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Warum „All lives matter“ bullshit ist..

Lesezeit: 4 Minuten

Diese Kolumne gibt die subjektive Meinung der Autorin wieder.

.. und Rassismus gegenüber Weißen nicht existiert. Eine längst überfällige Kolumne über strukturellen Rassismus, Polizeigewalt, diskriminierende gesellschaftliche Strukturen und die eigene Ohnmacht.

Übelkeit. Schock. Frustration. Wut. So viel Wut. Und doch so viel Hilflosigkeit. Meine Gefühle der letzten Woche bewegten sich vor allem auf diesem Spektrum, immer begleitet von einer Schockstarre bedingt durch meine eigene Unfähigkeit, irgendetwas tun oder bewegen zu können. Meine Gefühle, seit ich zum ersten Mal von dem Video gehört habe. Ich sage explizit nur gehört, denn ich habe es mir nicht angesehen. Alleine die unzähligen Male, die ich das Thumbnail in den Instagram-Storys von Bekannten gesehen habe – ohne Vorwarnung, ohne Triggerwarnung. Gelegenheiten hätte ich also genug gehabt, aber aus Selbstschutz habe ich jedes Mal weitergeswipet. Ich möchte es mir nicht antun. Ich brauche nicht erklären, von welchem Video ich rede, denn jeder sollte mitgekriegt haben, was passiert ist. Was wieder einmal passiert ist, denn leider Gottes war der Mord an George Floyd kein Einzelfall. Weder in den USA noch in Deutschland, noch sonst wo. Gewalt gegenüber Schwarzen Menschen und PoC* ist allgegenwärtig. Sie wird tageweise in den Mittelpunkt der Medien gerückt, wenn wieder einmal ein tragisches Video oder Bild auftaucht, nur um nach einer Woche wieder in Vergessenheit zu geraten. Bis zum nächsten Mal, dann geht alles von vorne los.

„I can’t breathe“

Ich lese diese Worte, die letzten Worte von George Floyd, und bin plötzlich wieder 14. Denn genau diese Worte sagte auch Eric Garner, der im Juli 2014 von Polizisten erwürgt wurde. Jetzt ist sechs Jahre später – und nichts hat sich verbessert. Nichts hat sich verändert. PoC werden noch immer kriminalisiert, diskriminiert, getötet. Und die TäterInnen nicht zur Rechenschaft gezogen. Trayvon Martin 2012 , Mike Brown 2014, Ahmaud Arbery 2020, drei Namen auf einer gefühlt endlosen Liste.

Der Mord an Trayvon Martin war der Auslöser für die Gründung der Black Lives Matter Bewegung 2013, die sich seitdem gegen Rassismus und Polizeigewalt einsetzen. Der Mord an Mike Brown zog Proteste und Unruhen in Ferguson nach sich, und bleibt mir auch heute noch prägend in Erinnerung als ein erster großer Aufschrei angesichts polizeilicher Willkür und struktureller Diskriminierung in einem System, das sich nie mit seinem internalisierten Rassismus auseinandergesetzt hat. Der Mord an Ahmaud Arbery schließlich ist ein weiterer Fall von Rassismus, der sich in die lange Liste einreiht, ein weiterer Hashtag im Internet. Und ich weigere mich, diese ermordeten Menschen zu Hashtags werden zu lassen, zu ihren letzten Worten, zu einer weiteren Zahl in der Statistik.

(K)ein amerikanisches Problem?

Wir alle kennen die waffenliebenden US-AmerikanerInnen, ihre Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels, die Behandlung von Schwarzen Menschen als BürgerInnen zweiter Klasse bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. „Kein Wunder, dass die Amerikaner so sind“, sagen wir gerne. „Zum Glück gibt es solche Fälle bei uns nicht.“ Nicht? Der Anschlag von Hanau ist knapp drei Monate her, es gibt weiterhin fast täglich Fälle rassistischer Angriffe gegen PoC.

