ehrlicher und nicht mehr so dicke-Hose-mäßig“ – Bosse im Interview

Lesezeit: 5 Minuten

Die Musik von Bosse ist aus dem deutschen Radio nicht mehr wegzudenken. Seine Lieder bewegen die Leute. Am 2. September hat der Verkehrsbund Rhein-Sieg (VRS) sein 30-jähriges Bestehen gefeiert und sich neben Bosse auch noch Joris und Clueso auf die Bühne des Kölner Tanzbrunnens geholt. Das Line-Up war musikalisch auffallend einseitig, aber die Besucher waren begeistert. Vor seinem Auftritt haben wir mit Bosse geredet und hinterfragt, welche Menschen und Antriebe heute noch hinter erfolgreicher deutscher Musik stehen.

Deutscher Pop-Rock wirklich „Industriemusik“?

bonnFM: Was denkt man als hauptberuflicher Musik- und Textvirtuose über derart heftige Kritik, wie bspw. die von Jan Böhmermann gegen Max Giesinger bzw. die deutsche Musikszene?
Bosse: Achso, also so im Allgemeinen finde ich Kritik immer in Ordnung. Also ich finde, das gehört irgendwie auch zum Beruf mit dazu. Ansonsten finde ich immer – weiß ich nicht – also ich hab mich wirklich glaube ich noch nie in meinem Leben schlecht über irgendwen, der Musik macht, geäußert und ich finde Musik in jeglicher Form ist erstmal eine gute Sache […], und ich weiß eben, was das auch für harte Arbeit ist. Und ich ziehe immer so meinen Hut – egal ob das ein technoider Mega-Asikünstler ist, oder irgendwer anders – zieh ich da trotzdem mal meinen Hut vor und ich sehe so Musiker immer als meine Kollegen an und so. Und ich kann jetzt nur für mich sprechen, also ich muss mich jetzt nicht beschweren über irgendwen. Also ich finde – bei Musik im Allgemeinen – immer so: Wenn man irgendwas scheiße findet, und das gehört ja im Leben auch dazu, dann muss man’s eben ja auch nicht hören […]. Also man kann das Radio immer ausmachen und man muss es sich nicht kaufen und so… man muss nicht auf die Konzerte gehen. Und es gibt natürlich trotzdem genug Leute, die das dann mögen und dann hat das auch alles so seine Berechtigung. Also ich […] sehe Kritik an mir immer mega entspannt und find es auch in Ordnung, wenn andere Leute andere Leute kritisieren, aber – wie gesagt – bei Musik halte ich mich da immer sehr zurück.
bonnFM: Also fühlt man sich dann nicht persönlich angegriffen? Gerade das Texteschreiben ist ja nicht nur der Beruf, sondern eine Passion, oder?

Bosse: Ja, total. Aber wie gesagt das gehört wirklich mit dazu. Also ich find‘ das eben einfach – da liegt dann auch einfach eine Berechtigung drin, dass sowas passiert auch wenn das total gemein ist und so. Aber es darf natürlich kritisiert werden, was kritisiert werden mag. Also wenn man eine Platte rausbringt, dann gehört das eben dazu, dass Leute vor der Bühne stehen und sagen „Das ist scheiße“. Also ich hab irgendwie schon früher als Vorband von so vielen Hardcore-Bands gespielt – allein mit der Akustikgitarre. Und da haben mir teilweise eben in irgendeiner Stadt eben 500 Leute die Stinkefinger ins Gesicht gedrückt und haben „Buh“ geschrien. Und auch das fand ich damals schon eigentlich eher lustig und nicht so schlimm und so. Und das gehört mit dazu, dass man so ein dickes Fell hat.
bonnFM: Gibt es denn deutsche Newcomer, die Dich besonders begeistern oder die Deiner Meinung nach die deutsche Musikszene aufrütteln?
Bosse: Ja, also so Annenmaykantereit zum Beispiel, die jetzt ja auch nicht mehr so neu sind, aber das ist ja schon so die erste wahrnehmbare Platte, finde ich zum Beispiel total wertvoll, weil das eben handgemachte folkloristische Musik ist – mit Wumms und super Texten. Das packt eben das alte Element of Crime mit dem ich so groß geworden bin. Oder so ein Rio packt das ja wieder so aus, aber ist natürlich dann komplett für junge Leute angesagt und ich finde das kulturell sehr wertvoll, dass junge Leute eben einfach Mucke hören, wo eben ein Akkordeon und eine Mundharmonika und eine Trompete drin vorkommen… und die das trotzdem feiern können!

bonnFM: Du warst damals selbst als Newcomer mit Deiner ersten Band schon sehr früh bei Sony Music unter Vertrag. Wie sahen denn Deine Anfänge in der Musikindustrie aus? Und wie haben sie Dich bereichert oder beeinflusst?

