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Abtreibung – ein Thema, das polarisiert

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Ob Roe v Wade in den USA oder Paragraph 218 in Deutschland: Abtreibung ist weltweit ein aktuelles Thema. Auch bonnFM-Reporterin Louisa Pötschke hat sich näher damit auseinandergesetzt und eine Sprecher*in von pro familia Bonn befragt. Das Interview gibt es zum Nachlesen hier.

Warum unterstützt ihr Schwangerschaftsabbrüche? Warum ist die Möglichkeit, eine sichere Abtreibung durchführen zu können so wichtig?

„Also die Möglichkeiten eine sichere Abtreibung durchführen zu können, ist extrem wichtig. Schwangerschaftsabbrüche hat es immer schon gegeben und an Orten, wo sie aktuell nicht legal sind oder auch früher nicht legal waren, haben Menschen trotzdem Wege gefunden. Dann besteht oftmals eine Gefahr für die abbrechende Person, für deren Gesundheit und deswegen ist es total wichtig, den Zugang zu einer sicheren Versorgungslage zu haben. Da das aktuell in manchen Teilen von Deutschland immer noch nicht komplett gegeben ist, dass die Versorgung gut, wohnortnah, einfach und fair zugänglich ist, gibt es noch viel zu tun. Der wichtigste Punkt aber ist das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, was in den Menschenrechte verankert ist und wir uns einfach dafür einsetzen, dass jeder über seinen eigenen Körper entscheiden kann, darf, sollte. Und auch nicht dazu gezwungen werden darf eine Schwangerschaft abzubrechen, aber auch nicht dazu gezwungen werden darf, eine Schwangerschaft unbedingt fortzusetzen, wenn es nicht der Wille der Person ist.“

Gibt es spezielle Orte in Deutschland, wo es besonders schwierig ist? Ist das regionsabhängig?

„Ja, genau, das ist schon bisschen unterschiedlich in Deutschland. Die Versorgungssituation, gerade in ländlichen Regionen, ist meistens ein bisschen schwieriger. In Nordrhein-Westfalen  ist die Versorgungsdichte höher als in anderen Landesteilen, aber es gibt auch ohne jetzt genau zu nennen wo, Bundesländer oder Orten, wo Menschen halt für eine Versorgung oder einen Abbruch 100 Kilometer oder länger fahren müssen. Je nachdem, wie dann auch der Nahverkehr angebunden ist oder man mobil ist oder auch nicht, kann das schon zur großen Belastung werden.“

Gibt es positive/negative Aspekte bezüglich der (rechtlichen) Lage von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland – hättet ihr Änderungswünsche?

„Also positiv ist, dass es überhaupt eine Regelung im Schwangeren- und Familienhilfegesetz gibt, aber wir wünschen uns und fordern einige Änderungen. Vor allem, dass der Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, der aktuell im Prinzip die Frauen oder die Menschen, die eine Abtreibung durchführen lassen kriminalisiert. Aktuell ist es nämlich straffrei unter bestimmten Auflagen und das muss auf jeden Fall raus und außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt sein, sodass auch eine Entstigmatisierung stattfindet. Damit Menschen sich auch psychisch freier und sicherer fühlen, eine Beratung aufzusuchen. Vor allem soll durch das Entfernen des Paragraphs 218 auch mehr Ärzt*innen ermutigt werden sich ausbilden zu lassen und somit auch Abbrüche anzubieten, da die Stigmatisierung dazu führt, dass immer weniger Ärzt*innen es anbieten und Sorge haben. Das beeinträchtigt auch die Versorgungslage. Neben der Entfernung des Paragraphen, fordern wir eine Entscheidungsfreiheit, statt einer Kriminalisierung und Stigmatisierung. Momentan gibt es die Beratungspflicht und wir fordern, dass es ein Beratungsrecht gibt, also ein Recht auf Zugang zu allen Informationen für einen sicheren Abbruch und keine Pflicht, welche Menschen dies vorschreibt zu tun.“

Was sollte verbreiteter bekannt sein über Schwangerschaftsabbrüche in unserer Gesellschaft?

„Gut zu wissen ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch ein Routineeingriff ist, also eine schonende Methode, die in der Regel komplikationsarm ist und auch wichtig zu wissen ist, dass es keine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit mit sich zieht. Sodass, wenn ein späterer Kinderwunsch besteht, dem auch nachgegangen werden kann und nicht aufgrund des Schwangerschaftsabbruches deswegen da eine Beeinträchtigung entsteht. Das andere ist auch, dass Menschen unterschiedlich mit dem Abbruch umgehen. Studien haben auch gezeigt, keine psychischen Folgen gesondert daraus entstehen, weil das manchmal so übertrieben überzogen wird. Natürlich ist es ein wichtiges und es kann auch kritisches Lebensereignis sein: Manche sind erleichtert, manche gehen vielleicht auch in einen Trauerprozess, manche haben unterschiedliche gemischte Gefühle und müssen die auch verarbeiten. Aber ganz wichtig ist anzumerken, dass diese Horrorvorstellung davon da auf jeden Fall ganz stark darunter leiden zu müssen überhaupt nicht haltbar ist. Es hat sich auch in Studien gezeigt, dass die selbstbestimmte Entscheidung wichtig für die nachgehende Verarbeitung ist. Ein weiterer wichtiger Punkt beim Thema Abtreibung ist auch, die Person als entscheidungsfähig für ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben anzuerkennen. Dass es niemand sich leicht macht oder als alternative Verhütungsmethode ansieht. Niemand. Jeder hat ja eigene Gründe und das zu respektieren bedeutet im Prinzip auch sexuelle Selbstbestimmung.“

Sollte es demnach mehr Möglichkeiten geben, wenn nach einem Abbruch Gesprächsbedarf besteht?

