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Bild: Anyul Rivas / flickr.com

Bernstein ist tot, lang lebe Dudamel!

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Und plötzlich springen alle euphorisch auf und winken mit ihren Nationalflaggen. Was klingt wie eine Torszene im Länderspiel, ist der vielleicht coolste Dirigent unserer Zeit.

Sobald Gustavo Dudamel ans Dirigentenpult tritt, wird es still im Saal. Eigentlich nichts Ungewöhnliches im Konzert, doch bei ihm ist es anders. Irgendwie schwingt da noch ein Temperament mit, dessen Spannung fast schon am Knistern ist und sich dann kurzerhand in ein feuriges Orchesterspiel entlädt. „Energie und Ekstase“, das seien seine beiden Lieblingswörter und wer ihm beim Dirigieren zuschaut, der lässt sich ohne Mühe von der energetischen Darbietung mitreißen. Doch Dudamel kann nicht nur Power. Der venezolanische Feuerkopf, wie er auch manchmal genannt wird, weiß auch Präzision zu schätzen, das beweist er besonders in Solo-Passagen, die er mit glasklarer Intensität an den Zuhörer bringt. Und nicht nur dieser Spagat zwischen feuriger Energie und scharfer Präzision beeindruckt, sondern auch seine Vielseitigkeit, seine Wandelbarkeit. Ob Brahms, Stravinsky oder John Adams – Dudamel versteht jedes Stück in seiner ganz speziellen Tonsprache rüberzubringen. Auch Uraufführungen sind da keine gescheute Seltenheit, sondern gern gesehene Abwechslung.

Musik ist etwas Wundervolles

Geboren in der venezolanischen Millionenstadt Barquisimeto als Sohn eines Posaunisten und einer Gesangslehrerin, war Gustavo Dudamel schon seit seiner frühen Kindheit für ein Musikerleben gezeichnet. Auch früh involviert wurde er in „El Sistema“. Das weltweit einzigartige staatliche Bildungsprogramm Venezuelas setzt seinen Fokus darauf, vor allem Kindern aus sozial benachteiligten Familien eine musikalische Ausbildung zu ermöglichen. „Wenn du Musik spielst, hast du nicht nur die Noten, sondern auch das, was in den Noten drinsteckt. Ich glaube, da ist etwas Wundervolles, das den Kindern und Jugendlichen hilft, ihr Leben zu ändern, ihnen eine Perspektive zu geben.“ Dudamel schwärmt für das Bildungssystem, das sein Talent bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckt hat, wo er zum ersten Mal das Orchester, in dem er spielte, selbst dirigieren durfte. Ein paar Jahre später dirigierte er dann auch schon den nationalen Vorzeigeklangkörper, das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela, von dem er bis heute auch Chefdirigent ist. Selbst auch ein Teil von „El Sistema“, trägt das Orchester die Idee, Kindern durch Musik ein besseres Leben zu geben, hinaus in die Welt und fordert den Zugang zu Musik nicht mehr als Privileg zu betrachten, sondern ihn allen Menschen zu ermöglichen.

Samba im Konzertsaal

Was ist es aber, das diesen Ausnahmedirigenten so besonders macht? Der amerikanische Pianist Emanuel Ax zeigt sich beeindruckt: „Er hat etwas an sich, das einfach jeden glücklich zu machen scheint. Dieses Talent, eine Freude an der Musik zu entwickeln und gleichzeitig eine solch ungeheure Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen, ist etwas, das ich noch nie vorher gesehen habe.“ Gustavo Dudamel ist ein Arbeitstier und allein sein Engagement ist schon beachtenswert. Neben seiner Tätigkeit in Venezuela ist er auch Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic, mit dem er ebenfalls viele soziale Projekte ganz im Sinne von „El Sistema“ in die Welt gesetzt hat. Dabei ist seine Liebe zur Musik und sein Eifer diese Liebe zu verbreiten noch lange nicht erschöpft.

Seine noch junge Karriere kann bereits auf imposante Stationen zurückblicken wie ein Chefdirigat mit den Göteburger Symphonikern, Konzerte mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, CD-Einspielungen mit verschiedensten Orchestern sowie bereits eine ganze Anzahl an Auszeichnungen wie einen Grammy Award für die beste orchestrale Performance. Das Magazin Time nannte ihn 2009 sogar als eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Auch bei uns in NRW war er erst kürzlich zu Gast. Vor ausverkauften Konzertsälen in Essen und Köln genossen er und sein Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela minutenlange, stehende Ovationen und ließen es sich nicht nehmen als Zugabe ein wenig Lokalkolorit in Form einer Samba-Passage zu spielen. Am 1. Januar 2017 wird er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker leiten und ist dabei – mit 36 Jahren – der bisher jüngste Dirigent am traditionsreichen Pult. Wird Gustavo Dudamel damit vielleicht zum wichtigsten Dirigenten unserer Zeit werden? Der am meisten gefeierte ist er auf jeden Fall schon!

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