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#SOWIbleibt – Was passiert gerade mit meinem Studiengang?

Lesezeit: 4 Minuten

Wir haben uns mit der Debatte rund um die Änderungen des Studienfaches Sozialwissenschaften beschäftigt und erklären euch worum es geht, welche Standpunkte vertreten werden und räumen mit Missverständnissen auf. Dafür haben wir mit dem GEW NRW und der FDP Sprecherin Frau Müller-Rech gesprochen.

Die Studierenden der Sozialwissenschaften unter euch werden die Debatte um #SOWIbleibt vermutlich mitbekommen haben. Das Studienfach Sozialwissenschaften auf Lehramt soll aufgrund von inhaltlichen Änderungen des gleichnamigen Schulfachs angepasst werden und darüber hinaus steht eine Umbenennung in Wirtschaft-Politik zur Diskussion. Dies sorgte in den letzten Wochen für Aufregung und Verunsicherung bei Studierenden. Im Gespräch mit der bildungspolitischen Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion Frau Müller-Rech, Tobias Löttgen vom GEW NRW (Bildungsgewerkschaft Nordrhein-Westfalen) und betroffenen Studierenden soll mehr Klarheit über die aktuelle Lage und Kritik am Vorhaben verschaffen werden.

Um welche genauen Änderungen geht es?

Wichtig ist es zu verstehen, dass die Änderungen an den Schulen selbst bereits stattgefunden haben und dass der Fokus der aktuellen Debatte auf einer möglichen Anpassung des Studienganges liegt. CDU und FDP haben sich 2017 im Koalitionsvertrag darauf verständigt das Schulfach Ökonomie einzuführen. Allerdings ging man dann doch dazu über, im Schuljahr 19/20 an Gymnasien bzw. 20/21 an allen weiterführenden Schulen Anpassungen der Kernlehrpläne für die Sekundarstufe l. in Sozialwissenschaften vorzunehmen. Dafür wurde die Stundenzahl für die Gesellschaftswissenschaften erweitert und die zusätzliche Zeit für ökonomische Bildung verwandt. Jede/r Schüler/in, der/die nach der 10. Klasse von der Schule abgeht, soll so genügend ökonomische Bildung erfahren haben. An den Lehrplänen der Sekundarstufe ll. wurde nichts geändert.

Die aktuelle Diskussion beschäftigt sich mit der Vorbereitung der Lehrämter auf die neuen Unterrichtsinhalte und auf die Umbenennung des Faches in Wirtschaft-Politik. Für Verwirrung hatte ein Interview des Staatssekretärs Matthias Richter im Spätsommer 2020 in der Wirtschaftswoche gesorgt, in dem behauptet wurde, dass Studierende der Sozialwissenschaft, sowie bereits unterrichtende Lehrer/innen einen zusätzlichen Zertifikatskurs ablegen müssen, um die Lehrberechtigung für das Fach Wirtschaft-Politik zu erlangen. Diese Behauptungen wurden bereits als ungültig erklärt und das Schulministerium hat zugesichert, dass die Studienabschlüsse ihre Gültigkeit behalten. Daher muss niemand Angst haben mit dem Studium ins Leere zu laufen, wenn doch einige offene Fragen bleiben.

Die Änderungen des Studienfachs sollen zum nächsten WS21/22 durchgesetzt sein. Zurzeit wird eine Verbändeanhörung zu dem aktuellen Entwurf ausgewertet. Dann soll der Entwurf im Landtag, unter Einbeziehung von Expertenmeinungen, noch einmal diskutiert werden, so Frau Müller-Rech. Somit ist noch nichts in Stein gemeißelt und es bleiben noch Möglichkeiten eine konstruktive Debatte über die möglichen Änderungen zu führen.

Wie fühlen betroffene Studierende sich?

Nach besagtem Interview mit Herrn Richter waren viele Studierende zunächst mit Zukunftsängsten und Unsicherheit konfrontiert. Diese Sorgen haben sich glücklicherweise als unbegründet erwiesen und doch ist es schade, dass die Kommunikation nach wie vor die Studierenden selbst größtenteils ausschließt. Die Betroffenen wollen nicht das letzte Glied in der Kommunikationskette sein und über die wichtigen Entscheidungen, die ihr eigenes Leben betreffen, zumindest genügend und verlässlich informiert werden.

