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Von Türrahmen, Glühbirnen und ganz viel Liebe: Zirkus Roncalli in Bonn

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Das Circus Theater Roncalli spielt vom 10. Mai bis zum 1. Juni seine “Storyteller: Gestern-Heute-Morgen“ Tour in Bonn. Was hinter den Kulissen abgeht und ob die Artisten Angst um die Zukunft ihrer kleinen Welt haben müssen erfahrt ihr hier.

Alle Augen auf sich gerichtet, wirkt sie wie eine Königin. Eine Live-Band im Hintergrund unterstützt den magischen Moment, der sich hier den Zuschauern bietet und ein Schrei geht durch die Menge, als die Königin sich plötzlich fallen lässt und erst wenige Meter vor dem Boden wieder Halt in ihren Tüchern findet. Dabei sieht es so aus, als sei es ein Kinderspiel, wie Adèle Fame im Spagat durch die Höhen des Zirkuszeltes schwebt. Ich befinde mich auf der Zirkuspremiere vom Zirkus Roncalli auf seiner „Storyteller“-Tour in Bonn. Hier hatte der Zirkus 1976 seine Uraufführung. Seitdem tourt Roncalli weltweit. Zuletzt war er in Aachen, wo über 35.000 Zuschauer innerhalb von 3 Wochen die Sitzreihen rund um die Manege füllten. Sie alle wollen für einige Stunden dem Alltag entfliehen, Lachen und Spaß haben. Einmal wieder Kind sein. Einmal wieder staunen können.

„Alles was mit Liebe gemacht wird, wird geliebt.“

Adèle Fame ist, wie die meisten Roncalli-Artisten, in einer Zirkusfamilie aufgewachsen und hat bereits früh gelernt, dass ein Leben im Zirkus harte Arbeit ist. Zwei Mal pro Tag wird aufgeführt, die späte Show endet um 22.30 Uhr. Dann schminkt sie sich ab, duscht, fährt in ihren Wohnwagen nach Beuel, kocht sich etwas, isst und geht schließlich schlafen. Genau wie alle anderen Artisten, muss sie darauf achten, mindestens acht Stunden täglich zu schlafen, denn sie ist Profisportlerin und wird am nächsten Tag in dem jeweils lokalen Fitnessstudio trainieren und danach die Manege zur Probe nutzen. Dabei muss sie auch auf ihre Ernährung achten.

„Aber wir lieben das was wir tun, das spürt das Publikum“, sagt Markus Strobel, Leiter von Medien und Kommunikation der Roncalli Unternehmensgruppe. „Alles was mit Liebe gemacht wird, wird geliebt.“ Auch seine Tochter träume bereits davon auf der Bühne zu stehen, steige praktisch im Spagat aus dem Bett und laufe auf den Händen zum Frühstück. Seine Kinder wechseln alle 6 Wochen bis 2 Monate den Kindergarten, sind daran aber gewöhnt. Später werden sie eine Zirkusschule besuchen, denn sie sollen nicht zum Zirkus gezwungen werden. „Wenn sie später zum Beispiel einmal Anwältin werden möchte, unterstützen wir das genauso.“ Strobels Kinder werden deutsch-russisch erzogen, das ist ganz normal bei Roncalli.

Die 27 Artisten vertreten Nationen aus der ganzen Welt: Mexiko, Ecuador, Italien, Ukraine und viele mehr. „Bei uns darf jeder mitmachen egal welche Nationalität, Religion, Sexualität oder Geschlecht.“. Roncalli hat alles, was eine Stadt braucht: Eine Feuerwehr, eine Schule und ein Restaurant. Dafür reisen 150 Mitarbeiter mit, die sich um alles auf und hinter der Bühne kümmern und den Transport ermöglichen.

„Da könnte auch eine Neonröhre hängen, aber dann träumst du nicht.“

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Nach dem Gespräch mit Strobl betrete ich den ältesten Zirkuswagen. Im „Café des Artistes“, werden täglich warme Speisen angeboten. Hier ist die Zeit stehen geblieben: der Wohnwagen ist mit Holzdecken und Golddekorationen beschmückt, die Wände mit Bildern versehen.Wie alt der Wagen wohl ist, frage ich mich.

Ein weißhaariger Mann, Kaffee trinkend, Lederjacke tragend und durch eine dunkle Sonnenbrille blickend, weiß Antwort: Über 100 Jahre sei der Wagen alt. Ob er hier häufiger herkomme, da er sich auszukennen scheine, möchte ich wissen. Er nickt lächelnd. „Ja ich komme hier häufiger her. Ich bin der Zirkusdirektor.“ Ich nehme also neben dem Direktor, Bernhard Paul, Platz und will wissen, was Roncalli so besonders macht.

Es fallen die Worte „Poesie, Nostalgie, Qualität.“ Roncalli lebe davon Geschichten zu erzählen und Menschen träumen zu lassen. Dabei richtet sich das Programm an alle Altersgruppen und gerade dadurch sei Roncalli sehr erfolgreich. „Das ist natürlich eine Entwicklung und ein Weg bis man da ist, wo wir jetzt sind.“ Und dazu brauche es vor allem Arbeit und Liebe zum Detail, meint er und deutet auf die Nostalgieglühbirnen, die den Wagen beleuchten. „Da könnte auch eine Neonröhre hängen, aber dann träumst du nicht“.