„Aber das sind ja alles noch recht harmlose Fälle, außerdem ist die deutsche Polizei nicht so gewalttätig und rassistisch wie die US-amerikanische.“ Auch hier wage ich zu behaupten, dass Deutschland was das angeht nicht unschuldig ist. Oury Jalloh starb 2005 in Polizeigewahrsam bei einem Brand, gefesselt an seine Matratze. Noch heute ist nicht vollständig aufgeklärt, was damals passiert ist. Laya-Alama Condé wurde des Drogendealens beschuldigt und starb, nachdem ihm 2004 mit Gewalt Wasser und Brechmittel eingeflößt wurden. Der zuständige Arzt wurde zwei Mal freigesprochen. Rooble Warsame, ein Flüchtling, wurde 2019 festgenommen und starb in seiner Zelle. Es soll Suizid gewesen sein, seine Angehörigen stellten in der Zelle jedoch fest, dass es dort keine Möglichkeiten gibt, sich das Leben zu nehmen.

Rassismus tötet und ich kann nichts tun

Das ist wahr. Ich kann nicht zu jedem/jeder einzelnen Rassisten/Rassistin hingehen, mit jedem Polizisten/jeder Polizistin sprechen. Ich kann nicht mit den Fingern schnipsen oder mir von einem Flaschengeist wünschen, dass wir uns alle gegenseitig lieb haben. So funktioniert die Welt nicht. Es liegt in der Verantwortung eines jeden einzelnen, etwas zu tun und gegen die internalisierten, jahrhundertealten Strukturen zu kämpfen. „Aber was? Was kann ich, eine Einzelperson, schon groß ausrichten?“ Es ist immer noch besser wenig zu tun als nichts zu tun, und du kannst bereits in deinem Umfeld damit anfangen.

Weise FreundInnen, Familie, Bekannte, GesprächstpartnerInnen auf versehentliche oder auch bewusste rassistische Aussagen hin, anstatt diese unkommentiert stehen zu lassen. Überlasse nicht nur BIPoC* die Aufgabe, andere andauernd korrigieren zu müssen und ihren internalisierten Rassismus aufzudecken. Zeig dich als Unterstützer, nimm BIPoC ernst, nimm ihre Ängste ernst, stelle dich schützend vor sie (sowohl im übertragenen Sinne, als auch wortwörtlich, falls es nötig sein sollte). Sprich ihnen ihre Rassismuserfahrungen nicht ab, hör ihnen stattdessen zu. Sei nicht nur nicht rassistisch, sondern aktiv anti-rassistisch.

Es gibt ganze Dokumente bei Google Docs (Bsp. 1 , Bsp. 2), in denen Links gesammelt wurden zu Petitionen, Spendenaufrufen, Hintergrundinformationen. Es gibt unfassbar viele Ressourcen und Quellen, um sich zu informieren. Informiere dich und teil dein Wissen mit anderen, kläre sie auf. Auch Proteste und Demonstrationen wurden angekündigt, ob man jedoch in Zeiten einer Pandemie an ihnen teilnehmen möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

Und zum Schluss: Lest Bücher von BIPoC, schaut ihre Filme, hört ihre Musik, unterstützt ihre Kunst, stellt sie in euren Betrieben ein. Lasst sie nicht an den Rand gedrängt werden, hört ihre Stimmen und gebt ihnen die Plattform, die wir durch unsere Privilegien als Weiße Personen haben. Denn ich schließe mich da selbst mit ein, auch ich bin Weiß, auch ich sollte alles in meiner Macht stehende tun, Rassismus anzuprangern und (Polizei-)Gewalt gegenüber BIPoC zu verurteilen. Jeder Mord an einer BIPoC ist einer zu viel, egal, ob in den USA, in Deutschland oder sonst wo. Denn wir können nicht sagen „all lives matter“, solange es offensichtlich ist, dass eben nicht alle Leben wichtig und gleich sind.


*PoC – Person/People of Colour; Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen

*BIPoC – Black, Indogenious, People of Colour; Schwarze und Indigene sind anders von negativem Rassismus betroffen

Anmerkung: Weiße/Schwarze Menschen hier großgeschrieben, da es eine politische Zuschreibung ist