Aktuelle Skepsis bereitet der Umgang mit den soziologischen Inhalten des Studiums, da das Fach Sozialwissenschaften interdisziplinär aufgebaut ist (Sozialökonomie, Politikwissenschaften und Soziologie). Viele wollen nicht, dass an der gleichberechtigten Fächeraufstellung gedreht wird. Sicher ist, dass Soziologie nicht gestrichen wird, aber die genauen Ausmaße der geplanten Änderungen und eventuellen Kürzungen bleibt schwerlich zu durchblicken. Einige Studierende legen darüber hinaus viel Wert auf die Soziologie als wichtigen Bestandteil der Entwicklung einer politischen Mündigkeit und als eigenes Hauptinteressensfeld, dass für sie das Studium überhaupt erst attraktiv gemacht hat. Es wäre falsch zu glauben, im derzeitigen Studienverlauf würden keine oder wenig wirtschaftliche Inhalte vermittelt werden, da diese durchaus einen großen Teil des Studiums ausmachen. Studierende sehen ihre Leistung nicht genügend geschätzt, wenn die geplanten Anpassungen des Studienganges mit dem Fehlen von genügend ökonomischen Inhalten begründet werden.

Viel Wind um nichts?

Die GEW NRW sieht eine Anpassung des Studienfaches als unbegründet an und hat Sorge um die Interdisziplinarität des Faches, besonders im Hinblick auf die Soziologie. Natürlich sollen die Studierenden gut auf ihr späteres Berufsleben vorbereitet sein, allerdings darf die Qualität der fachwissenschaftlichen Ausbildung nicht darunter leiden und zu sehr an schulische Inhalte geknüpft werden. Damit würden Karrierechancen der Studierenden eingeschränkt, die sich nach Beendigung ihres Studiums für eine andere Laufbahn als die des klassischen Lehramts entscheiden.

Weiterhin irritiert die Widersprüchlichkeit zwischen einer Umbenennung des Faches und angeblich inhaltlich nur leichten Anpassungen. Da in der Sekundarstufe ll keine inhaltlichen Änderungen stattgefunden haben, müssen die zukünftigen Lehrer/innen, zumindest an Gymnasien und Gesamtschulen, genauso gut in soziologischen Themen vorbereitet sein wie zuvor. Die Namensänderung erscheint damit unnötig und es stellt sich die Frage, ob in der ganzen Debatte nicht viel Wind um nichts gemacht wurde. Auf der anderen Seite besteht die Sorge, dass so ein schleichender Prozess eingeleitet wird, der eine strukturelle Umorientierung des Faches zu Gunsten der Ökonomie bewirkt und damit das angestrebte Gleichgewicht der drei Disziplinen gefährdet.

Wunsch nach mehr Einbeziehung und Unterstützung

Die Grundfrage besteht wohl darin, was man unter effektiver Bildung und Ausbildung politischer und demokratischer Mündigkeit versteht und welche Inhalte einem dafür wichtiger erscheinen, beziehungsweise mehr am Herzen liegen. Auf der einen Seite kann man es für wichtiger Halten, dass den Schüler/innen und somit den Studierenden beigebracht wird, wie sie Verträge abschließen, welche Verbraucherrechte es gibt und vielleicht auch wie man eine Steuererklärung macht. Auf der anderen Seite kann man argumentieren, dass es bei beispielsweise wachsendem Radikalismus wichtig ist, den Menschen beizubringen, wie eine demokratische Gesellschaft funktionieren kann. Diese Frage muss am Ende jede/r für sich selbst beantworten. Es bleibt zu wünschen, dass die Debatte unter Einbeziehung aller Gesprächsparteien entschieden wird und dass Missverständnisse in Zukunft vermieden werden. Darüber hinaus sollten Betroffene, also in erster Linie Studierende bzw. deren Vertretungen, nicht übergangen und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Denn jede gute Lehrkraft wird dringend gebraucht und ist willkommen.