„Beratungsangebote für Menschen nach einem Abbruch gibt es auch, auch hier bei uns und bei anderen Beratungsstellen auf jeden Fall auch. Wir fordern grundsätzlich eine gute psychosoziale Begleitung, aber viele Menschen können auch super gut damit umgehen oder sind erleichtert und das passt für sie auch.“

Welche Menschen kommen denn beispielsweise in die Beratung?

„Die Menschen, die für einen Schwangerschaftsabbruch kommen sind total unterschiedlich. Die meisten Menschen haben tatsächlich schon bereits Kinder, das unterschätzen viele. Und auch unabhängig von Religionszugehörigkeit, Herkunft kommen Menschen in die Beratung.“

(Ungewollte) Schwangerschaften betreffen nicht nur Erwachsene -sollte auch schon altersgerecht in der Schule über Abtreibungen aufgeklärt werden?

„Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung beinhaltet ja auch, dass ich erstmal entscheiden kann, ob ich Kinder möchte und wann und dazu brauche ich vielleicht auch Informationen über Familienplanung/Verhütung/Safer Sex Methoden, aber auch Gesundheitsversorgung, also beispielsweise Schwangerschaftsabbruch. Es sollte ein Recht auf Zugang zu allen Informationen bestehen. Und deswegen würden wir sagen, ja: Aufklärung dazu. In erster Linie natürlich einfach über Verhütung, aber es kann jedem passieren, der schwanger werden kann, dass er schwanger wird, auch trotz Verhütung, trotz Spirale eingesetzt kann es passieren…“

Gäbe es etwas, was Du gerne Abtreibungsgegnern sagen würdest?

„Ich respektiere ihre Meinung, wenn es ihre persönliche Meinung ist, egal aus welchen Motiven auch immer sein es jetzt ethische oder religiöse, gleichzeitig sollte diese Meinung nicht über alle Menschen, die ungewollt schwanger werden bestimmen dürfen, sondern die Entscheidung, ob ich eine Schwangerschaft fortsetze oder abbreche sollte bei der Person sein, die schwanger ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was ich persönlich denke und ablehne für eine Haltung und was allgemeines Recht, also die Rechtslage in Deutschland ist und was den Menschen vorgeschrieben wird oder auch nicht.

Was ich auch sagen würde, weil das manchmal bei den sogenannten Abtreibungsgegnern aufkommt, die sehr politisch und fundamentalistisch auftreten, dass sie das oft mit Mord und Totschlag vergleichen und das ist nach unserem Rechtsverständnis überhaupt nicht haltbar. Ein Abbruch in der frühen Schwangerschaft ist was völlig anderes und das wird oft so verglichen und aktuell ist das auch noch im Strafgesetzbuch  im Paragraphen 218 genauso verankert. Und das ist sehr alt, 153 Jahre alt jetzt, und wir fordern, dass muss raus, das sollte zeitgemäßer anders geregelt werden und nicht die Menschen, die schwanger sind, zusätzlich noch belasten, stigmatisieren und auch kriminalisieren.“

Ich stelle fest, ich bin schwanger und ziehe eine Abtreibung in Erwägung – was könnten die nächsten Schritte sein?

„Zuallererst, wem vertraue ich in meinem Umfeld? Gibt es Menschen, mit denen ich darüber sprechen kann oder möchte, um mich zu entlasten? Wenn ich dann einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehe, einen Termin vereinbaren bei einer anerkannten Konfliktberatungsstelle, die Beratung ist dann oder sollte auch immer Ergebnisoffen sein. Das bedeutet, ich werde nicht in die eine oder andere Richtung gedrängt und ich darf mich jederzeit umentscheiden bis vor Minute 1, wenn ich den Abbruch durchführen möchte. Da bekomme ich dann Informationen zu den möglichen Methoden, bekomme Adressen und Informationen zur Kostenübernahme. Die Kosten, vor allem jetzt auch für Studierende, übernehmen in der Regel das Land NRW und das wird über die Krankenkassen abgewickelt. Und auch aktuell gibt es noch die sogenannte Bedenkzeit, die sie warten müssen, bevor sie den Abbruch durchführen lassen können und in dieser Zeit gehen viele Menschen dann zur eigenen Gynäkolog*in, um die Schwangerschaft bestätigen zu lassen und die Schwangerschaftswoche zu bestimmen und die Blutgruppe feststellen zu lassen. Wenn eine Person unsicher ist und zwischen den Stühlen steht, nicht weiß soll ich den Abbruch durchführen lassen, soll ich schwanger bleiben, also möchte ich vielleicht auch Eltern werden, dann bieten wir da auch eine umfangreiche Beratung an, ohne in eine Richtung zu drängen. Es wird dann geschaut, was spricht dafür, was spricht dagegen und wenn Fragen , beispielsweise wie finanziere ich das wichtig sind, dann bieten wir da auch eine sozialrechtliche Beratung an. In seltenen Fällen gibt es auch sowas Interessantes wie vertrauliche Geburt, das kann man einfach mal googeln, oder so etwas wie Adoption. Wer Interesse hat, dann bestehen zu all diesen Themen Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass es für die Menschen passt, die kommen.“