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Bild: bonnFM / Lara Lohmann

Mein innerer Konflikt an Karneval

Lesezeit: 4 Minuten

Die bonnFM Kolumne

Freunde, schmeißt euch in euer Kostüm, pudert euer Näschen und packt den Jutebeutel ein, um am Straßenrand gewappnet für den Kamelleregen vom Karnevalsumzug zu sein. Auch unsere Reporterin ist Rheinländerin und mit der fünften Jahreszeit groß geworden. Wieso sich ihr verkleidetes- und Alltags-Ich zur Zeit streiten, erfahrt ihr hier:

Auf Plastikmüll und Einwegverpackungen verzichten und nachhaltig leben ist momentan DER Shit. Zu Recht bist du als Studierender ziemlich hip, wenn du anstelle eines to Go Bechers deine eigene Tasse dabei hast, hipstermäßig Second Hand kaufst und dir alte 50er Jahre Möbel vom Sperrmüll stibitzt. Auch ich fühle mich gut, wenn ich im Supermarkt statt einer Tüte meine Einkäufe in meinen Jutebeutel oder Rucksack nach Hause trage. Vor einer Woche stehe ich stolz wie Bolle neben meiner Schwester an der Kasse eines Drogeriemarktes meines Vertrauens und grinse dick, weil ich mir soeben eine Bambuszahnbürste für 3,85 € geleistet habe.

Es sind eben die kleinen Dinge

Ach Kinddas – was macht man nicht alles, um die Welt durch das eigene Konsumverhalten auch nur ein klein wenig zu einem besseren Ort zu machen. Zwar liegt Weihnachten nun schon zwei Monate zurück, aber auch da gab es geschenketechnisch von mir einen ideellen Rundumschlag für meine Liebsten unterm Tannenbaum: plastik- und verpackungsfreies Shampoo, Spülung und Duschgel. Damit mache ich hoffentlich nicht nur meiner Schwester, Oma und Mama eine Freude, sondern fühle mich auch beim Schenken gut und sammle mit Sicherheit auch eine volle Tüte mit gutem Karma für die Umwelt. Ihr seht Freunde: ich tue was ich kann, damit die Welt ein kleines Schrittchen vom Abgrund zurück tritt und nicht so schnell wie prophezeit vor die Hunde geht. Fast habe ich schon wieder den Ärger über diejenigen vergessen, die zum Jahreswechsel tonnenweise mit Silvesterknallern unsere Atemluft verpesten! Das ist ja generell so eine Sache, die ich noch nie verstanden und mein Geld für ausgeben habe. SO eine Umweltverschmutzung. Oder?

Niemand ist perfekt.

Zum Glück bin ich selbst so fabelhaft fehlerfrei und mache alles richtig! Denn gerade mal acht Wochen nachdem sich ein kleines graues Zellchen, ganz hinten in meinem Kopf, noch ganz schwach an den Aufreger über die vollgeknallte Luft an Silvester erinnert, und ich viel lieber an meine neue Öko-Zahnhygiene Errungenschaft denke, steht nun Karneval vor der Tür. Innerlich schreie ich als gebürtige Rheinländerin schon “ALAAF”(NICHT Helau) und sehe mich bereits vor meinem inneren Auge als Sonnenblume verkleidet am Straßenrand stehend “Kamelle” rufen.

Bild: bonnFM / Lara Lohmann

Den Süßkram durch Rufe einzufordern ist das Eine, mit einem gut gefüllten Beutel voller leckerer Ausbeute nach Hause gehen, das Andere. Denn: Die Konkurrenz schläft nicht. Das war schon immer so. Da muss man flott sein und auch mal ein Duell gegen Cowboys, Hippies und Feen in Kauf nehmen! Für mich natürlich kein Problem, denn schließlich bin ich mit dem Spaß aufgewachsen und konnte mir jegliche Fingerfertigkeiten bereits in meiner frühen Kindheit und über meine Jugend hinaus, aneignen und diese perfektionieren. Und genau da liegt mein blinder Fleck und das Problem – In meinem Alltag versuche ich bewusst auf meinen Müll, den ich so produziere, zu achten und mag genau das, was ich oben aufgezählt habe gerne: Second Hand shoppen, ohne Plastiktüte einkaufen gehen und mich über Einwegverpackungen, in denen gefühlt fünf Gramm von irgend einem süßen oder herzhaften Aufschnitt in eine klitzekleine Plastikverpackungen gedrückt werden, aufregen. Steht dann aber Karneval vor der Tür bekomme ich eine totale Amnesie, kreische nach einzelnen in Plastik verpackten Gummibärchen und Chipstüten, die wie Luftkissen aufgeblasen sind und drei Krümmel Inhalt für mich bereithalten.

Mein verkleidetes- und Alltags-Ich stehen also moralisch auf dem Kriegsfuß.

Natürlich könnte ich zum einen meinem inneren ideellen-Ich nachgeben, schmollend Zuhause sitzen bleiben und denken: „Ha, ich mach nicht mit, wenn die Süßigkeiten, die eigentlich in den Taschen von kostümierten Kindern und Erwachsenen landen sollten im Endeffekt doch zu einem Teil zertreten auf der Straße liegen bleiben. HABT IHR HALT OHNE MICH SPASS!! Und überhaupt, der ganze Müll, der durch die Verpackungen anfällt, find ich auch Scheiße. SO!”

Oder auf der anderen Seite meinem Karnevals-Ich einen Freifahrtsschein geben und alles mitnehmen, was geht und wie ein Pirat mit voller Ausbeute nach Hause kommen (keine Sorge Friends: ich nehme keinen Kindern die Kamelle weg. Die werden brüderlich mit den Kindern aus meiner Familie geteilt!)

Aber was kann ich tun, um die beiden Seiten meines Ichs irgendwie wieder an einen Tisch zu bekommen? Mit ner Tupperdose am Straßenrand stehen und unverpackten Süßkram “bitte nur in die Dose” werfen zu lassen, wie im Unverpacktladen, ist ja auch Quatsch. Das kann doch nicht die Lösung sein. Ich würde mir vielleicht einfach wünschen, dass sich zukünftig trotzdem einfach von Seiten der Kammelle-Industrie Gedanken gemacht werden würde, wie man die Leckereien doch irgendwie ein bisschen nachhaltiger dem Jeck zum Aufsammeln vom Wagen schmeißen kann, ohne, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, was ich da gerade alles an Plastikmüll in meinen Jutebeutel stopfe. Darauf gäb es von mir in jedem Fall ein dickes: “ALAAF”!

Schließlich ist nachhaltig sein doch der SHIT momentan, der hoffentlich auch im Karneval ein bisschen trendy wird.