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Bild: Bundesarchiv / Wikimedia Commons

„Wir wollen nicht mehr die Opfer sein, sondern wollen unser Land mitgestalten!“

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Erst 54 Jahre nach Kriegsende wurde in Bonn eine Gedenktafel für die von Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Bonner Sinti in der Nähe des Hauptbahnhofs errichtet. Vor Jahren wurde die Tafel abmontiert und seitdem nicht wieder aufgestellt. Kürzlich wurde die Bonner Verwaltung aufgefordert, einen neuen Standort vorzuschlagen. Dieses Mal in enger Absprache mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW. Wir sprachen mit dessen Vorsitzenden, Roman Franz.

bonnFM: Herr Franz, vielleicht können Sie kurz den Fall schildern, um den es geht.

Roman Franz: Das Thema ist das Mahnmal in Bonn, wo wir schon sehr, sehr lange Gespräche geführt haben mit der Stadt. Wir hatten große Schwierigkeiten, überhaupt zu erreichen, dass das Mahnmal aufgestellt wurde. Nun hatte man die Tafel abgebaut, weil da Reparaturarbeiten gemacht werden mussten vor dem Platz. Wir haben dann ein paar Mal geschrieben (an das Kulturamt der Stadt Bonn, Anm. der Red.). Man hat uns mehr oder weniger immer gesagt: „das dauert noch“. Jetzt letztens hat man uns benachrichtigt, dass es weitere sechs Monate dauern werde. Daraufhin habe ich dann nochmal geschrieben: wieso dauert das jetzt so lange?

„Nach dem Krieg hat man gesagt: das wussten wir nicht. Heute weiß man es.“

bonnFM: Warum ist das Mahnmal wichtig für die Stadt?Roman Franz: Das Mahnmal ist nicht nur wichtig für uns Sinti oder Roma, sondern dieses Mahnmal ist auch sehr, sehr wichtig für die Mehrheitsgesellschaft. Es soll uns daran erinnern, zu was der

Nationalsozialismus geführt hat. Das ist gerade in dieser Zeit äußerst wichtig, weil wir ja gesehen haben und sehen, wie sich unser Land langsam entwickelt. Dass wir Leute von der AfD im Landtag haben, wir Leute auf den Straßen haben, die den Hitlergruß machen. Was vor Jahren mehr im Verborgenen gemacht worden ist, machen die jetzt freiweg und es wird ja auch von vielen Menschen positiv gesehen, sonst würden sie ja mit denen nicht mitlaufen. Nach dem Krieg hat man gesagt: das wussten wir nicht. Heute weiß man es. Wenn diese Menschen da mitlaufen, sind das für mich persönlich keine Wutbürger, sondern das sind dann Bürger, die den Nationalsozialismus bei uns wieder wollen. Und das kann es ja wohl nicht sein.

bonnFM: Wie ist denn gerade der Stand, hat sich das Kulturamt schon bei Ihnen gemeldet?

Roman Franz: Frau König (Leiterin des Kulturamts, Anm. der Red.) hat sich gemeldet. Man hat uns mitgeteilt, dass wir jetzt die nächsten Tage Terminvorschläge bekommen, um einen anderen Standort zu suchen. Und sie wollte das erst abklären und wollte mich dann einladen, dass wir das dann besichtigen können, gemeinsam.

bonnFM: Wie lief die Zusammenarbeit mit Städten in NRW bislang?

Roman Franz: Ehrlich gesagt, schleppend. In den Städten, die wir angefragt haben, zum Beispiel Bonn oder Dortmund, wollte man davon eigentlich nichts wissen. Und wenn man dann gesagt hat: okay, dann machen wir das, dann wollte man uns am Rand, am liebsten im Wald ein Mahnmal machen, wo man nicht hinkommt. Das wollten wir nicht, wir wollten das ja öffentlich machen.

„Die Mehrheitsgesellschaft sollte langsam mal wissen, was mit Sinti und Roma geschehen ist!“

bonnFM: Was erhoffen Sie sich für die zukünftige Zusammenarbeit?

Roman Franz: In erster Linie ist das Ziel, dass die Gedenktafel wieder steht. Das zweite ist, dass wenn man sie aufstellt, dementsprechend auch ein Gedenktag eingerichtet wird. Warum? Weshalb? Nicht, dass dann jemand kommt und da langspaziert und überhaupt nicht weiß, was da passiert ist. Medien müssen vertreten sein, unsere Leute müssen vertreten sein und natürlich auch Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft.

Es ist so, dass auch die mehr oder weniger offene Mehrheitsgesellschaft langsam mal wissen sollte, was geschehen ist mit Sinti und Roma. Die Zeit, in der man sagte, „die Zigeuner kommen, hängt die Wäsche weg!“, ist vorbei. Diese Vorurteile, die sind ja, Gott sei Dank, ausgeräumt worden mit und dank unserer Öffentlichkeitsarbeit, die wir geleistet haben in Schulen, in Institutionen.

bonnFM: In der Vergangenheit gab es großen Streit um die Bezeichnung einer Grillsauce. Wie haben Sie diese Debatte wahrgenommen?

