You are currently viewing “werther.live” – Digitales Theater für Zuhause
Bild: werther.live

“werther.live” – Digitales Theater für Zuhause

Lesezeit: 4 Minuten

Jetzt auch noch Theater digital? Funktioniert das denn überhaupt? Die Gruppe um das Stück “werther.live” hat Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ in das digitale Zeitalter geholt und zeigt, dass digitales Theater etwas Anderes ist, als das bisher bekannte analoge. Ein neues Format entsteht.

Auf dem Bildschirm: ein Zoom- Meeting. Ein vertrautes Bild. Doch dieses Mal sind es keine gelangweilten Kommiliton*innen oder schwarze Kacheln, sondern Werther und Willy, die über das Leben philosophieren. Im digitalen Theaterstück über den Livestream. Auch zum Interview über das digitale Theaterstück “werther.live” treffen wir Cosmea Spelleken​ (Regie und Buch), Jonny Hoff (spielt Werther) und Lotta Schweikert (Regieassistenz und Live-Schnitt) im Zoom-Meeting. Der Alltag ist eben digital geworden.

“werther.live” hat den Werther aus „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe in die Gegenwart geholt. In Zoom- Meetings und Instagramprofil. Denn das Stück findet coronakonform ausschließlich auf digitalen Plattformen statt. An Stelle eines Spaziergangs steht also ein Zoom-Meeting und statt Briefen gibt es WhatsApp-Chats. Dabei ist jede Aufführung anders, denn nur die Inhalte der einzelnen Szenen stehen fest. Der Rest wird improvisiert. So werden immer andere Wortlaute benutzt und andere Instagramprofile durchgescrollt. Das Stück hängt auch sehr vom Publikum ab, sagt Cosmea: „Je nach dem wie viel die Zuschauer mit den Figuren über Instagram oder Facebook interagieren, hat das Stück einen anderen Drive und eine andere Dynamik. Also es ist wirklich jedes Mal anders.“

Jonny Hoff als Werther
Bild: werther.live

Mehr Intimität als im analogen Theater

Das digitale Theater spielt mit den Sehgewohnheiten der Menschen. Also mit den Bildern vom Bildschirm, die wir alltäglich gewöhnt sind zu sehen . Da es heute eine der intimsten Sachen ist, jemandem auf den Bildschirm zu schauen und dadurch dass sich das Stück nur auf Werthers Desktop abspielt , erleben die Zuschauer*innen eine unglaubliche neue Art der Intimität. Der digitalen Intimität. Auch für die Schauspieler*innen ist es eine viel engere Zusammenarbeit, sagt Jonny. Obwohl 500 Zuschauer*innen dabei sind, ist er gefühlt trotzdem alleine mit seinen Kolleg*innen. Außerdem ermöglicht das digitale Format, mit Hilfe der Social Media-Kanäle, die Figuren sehr vielschichtig aufzubauen und diese auch authentischer zu spielen. Jonny erzählt: „Wir spielen, dass wir nicht spielen.“ Denn die Schauspieler*innen sprechen ganz natürlich, da man sie nicht bis in die letzte Reihe hören muss, wie sonst beim analogen Theater.

Bleibt das digitale Theater auch nach Corona?

Viele Theater denken auch schon über eine digitale Sparte nach und auch Cosmea hofft, dass das digitale Theater bleibt: „Ich glaube auch nicht, dass das analoge Theater einfach so weitermachen können wird, wie vor Corona. Ich fände das auch ehrlich gesagt falsch, […] einfach so zu tun, als wäre das nicht da gewesen und als würde sich die Gesellschaft nicht einfach in eine digitale Richtung entwickeln. […] Wir sind es einfach alle inzwischen gewohnt viel Zeit an unseren Handys und an unseren Laptops und an Bildschirmen zu verbringen und ich finde, dafür gibt es im Theater und im Film noch keine richtige Darstellungsform.“ Situationen, die sich im Internet abspielen, können im Film oder im Theater nicht wirklich authentisch nachgespielt werden, erklärt Cosmea. Erst, wenn Geschichten, die in diesem Medium stattfinden auch in diesem Medium gespielt werden, werden sie richtig erzählt. Und genau das macht werther.live.

