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bild: bonnFM / Marlene Peine

Corona-Chronik aus Marokko

Lesezeit: 6 Minuten

Unsere Reise nach Marokko sollte eigentlich pure Semesterferienerholung werden, wäre da nicht – ihr ahnt es – der gute Coronavirus noch am Start gewesen, der unseren Aufenthalt ziemlich über den Haufen geworfen hat. Eine Chronik für Euch gegen die Isolations-Langeweile.

Vor ca. einer Woche war ich mit zwei Freundinnen in Marokko. Ursprünglich war die Reise vom 11. bis 18. März angesetzt, hätte dabei nicht ein gewisses Virus dazwischen gegrätscht. Um euch mal aus dem Isolations-Alltag zu entführen, habe ich, ganz im Sinne des 21. Jahrhunderts, als Chronik für euch niedergeschrieben, wie sich unser Aufenthalt in Marokko durch den Virus entwickelt hat. Enjoy.

Mittwoch

Wir kommen in Marrakech an, das vor Leben nur so strotzt: Über den riesigen Marktplatz Djemaa el Fna hallen die Schlangenbeschwörer, Musiker, Affenhalter, Henna-Malerinnen und Händler an ihren Ständen; alle damit beschäftigt zu versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch auf den Märkten, den Souks, wird uns beim Schlendern hinterhergerufen und teilweise sogar nachgelaufen, sobald wir das geringste Interesse an den Waren zeigen – trotzdem sind alle Händler sehr respektvoll, auch wenn wir ablehnen. Überhaupt sprechen viele Menschen in Marrakech nicht nur Englisch, sondern auch Brocken aus vielen anderen Sprachen, und verwickeln uns gerne mal in Plaudereien. Am Marktplatz finden wir ein kleines Restaurant, in dem einige Einheimische sitzen und uns der Besitzer freundlich bedient.

Donnerstag

Auf der Straße ruft uns jemand „Smile!“ hinterher, „Smile before Corona!“. Wir lachen – hier ist Corona also auch schon ein gegenwärtiges Thema. Wir besuchen wieder das Restaurant am Marktplatz, in dem uns der Besitzer schon von weitem erkennt, mit einem Handschlag begrüßt und lächelnd den Tisch für uns zurechtrückt. Scheint, als hätten wir unser Stammlokal gefunden.

Im Hostel wurde von zwei Reisenden der Rückflug nach Barcelona gecancelt, sie debattieren alternative Routen nach Spanien. Krass, denken wir uns, dass jetzt schon Flüge nach Spanien gestrichen werden – Könnte uns das auch passieren? Quatsch, schließlich gab es erst 8 Infizierte in Marokko und keine offiziellen Angaben der Regierung, irgendwelche Maßnahmen treffen zu wollen. Der große Marktplatz ist auch nachts am boomen – Glücksspieler und Lampenhändler haben ihre Decken ausgebreitet, die unzähligen Streetfood-Stände sind voll besetzt und überall wird in kleinen Bankkreisen Musik gemacht.

Freitag

Corona wird immer präsenter, sowohl in den Straßen, als auch in den Gesprächen im Hostel. Wir sind minimal verunsichert, aber trotzdem würde das doch noch nicht genug sein, um voreilige Maßnahmen zu ergreifen – außerdem geht unser Flug ja schon am Mittwoch. Wir fahren also erstmal in die Wüste. Rufen aber vorher noch bei der Deutschen Botschaft in Rabat an, um uns eine qualifizierte Meinung über die Lage einzuholen. Die Antwort: Die Situation sei „dynamisch“, man müsse sie im Blick behalten. No Shit.

Samstag

Als wir aus der Wüste zurückkommen, wirken die Straßen ein bisschen leerer als sonst – ist heute vielleicht ein Ruhetag in Marokko? Wir gehen wieder in unser Stammlokal. Überraschenderweise begrüßt uns der Besitzer diesmal nicht überschwänglich, sondern nur mit einem Nicken und weist einen anderen Kellner an, sich um uns zu kümmern. Haben wir ihn verärgert? Offensichtlich nicht: Wir bekommen nach dem Essen noch Suppe und Tee gratis dazu.