Als Direktor hat Paul die Verantwortung für den Ablauf der Show, das Programm, die Ausstattung, die Geschichten die auf der Bühne erzählt werden und die Auswahl der Artisten. Die werden weltweit gecastet. Den Publikumsliebling, ein kleiner mexikanischer Clown, der sich „Chistirrin“ nennt, 12 Instrumente spielt und den „jeder einpacken will“, hat Paul beispielsweise auf einem Festival in Mexiko entdeckt und wird „nach und nach vom Rohdiamant zum Diamant geschliffen“. Leider ist Bernhard Pauls Job aber vor allem viel Büroarbeit, gibt er zu.Trotzdem strahlt er, als er mich ansieht und sagt: „Ich bin im Zirkus aufgewachsen und ich wusste immer, ich will Zirkus machen. Wenn du etwas liebst, musst du es machen!“

Zirkus als Vorreiter moderner Entwicklungen.

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Beim Verlassen des Wagens ducke ich mich nicht rechtzeitig und werde schmerzvoll daran erinnert, wie klein Menschen früher noch waren. Auffällig kleine Menschen waren übrigens vor 250 Jahren, als der Zirkus erfunden wurde, noch etwas, was man im Zirkus zur Schau gestellt hat. Bevor man mit Wildtieren arbeitete, bot man Shows mit extrem anders wirkenden Menschen: extrem klein, extrem dünn, extrem groß, man kann es sich wohl vorstellen, wie in dem Musical- Film „Greatest Showman“. Das hat sich mit der Zeit geändert und auch Wildtiere lässt Roncalli seit 1990 nicht mehr auftreten. Er ist sogar der erste Zirkus, der komplett Tierfrei ist, denn 2018 trennte sich der Zirkus von seinen Pferden. Dies wird mit lautstarkem Applaus vom Publikum befürwortet, genau wie die angestrebte Plastikfreiheit, mit der Zirkus Roncalli ein Vorreiter im Thema Klimaschutz sein möchte. Inzwischen bietet Roncalli auch vegetarische und vegane Speisen an. Die Beleuchtung wurde auf eine energiesparende Variante umgestellt, mit der nur noch 10 Prozent der vorherigen Energie verbraucht werden, ohne die Atmosphäre im Zelt zu zerstören.

Roncalli möchte ein Vorbild sein, denn Zirkus war schon immer Aussteller von technischen Fortschritten.  So stellte zum Beispiel der Circus Sarrasani um 1920, in Form einer von 10.000 Glühbirnen besetzten Fassade, die Errungenschaft der Glühbirne dar, von der Eltern ihre faszinierten Kinder pflücken mussten. „Der moderne Circus hat immer die neuesten Errungenschaften der Technik einfließen lassen“, schreibt Bernhard Paul. Heute, im Jahr 2019 beweist Roncalli weltweit zum ersten Mal, dass in Form von kreisrunder Holografie praktisch Alles in die Manege gezaubert werden kann. Auch mit der Roboterdame „Pauline“, mit der in der Show getanzt wird, zeigt Zirkus Roncalli, dass er versteht mit der Zeit zu gehen.

„Zirkus ist die einzige nicht an Lebensjahre gebundene Freude, die man mit Geld kaufen kann.“ – Ernest Hemmingway

Das zahlt sich aus: Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren gestiegen, Zirkus Roncalli tourt weltweit und stellt die besten Artisten der Welt ein. Nach der Show tobt das Publikum, alle Altersgruppen, vom Kind, das dem Clown noch eine „Gute Nacht“ gewünscht hat, über Studenten, bis hin zu Rentnern, die teilweise jedes Jahr die Roncalli Show besuchen. Sie alle sind überrascht von der Show. „Ich halte sonst nicht viel von Zirkus. Aber ich bin begeistert und werde meinen Eltern sagen, dass sie das hier sehen müssen.“

Ernest Hemmingway hat gesagt: „Zirkus ist die einzige nicht an Lebensjahre gebundene Freude, die man mit Geld kaufen kann.“ Wenn ihr kein Geld ausgeben wollt, habt ihr am 19. Mai zumindest die Möglichkeit am Tag der Offenen Tür, zwischen 10 und 12 Uhr Programmausschnitte zu sehen und einen Blick hinter die Roncallikulissen zu werfen, um Artisten bei den Proben zuzusehen oder den Kostümwagen zu besuchen.

Tickets fangen ab 15 Euro (12 Euro erm.) an und sind online auf www.roncalli.de buchbar. An der Circuskasse oder per Hotline: 0228/53409904, sind zudem weitere Angebote für Studenten, Freunde und Familien erhältlich.Vorstellungen sind Mittwoch bis Freitag um 15.30 Uhr und 20 Uhr, Samstag, 15 Uhr und 20 Uhr und Sonn-/Feiertag, 14 Uhr und 18 Uhr an der Adenauerallee im Bonner Stadtgarten.