Im digitalen Theaterstück sind auch die Figuren im Internet unterwegs. Hier ein Chatverlauf mit Protagonist Willy. Bild:
Chatverlauf mit Protagonist Willy
Bild: werther.live

Schwierigkeiten des Digitalen

Nah an Goethes Original strickte Cosmea ein Grundgerüst und wählte die Plattform, auf der die jeweilige Szene gespielt werden sollte. Erst durch Improvisation in den Proben entwickelten sie alle zusammen den Text. Bei den Regiearbeiten stellte sich Cosmea dann die Frage, wie man genug Dichte und Tempo in das Stück bekommt. Denn das Spannende vom neuen Format stellt gleichzeitig eine Schwierigkeit dar: Der Moment wird in einem und ohne Schneiden dargestellt, wie im analogen Theater. Aber alles findet auf dem Bildschirm statt, wie im Film. Die Proben fanden über vier Monate ausschließlich digital statt. Dabei haben sich Klara Wördemann (spielt Lotte) und Jonny noch nie in echt gesehen. Cosmea verbietet das auch weiterhin, um den authentischen ​Charakter des Stückes aufrecht zu erhalten, erzählt Jonny mit einem Augenzwinkern. Für Jonny ist es sein erstes digitales Theaterstück. Dabei bezweifelte er anfangs der Aufgabe gewachsen zu sein, nebeneinander Schauspielern und die Technik zu verwalten. Doch durch viele Proben wurde “werther.live” nun ein voller Erfolg.

Vom ersten Test-Streaming bis hin zu den ersten Auszeichnungen

Lotta erinnert sich, wie Leonard Wölfl (Technik) im Mai 2020 einen Anruf von Cosmea bekam. Sie fragte, wie denn ein digitales Theater funktionieren könnte. Sofort machten sie ein Test-Streaming mit Lotta in der Küche, ihm selber im Wohnzimmer und Cosmea am Telefon. „Und dann haben wir angefangen zu planen, technisch, produktionsmäßig, zu casten und dann kam das alles irgendwie zusammen. […] Es war für uns alle ein riesiges Experiment und ich habe, vor allem zu dem Zeitpunkt, aber auch später, echt noch gar nicht gewusst wo es hinläuft.“, erzählt Lotta weiter. Das erste Ziel war eine Premiere und nun wurde die Gruppe von “werther.live” mit dem Deutschen Multimediapreis ausgezeichnet und in die Top 10 des virtuellen “nachtkritik-Theatertreffens 2021” gewählt. Die Gruppe kann ihren Erfolg selbst kaum fassen. Nachdem sie Geld vom Kulturamt beantragt hatten, dachte Cosmea: „Jetzt müssen wir es wirklich machen und jetzt muss es auch wirklich funktionieren.“ Und das tat es dann auch. Eine kleine Fanbase denkt sich jetzt sogar Werther-Memes aus.

Wie geht es weiter?

Letzte Woche hat sich die Gruppe von “werther.live” in einem Zoom- Meeting dazu entschieden ein Kollektiv zu gründen. Ihr nächstes Stück kommt vielleicht im Herbst 2021, aber bisher gibt es noch kein konkretes neues Projekt. Auch ein Name muss noch gefunden werden. Aber eins ist sicher: es geht weiter. Und bis dahin ist “werther.live” im Sommer hoffentlich auf einigen Theaterfestivals zu sehen. Die nächsten Vorführungen sind am 27.02. und am 04.03. um jeweils 20:00 Uhr. Mehr Infos dazu findet ihr hier: https://werther-live.de/.Charakter des St ücke s aufrecht zu erhalten , erzählt Jonny mit einem Augenzwinkern. Für Jonny ist es sein erstes digitales Theaterstück. Dabei bezweifelte er anfangs der Aufgabe gewachsen zu sein, nebeneinander Schauspielern und die Technik zu verwalten. Doch durch viele Proben wurde werther.live nun ein voller Erfolg.