Wie wir hören, sind die marokkanischen Schulen sind mittlerweile geschlossen. Aber die größte Überraschung kommt im Hostel: Marokko hat den Flugverkehr mit Deutschland und anderen europäischen Ländern gestoppt, einfach so, von heute auf morgen, bis zum Ende des Monats. Wir rufen bei der deutschen Botschaft an, doch auch nach mehreren Versuchen geht niemand ans Telefon. Wir schwanken zwischen dem Schock und Ideen, wie wir diese Zeit herumkriegen sollen -gehen wir vielleicht wieder in die Wüste oder arbeiten auf einer Dattelfarm? Immerhin, denken wir, können wir uns noch entspannt das Land angucken. Haha.

Sonntag

Auf der unverändert leereren Straße sehen wir einige Leute mit Mundschutz, in den üblichen Zurufen fällt jetzt immer häufiger das Wort „Corona“. Einige Frauen, die an uns vorbeikommen, halten sich ihren Schleier vor den Mund oder wechseln die Straßenseite – Europäische Touristen werden von den Menschen hier mit dem Virus verbunden. Als mir zwei Männer auf der Straße ein wenig zu nahe kommen, huste ich sehr laut, woraufhin sie sich ziemlich schnell verziehen. Sogar bei den Kindern auf der Straße kreisen die Gesprächsfetzen, die zu uns herüberwehen, um Corona – genau wie mittlerweile jedes Gespräch im Hostel. Nach aktuellem Stand hat Marokko 28 Infizierte, Deutschland fast 5.000. Die deutsche Botschaft ist nach wie vor nicht erreichbar, aber mittlerweile haben wir uns auf der Liste ausreisewilliger Deutsche im Internet eingetragen.

Montag

Eine Unterhaltung, die ich morgens aus meinem Bett heraus höre, macht mich nervös: Die Situation spitze sich zu, meint einer, die Leute auf der Straße würden aggressiv gegenüber Europäern, man müsse also weg aus Marrakech, solange es noch ginge. Die Bundesregierung „arbeitet immer noch daran“, eine Lösung für die gestrandeten Urlauber zu finden. Weiterhin keine Chance, die Botschaft zu erreichen. Wir entscheiden uns letztendlich dafür, in Marrakech zu bleiben, um im Zweifelsfall schnell zum Flughafen kommen zu können, sollten sich spontane Ausreisemöglichkeiten ergeben. Viel mehr als Abwarten können wir nicht tun. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass es eine große WhatsApp-Gruppe namens „Gestrandete Deutsche“ für Urlauber in Marokko gibt, in der scheinbar allerdings eher Halbwissen und Hysterie als Informationen verbreitet werden. Restaurants, öffentliche Einrichtungen und einige Unterkünfte sind mittlerweile geschlossen.

In den Straßen ist deutlich weniger los, die Leute halten Abstand und wir werden um einiges weniger umgarnt als vor ein paar Tagen noch. Kommen wir mit den Menschen hier ins Gespräch, werden wir fast immer, eher interessiert als unhöflich, gefragt: ‚When are you going back?‘ – ‚We don’t know.‘ Einige Leute rufen uns kopfschüttelnd „No corona, no corona“ zu – ist das eine Beruhigung an uns, oder will man sich unserer Ungefährlichkeit versichern? Auf dumme Corona-Kommentare husten wir demonstrativ, was mit einem Lachen quittiert wird. Wenn wir auf den Straßen Deutsche treffen – die uns auch sofort als solche identifizieren – fragen sie uns ohne Umschweife nach der Flug-Situation.

Der nächtliche Marktplatz ist unverändert belebt, singt und tanzt unbeeindruckt von den Sorgen des Tages.

Dienstag

Der große Marktplatz ist mittlerweile leergefegt, die permanenten Stände mit Planen bedeckt. Der Fernbusverkehr in Marokko, hören wir, soll demnächst eingestellt werden. Wenn wir jemanden stehen lassen, wird uns jetzt häufiger „Corona!“ als Schmähwort hinterhergerufen.