Roman Franz: Es kommt immer drauf an, wie man mit so einer Sache umgeht. Jeder, der Sinti und Roma ist, kann sich bezeichnen, wie er möchte. Er muss sich nicht als Sinti bezeichnen oder als Roma. Er kann sich auch als Zigeuner bezeichnen, sich selbst. Aber nicht alle Sinti und Roma. Die meisten Sinti und Roma, die wir kennen, möchten das nicht. Wir nennen uns selbst Sinti oder Roma und wir sind keine Zigeuner, wie uns die Faschisten genannt haben. Die haben uns den Namen gegeben, haben uns verglichen mit Dieben, wie sie die Juden verglichen haben mit Ratten: „Die Juden sind Ratten, die stecken uns an und wollen uns runterkriegen“. Wir wollen so benannt werden, wie wir eigentlich sind. In unserer Sprache gibt es auch kein Wort „Zigeuner“. In unserer Sprache gibt es ein Wort Sinti oder Roma. Und das sind wir nicht jetzt, sondern seit hunderten von Jahren nennen wir uns so.

bonnFM: Wie kann man dem Antiziganismus in Deutschland begegnen?

Roman Franz: Ich hatte das zum Beispiel als Kind erfahren. Zick, Zack, Zigeunerpack. Als Kind in der Schule. Geht doch dahin, wo ihr hergekommen seid. Und diese Erfahrungen haben ja auch fast alle Familien und dazu kann man dann natürlich auch sehr, sehr viel sagen. Man sollte auch den Landesverband anhören, denn der weiß ja am besten, wo Diskriminierung ist. Wir machen 40 Veranstaltungen im Jahr. Wir führen im Monat ca. 2000 Beratungsgespräche durch.

Es ist noch heute so, dass sich leider Gottes, viele Menschen von uns nicht outen. Wir haben Lehrer, wir haben Bürgermeister. Und das wissen viele Leute nicht. Wenn man sich kennenlernt, dann sind die Vorurteile schneller abgebaut, als wenn man was liest: da gab es Vorfälle, da gab es Vorfälle.

Wir wollen nicht mehr nur noch die Opfer sein, sondern wir wollen unser Land mitgestalten. Aber dazu gehört ein Staatsvertrag. Andere Bundesländer haben fast alle Staatsverträge, nur Nordrheinwestfalen stellt sich auf die Hinterbank.

„Wir können keine Nazis gebrauchen“

bonnFM: Letzten Monat wurde im Bundestag über Antiziganismus debattiert. Fast alle Parteien fordern einen Richtungswechsel im Umgang mit Antiziganismus. Allein die AfD stellte sich dagegen.

Roman Franz: Wir haben ja mit unserer Familie jeden Tag gesprochen über Antiziganismus, über Nationalsozialismus, das Dritte Reich, das haben wir Jahrzehnte lang mit unserer Familie besprochen. In der Mehrheitsgesellschaft ist das ja mehr oder weniger verleugnet worden. Denn der Großvater, der hat ja nicht zugegeben, dass er bei der SS war.

Ich erinnere an diese Sprache, diese Wortwahl. Das erinnert mich ganz, ganz stark an die Worte meines Vaters, wie sich damals die Nazis ausgedrückt haben, wie sie ihre Mimik gemacht haben. Wie sie das beigebracht haben. Es gab ja damals eine Rassenlehre in den Schulen. Die Kinder sind ja erzogen worden zum Nationalsozialismus. Die sagen immer, nee, die haben das nicht. Ich sehe, dass sie sehr, sehr weit rechts sind. Ich sage einfach, dass das Nazis sind. Da können die erzählen, was sie wollen. Wenn jemand diese Worte gebraucht, dann sind das für mich Nazis. Ich muss sagen, dass gerade diese Partei unserem Land sehr, sehr schadet. Wir haben eine Demokratie, die haben unsere Eltern und Großeltern erkämpft. Und das wollen diese Leute kaputt machen.

Unsere Briefkästen werden beschmiert mit einem Hakenkreuz. In einer Synagoge werden die Türen eingeschlagen. Es werden wieder Juden auf offener Straße verprügelt und Menschen outen sich nicht als Sinti oder als Roma, weil sie Angst haben, dann auf der Straße zu laufen oder ihren Job verlieren. Ich fordere die Politiker auf, sich strikt davon abzugrenzen, was ja auch viele Politiker, Gott sei Dank, machen. Und auch die Mehrheitsgesellschaft, dass die sagt: Nein, wir sind keine Nazis und wir wollen das nicht. Wir, in unserem Land, können keine Nazis gebrauchen.