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bild: Sven Flessing

„Reflektierter Fortschritt“ – Ranga Yogeshwar über Künstliche Intelligenz und Ethik

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Seit diesem Jahr ist der bekannte Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar Honorarprofessor für Ethik und Wissenschaftskommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. In seiner Antrittsvorlesung am 14. November ging es um Künstliche Intelligenz. Im bonnFM-Interview vorab sprach er über das Offenwerden neuer Möglichkeiten und unsere ethische Verantwortung.

bonnFM: Die Vortragsreihe, bei der Sie heute Abend dabei sind, nennt sich „Wir müssen reden“. Warum müssen wir über künstliche Intelligenz reden?

Ranga Yogeshwar: Man muss darüber reden, weil KI an ganz vielen Stellen vollkommen neue Fragestellungen aufwirft. Fragestellungen, die zum Beispiel mit der Ethik zu tun haben. Also ein Klassiker ist, stell dir vor, es gibt ein autonomes Fahrzeug. Der Algorithmus ist so irrsinnig schnell, dass er Situationen, die für uns blitzschnell ablaufen, in Zeitlupe analysieren kann. Und jetzt entsteht folgende Dilemma-Situation: Da gibt es links eine Oma, rechts ein Kind und der Unfall ist nicht aufzuhalten. Für wen soll er sich entscheiden? Das ist nur ein Beispiel, aber wir haben auch in vielen anderen Bereichen Fragestellungen wo es darum geht: Wie weit darf Ethik und KI gehen? Wenn man zum Beispiel Bilderkennung macht, dürfen wir das? Oder wenn ich Bilder auswerte, dann kann ich zum Beispiel feststellen ob eine Person an Depressionen leidet, das kann man heutzutage mit einem Algorithmus ziemlich treffsicher sagen. Wenn wir überlegen, dass wir Bilder auf Instagram posten oder bei Fotobüchern hochladen, dann ist die nächste Frage: Darf der Fotobuchhersteller diese Informationen überhaupt herausziehen aus den Daten?

bonnFM: Schwierige ethische Fragen, aber auch sehr abstrakt. Mit Blick auf unsere Gesellschaft, wo haben wir denn hier bei uns im Alltag überhaupt schon KI?

Ranga Yogeshwar: Wir haben zum Beispiel Handys, auf denen wir tippen. Und jeder kennt das, irgendwann fängt das Handy an vorzuschlagen, was das nächste Wort ist, und das funktioniert ziemlich gut. Wir haben inzwischen Kameras, die auslösen, wenn du lachst, oder Kameras erkennen auch den Menschen und stellen ihn automatisch scharf. Das sind alles Ergebnisse von KI. Also insofern nutzen wir das in unserem Alltag schon bei kleinen Gegenständen. Wenn wir Suchanfragen machen, finden wir das. Wenn wir im Internet surfen und irgendwann Profile erstellt werden, die uns sagen, dieses Produkt dürfte dich interessieren, dann ist oft dahinter sehr viel KI.

„Die KI fordert uns Menschen in unserem Menschsein“

bonnFM: Das sind alles Dinge, die wir so auch schon aus unserem Alltag kennen, mit denen wir aber wahrscheinlich in Zukunft noch sehr viel mehr zu tun haben werden. Was würden Sie denn sagen, vor welchen Herausforderungen steht unsere Gesellschaft im Hinblick auf KI?

Ranga Yogeshwar: Also es gibt sehr viele Chancen, zum Beispiel im Bereich der Medizin, wo durch KI in Zukunft eine bessere Diagnostik möglich ist. Ein weiteres Beispiel: Mobilität. Mithilfe von KI können Verkehrsströme besser koordiniert werden, was im Alltag heißt, man hat geringere Staus. Aber es gibt eben auch Bereiche wo man sehr vorsichtig sein muss. Wenn man zum Beispiel an autonome Waffen denkt, also Waffen die tatsächlich in der Lage sind, auf große Entfernung ihr Ziel selbstständig zu finden, es zu verfolgen und im schlimmsten Fall auch zu töten. Dann stehen wir vor einer sehr fundamentalen Fragestellung, nämlich: Darf eine Maschine über Leben und Tod entscheiden?

bonnFM: Das ist genau der ethische Aspekt, um den es heute ja auch in Ihrem Vortrag gehen soll. Warum genau sind Ethik und KI so eng miteinander verbunden?