Als wir von unserem Tagestrip in die Küstenstadt Essaouira zurückkommen, ist es schon dunkel – aber keine Spur vom quirligen Nachtleben. Der Marktpatz wird von der Polizei auf Motorrädern mit Megaphonen geräumt. Als wir im Hostel ankommen, erwartet uns der Zuständige, Moha, um uns zu verkünden, dass das Hostel kurzfristig dichtgemacht habe. Wir werden in ein Riad umquartiert. Eine Deutsch aus dem Hostel hat mittlerweile spontan einen Flieger nach Paris genommen. Die gute Nachricht an diesem Abend: Die Rückholaktion von Deutschland ist endlich gestartet, man versichert uns, dass es genug Kapazitäten für alle Ausreisewilligen gibt und in den nächsten zwei Tagen die Flüge starten werden.

Mittwoch

Die Straßen sind so gut wie menschenleer, was uns das Bummeln über die noch offenen Stände erleichtert – die meisten Händler interagieren nur noch mit uns, wenn wir sie auf ihre Ware ansprechen. Auf der Straße werden statt Zigaretten nun Desinfektionsmittel und Handschuhe verkauft. Ab morgen sollen auch die letzten Läden dichtgemacht werden. Die offizielle Zahl der Infizierten in Marokko liegt bei 54. Abends kommt endlich die Mail, dass wir am Donnerstag zum Flughafen kommen sollen, es folgt noch mal die beruhigende Nachricht, dass es Kapazitäten für alle Ausreisewilligen gäbe.

Donnerstag

Der Riad-Mitarbeiter entschuldigt sich bei uns für das vergleichsweise spärliche Frühstück, er habe auf der Straße kaum etwas einkaufen können, da alle Läden geschlossen haben. Wir fahren zum Flughafen und warten dann zwei Stunden in der großen Halle, in der das Konzept „Mindestabstand“ der riesigen Menge an Wartenden nicht geläufig zu sein scheint. Dann endlich tauchen Botschaftsmitarbeiter in Warnwesten auf, stellen sich auf ein Podest und fangen an, ohne irgendeinen Verstärker Kundgebungen in den Raum zu schreien, deren Inhalt nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda bei uns ankommt. Zwei Flugzeuge sollen heute kommen. Für 1300 Wartende.

Fünf Stunden später sind die zwei Flugzeuge bereits mit den Alten, Kranken und Familien belegt, es werden insgesamt 450 Leute von 1300 ausgeflogen. Wir sollten uns einen Schlafplatz in Marrakech suchen, schließlich habe nicht alles geschlossen. Unser Riad allerdings schon. Glücklicherweise entpuppt sich Moha aus dem alten Hostel als Lebensretter und lässt uns noch eine Nacht in dem geschlossenen Hostel schlafen.

Die täglichen Gebetsgesänge, die per Lautsprecher aus den Moscheen durch die Stadt schallen, sind durch Corona-Durchsagen abgelöst worden. Auf dem Weg durch Marrakech rufen uns Passanten zu: ‚Plane?‘ – Wir schütteln den Kopf: ‚No plane…‘ und überraschenderweise folgt ein lächelndes ‚Stay with us!‘. Auch freut sich zumindest der Opa, der uns an der Straße Obst verkauft, dass wir wieder da sind. Und noch ein Lichtblick: Die schwangere Katze, die sich im Hostel niedergelassen hat, hat fünf Katzenbabys geboren, die in unsere Handfäche passen.

Freitag

Marokko hat mittlerweile offiziell 96 Infizierte, Deutschland 14.000. Heute ab 18 Uhr soll der Ausnahmezustand und damit verbunden eine Ausgangssperre verhängt werden – wir müssen definitiv raus.

Heute sind die Botschaftsmitarbeiter deutlich besser organisiert, verkünden per Megaphon der ganzen Wartehalle, dass fünf Flugzeuge unsere Ausreise gewährleisten können. In den fünf Stunden, die wir warten, nimmt die Stimmung in der Wartehalle Züge eines Festival-Zeltplatzes an; es wird auf improvisierten Tischen gegessen, Karten gespielt, Jonglieren geübt und in kleinen Gruppen Bälle gekickt.

Um 18:40 sitzen wir im Flieger nach Frankfurt.