Bild: Anne Glaser / bonnFM
Bild: Anne Glaser / bonnFM

Bosse: Also als ich angefangen habe, so in Häkchen „professionell Musik zu machen“, da habe ich mit der Schule aufgehört und mit meiner Schülerband damals einen Deal unterschrieben. Das waren ja noch so die 90er muss man sagen und das war wirklich eine andere Zeit. Und ich find die Zeit heute besser. Damals war das alles noch so: da kamen so die Boy Bands und so, die Plattenfirmen haben richtig viel Kohle rausgehauen, Chauffeurdienste sind durch Deutschland gefahren und haben Künstler irgendwohin gefahren. Und heute – also es ist natürlich schade, dass ich heute erst so okay erfolgreich bin, ich wär sonst glaub ich gar nicht mehr hier, ich wär schon längst auf Hawaii und hätte so viel Kohle verdient und so. Dafür ist nicht mehr die Zeit, aber trotzdem finde ich es gerade irgendwie so ehrlicher und nicht mehr so dicke-Hose-mäßig. Ich fand es damals immer so schrecklich so alte Herren, die das alles so in der Macht haben und so mit ihrem Geld rumschmeißen und so solariumgebräunt sind waren jetzt noch nie so meine besten Freunde. Und das war damals so und am Ende kann ich immer nur allen sagen: Hey, man muss eben das machen was man liebt, also auch grad als Musiker. Man muss wissen, man kann damit nicht reich werden, also es gibt eine ganz minimale Prozentchance. Man darf es nie wegen Kohle machen, man muss immer durchhalten und eben ganz viel arbeiten. Oder wie unsere Kanzlerin sagen würde [imitiert sächsischen Dialekt] „oabeiten“.

Die scheinbar gute Seele des Deutsch Pop-Rock

bonnFM: Die Süddeutsche Zeitung hat Dich letztes Jahr in einem Artikel als „knuddelnett“ beschrieben. Was sagst Du dazu, wenn die Medien so etwas über Dich schreiben?
Bosse: Naja, die Süddeutsche Zeitung hat geschrieben, dass ich knuddelnett bin, weil die dpa ein Foto von mir gemacht hat – also es gibt ja immer so dpa Fotographen – da hatte ich auch so eine Brille auf – nur noch so eine andere – und irgendwas Schickes an und da sah ich eben wirklich so aus wie Günther Jauch. Also, ich sehe überhaupt nicht aus wie Günther Jauch, aber auf dem Foto sah ich eben so aus und da hat der Typ das eben so geschrieben. Der hat vor allem geschrieben – also ich glaube ich kannte den sogar auch, deswegen fand ich das auch wieder ganz witzig – dass er eben niemanden kennt, der mich scheiße findet, was ich erstmal schon mal in Ordnung fand.

bonnFM: Heute Abend spielen ja doch einige Größen der Musikszene. Welchen Charakter haben Eure Beziehungen untereinander? Trinkt Ihr gern mal einen zusammen? Feiert Ihr die Musik des anderen? Oder herrscht da immer auch eine Art Konkurrenzdenken?
Bosse: Ja, ne, irgendwie nicht. Gestern Abend hat der Cluesn [Clueso, Anm. d. Red.] in Erfurt gespielt, da war ich sowieso auch und wir sind alle noch so ein bisschen verkatert und so. Aber ich hab das eigentlich selten erlebt, außer eher so im Hip Hop, da sind die immer alle so konkurrenzmäßig und gönnen sich so die Butter nicht auf dem Brot, oder wie man sagt. Aber das gibt’s hier bei uns nicht. Das ist alles immer sehr nett und die meisten Leute kennen sich auch schon länger, als dass die Karrieren da sind. Das ist eigentlich immer so nett und ein großes Wiedersehen und auch Joris oder so… man sieht sich wirklich so oft. Also das ist einfach immer schön.

So oder So

Und so war es dann auch: einfach immer schön. Mediale Kritik hin oder her, die Kollegialität und gute Laune ließen sich unweigerlich auch auf der Bühne und im Publikum spüren. Bis zum späten Abend haben die Songs von Clueso und Co die rheinnahe Location beben lassen.