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bild: Universal Musics

„Norman F**king Rockwell“: Nicht mehr Lana Del Rey?

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Sie hat es wieder getan: Mit ihrem sechsten Album „Norman F**king Rockwell!“ sendet uns Lana Del Rey amerikanischste Grüße über den  Äther. 14 Tracks laden zum Träumen ein, bashen Kanye West und definieren die Künstlerin neu.
 
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Lana Del Rey ist ein Gigant. Nicht nur im Musik-Business, nein, im wahrsten Sinne des Wortes. An manchem heißen Tag streift sie, die groß wie ein Hochhaus ist, durch die Skyline von Los Angeles. Dann reißt sie Palmen aus dem Boden, als wären es Grashalme, wedelt sich mit ihnen Luft zu und bahnt sich auf ihren Füßen, groß wie Lastwagen, den Weg zum weltberühmten Venice Beach, an dem sie endlich Abkühlung findet.

So weit die Fantasie der Regisseure, die mit Lana ihr Musikvideo zu „Doin’ Time“ shooteten. Die Königin des Dark Pop im Mega-Format tanzt und ist munter wie nie in ihren Clips. Aber ehrlich, Grund zum Tanzen ist gegeben: Mit einem Vorab-Release der Singles „Mariners Apartment Complex“ und „Venice Bitch“ hatte die Sängerin ihre neue Platte 2018 groß angekündigt und  ihre Fans anschließend ein Jahr lang warten lassen – seit dem 30. August liegt „Norman F**king Rockwell!“ endlich in den CD-Regalen. Und mit dem Album liefert sie gleich eine Frage mit: Ist das noch Lana?

Selbstfindung im Nike-Sneaker

Wir erinnern uns: 2011 war ein schmollmundiges Mädchen mit dem Song „Video Games“ im Internet aufgetaucht und hatte sich in einen Kokon aus amerikanischem Mythos und vintage Hollywood-Vibes gehüllt. Seitdem vereint Lana Del Rey Pop, Hip-Hop und Rock zu reinsten Americana-Hymnen wie „Summertime Sadness“, „Ultraviolence“ oder „Lust for Life“. Dass die Sängerin einmal Lizzy Grant hieß, ihr Haar blond trug und in einem Wohnwagen bei New York lebte, das drang hin und wieder durch ihre Musik durch. „Norman F**king Rockwell!“ aber hält eine ganze Reise in jene Zeit parat, in der Lana noch kein Star war. Der Song „hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but I have it“ schafft düstere Bilder von Depressionen und Süchten. Begleitet durch ein leises Klavier kehrt die 34-Jährige zu sich, blickt in Revue auf ihr Tourleben und haucht uns Jugend-Erinnerungen ins Ohr. Bei diesem Ausflug in die Lizzy Grant-Zeit bleibt es nicht. Mit dem Track „Fuck It I Love You“ singt Lana Del Rey ein ungewohnt simples, leicht verträgliches Popstück mit eingängigen Beats, womit sie wieder auf den Spuren ihres früheren Schaffens wandelt. Sirenenartig überschlagen sich die Background-Voices – der Spirit geleakter uralt-Songs wie „Elvis“ kommt auf.

„Norman F**king Rockwell!“ ist ein Pfad auf alten Spuren. Alte Spuren und Selbstsuche – dazu gehört auch Loslassen. Und Lana lässt los. Im Jahr ihres Durchbruchs hatte sie für das Video zu „Born to Die“ in einem weißen Kleid und mit Blumenkrone zwischen zwei Tigern gethront. Jetzt ist keine Spur mehr von dieser früheren Ästhetik, von Lanas Unnahbarkeit und der inszenierten, absoluten Perfektion ihrer selbst, die sich in Musikvideos wie „Shades of Cool“ (2014) fortsetzte. Im Doppel-Clip zu den Songs „Fuck It I Love You“ und „The Greatest“ singt sie nun in klobigen Nike-Trainers auf der Bühne einer Hafenbar. Auch in den home-made-like gedrehten Videos für „Venice Bitch“ und  „Mariners Apartment Complex“ finden wir Lana in T-Shirt und Sneakers neben einer Autobahn. Sehr persönlich und privat, vielleicht auch ehrlich ist das alles, aber hier wurde etwas Wichtiges aufgegeben. Lana Del Rey sich entmythisiert. Vergangenheit ist die Femme Fatale oder die Lolita, nur ein kalifornisches Mädchen, das seine Lieder singt, steht uns gegenüber.

Die „Romanze“ mit Jack Antonoff

Kehrt sie zu dem zurück, was sie einmal war? Erleben wir hier das Ende von Lana Del Rey und einen Neuanfang als Lizzy Grant? Zumindest wissen wir, dass „Norman F**king Rockwell“ die Unterschrift Jack Antonoffs, Produzent und unter anderem Gitarrist bei „Fun“, trägt. Der Mann ist ein absoluter Pop-Profi und war auch an Taylor Swifts neuer Platte „Lover“ beteiligt. Im Interview mit der New York Times erzählte Lana über die Zusammenarbeit: „Es war wie eine Romanze, wenn Dinge auf die beste Weise funktionieren, wenn man nicht danach sucht. Ich habe Jack auf einer Party getroffen […] und wir haben innerhalb von 40 Minuten einen Song geschrieben. […] Dann dachte ich: Lass uns ein Album machen.“

Mit dem Einfluss Jack Antonoffs ist ein richtiges Pop-Album zustande gekommen. Ohne viel Drama und mit soften Schlagzeug-Beats reihen sich Balladen wie „Happiness is a butterfly“ („If he’s a serial killer, then what’s the worst / that could happen to a girl who’s already hurt“) oder „Bartender („the poetry inside of me is warm like a gun“) sehr meditativ aneinander. Ausreißer sind „Venice Bitch“ mit psychedelischen E-Gitarrenspielen und das Sublime-Reggae-Cover „Doin’ Time“. Den Mood des Albums beschreibt der Titel eines seiner Tracks am treffendsten: California. Beach-Boys, Drogenprobleme und Streifzüge über den Hollywood-Boulevard gehören zu den Standard-Images Lanas Alben und mit ihnen schließt sie auch jetzt an alte Werke an.

Der blonde Kanye

Auch jüngere Erlebnisse verarbeitet Lana Del Rey. Ein Post Kanye Wests, der im vergangenen Jahr Donald Trump unterstützen sollte, hatte die Künstlerin öffentlich am Mehrwert Kanyes Kunst zweifeln lassen. Folgende Zeile aus „The Greatest“ trägt damit umso mehr Kraft und spielt auch auf Trumps Ideen für neue Weltraummissionen an: „Kanye West is blond and gone / Life on Mars ain’t just a song“.

„Norman F**king Rockwell!“ liefert eine Menge Stoff für Spekulationen über Lana Del Reys künstlerische Identität. Lana wagt, zu ihren Ursprüngen zurückzukehren und dabei auf die stilistischen Elemente zu verzichten, die sie so tief in unserem musikalischen Bewusstsein verankert haben. Das Ende des „Doin’ Time“-Videos fasst das zusammen: Eine zierliche, blonde Lana Del Rey wie aus Lizzy Grant-Zeiten steht der Riesin Lana Del Rey gegenüber. Beide blicken sich an und die Große lächelt der Kleinen zu. Wie es weiter geht mit Lanas Musik, das wird die Zeit uns eröffnen. Erst einmal geht Lana auf Welttour, mit der sie im kommenden März auch in Köln Halt machen wird.