Ranga Yogeshwar: Die KI fordert uns Menschen in unserem Menschsein, und sie zeigt uns Grenzen auf. Es liegt an uns, an der einen oder anderen Stelle zu entscheiden: Wie weit wollen wir gehen? Was darf sich verändern und was muss bleiben, also wie ist unser menschliches Selbstverständnis? Wollen wir auf Dauer nur noch als Menschen behandelt werden, die nichts anderes sind als die Summe ihrer Daten? Da gibt es schon Anwendungen, die fragwürdig sind. Wenn man beim Rekrutieren von Personal KI einsetzt, um die Bewerber im Vorfeld auszusortieren, zum Beispiel nur aufgrund der Tatsache, dass man Wörter analysiert, dann gibt es problematische Aspekte dabei. Darf man einen Menschen reduzieren auf seine Daten oder ist ein Mensch mehr? Oder wir haben andere Beispiele, wo KI Entscheidungen fällt, ohne dass wir genau verstehen, warum. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Rückfälligkeit von Straftätern zu evaluieren. Da wurden auch KI-Algorithmen angewendet. Und man hat im Nachhinein festgestellt, dass die nicht sehr fair sind, also dass es etwas gibt, was man „bias“ nennt, also Vorurteile. Dass in den USA zum Beispiel Schwarze deutlich mehr verdächtigt werden, als Weiße, obwohl sich das nicht mit der Realität deckt. Überall dort müssen wir nachgucken.

„Mein Traum ist es, Informatik und Ethik miteinander zu verbinden“

bonnFM: Macht es Ihnen persönlich auch manchmal Angst, dass die KI in Zukunft wahrscheinlich noch mehr in unser Leben integriert sein wird?

Ranga Yogeshwar: Nein, ich gehöre nicht zu denen, die immer beim Wort KI direkt an Angst denken. Ich glaube das ist einfach unsere Aufgabe und unsere Verantwortung, die Zukunft mit KI zu gestalten. Für mich ist in Deutschland vielmehr wichtig, dass wir kompetent werden. Also im Moment beurteilen wir Systeme, die gar nicht in Deutschland entwickelt werden, sondern in China oder in den USA. Aber wir müssen nicht reagieren auf das, was kommt, sondern wir müssen auch aktiv gestalten können. Das bedeutet, wir brauchen Hochschulen, die besser ausgestattet sind, wir müssen eine höhere Sensibilität haben, was solche KI-Projekte betrifft.

bonnFM: Ist das der Grund, weshalb Sie auch an Hochschulen gehen und Vorträge zum Thema KI halten, um Studierende, also gerade jüngere Leute, darüber aufzuklären?

Ranga Yogeshwar: Ja, das ist der Grund. Und ich glaube, dass wir heute in einer Welt leben, wo der technische Fortschritt so viel verändert, dass es eben auch ethische Aspekte gibt. Das heißt, wenn zum Beispiel ein junger Student heute Elektrotechnik oder Informatik studiert, muss er sich bewusst machen, dass er möglicherweise an Projekten arbeitet, die gesellschaftlich einige Konsequenzen haben. Und da ist es mir sehr wichtig, dass wir lernen, diese Verantwortung in das Studium hinein zu implementieren. Also nicht nur Informatik und Ethik getrennt zu sehen, sondern mein Traum ist es, beides miteinander zu verbinden. Manchmal denke ich darüber nach, ob Techniker so etwas wie einen hippokratischen Eid ablegen sollten, also dass sie wirklich selber auch sagen: Ich möchte Programmierer werden, aber ich werde mich nicht in den Dienst von Leuten, Unternehmen oder Projekten stellen, die am Ende möglicherweise gefährlich sind für eine Gesellschaft.

„Wichtig ist die Offenheit für den Fortschritt

bonnFM: Was ist denn Ihre Vision für unseren Umgang mit KI in der Zukunft, was würden Sie sich wünschen?

Ranga Yogeshwar: Mein Wunsch ist: Offen sein. Also auch gucken, was geht, denn wir stehen gerade am Anfang. Es ist nicht so, dass KI jetzt fertig und abgeschlossen ist, sondern diese Entwicklung ist sehr dynamisch. Und es ist durchaus möglich, dass in den nächsten Jahren ganz andere, neuere Methoden kommen, die vielleicht im wahrsten Sinne intelligenter sind, als das, was wir heute nutzen. Aber wichtig ist, diese Offenheit zu behalten, die ich total spannend finde, und die Chancen zu sehen. Aber eben das zu machen, was ich „reflektierten Fortschritt“ nenne, also nicht einfach drauf los, nur weil es technisch möglich ist, sondern darüber nachdenken: Wo und wie müssen wir einen Fortschritt gestalten, der für alle Menschen auch wirklich einen Gewinn darstellt.

Geführt haben das Interview Laura Meyer und Lisa Brinkmann