Es ist nicht leicht, Fußballfan zu sein. Der Weltverband versinkt in Korruption, bekannte Vereinsbosse hinterziehen Steuern in Millionenhöhe, und auf dem Rasen tummeln sich verwöhnte Millionäre, die ihre Saisonvorbereitung ohne Hintergedanken in Staaten wie Katar oder Abu Dhabi verbringen. Und dann sind da noch diese Fans, die einfach unbelehrbar sind.
Das selbsternannte Magazin für Fußballkultur 11freunde veröffentlichte diese Woche auf seiner Homepage eine Kampfansage gegen den Hass in Kommentarspalten. Dort heißt es: „Der Fußball, wie wir ihn lieben, eint Menschen und bringt sie nicht auseinander. Schon gar nicht wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft oder ihrer Sexualität.“ Es ist traurig genug, dass eine so allgemeingültige Aussage in dieser Deutlichkeit getätigt werden muss. Trauriger noch ist, dass die Kommentarspalte unter dem Text wiederum überquoll von rassistischen Anfeindungen, sodass sie noch am gleichen Tag geschlossen wurde.
Direkter Auslöser für den Text, den die gesamte Redaktion des Magazins unterschrieb, war ein Post vom Wochenende. Über den Facebook-Auftritt teilte 11freunde ein Foto von Werder-Bremen-Fans in Ingolstadt, die ein Banner mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ präsentierten. Die Reaktionen einiger Nutzer überschritten die Grenzen der freien Meinungsäußerungen um Längen und passten so nur zu gut zur aktuellen Debatte um rassistische Hasskommentare im Internet. Das Totschlagargument schlechthin: Politik hat im Stadion nichts verloren.
Wie unpolitisch kann ein Massensport sein?
In Zeiten von Pegida und HoGeSa, erstarkenden rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa und fremdenfeindlichen Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte ist es nur logisch, dass aktuelle Themen des gesellschaftlichen Diskurses auch unter Fußballfans zur Sprache kommen. Politik ist aber eben nicht nur, was in Berlin oder den Landtagen der Bundesrepublik passiert. Es mag hochtrabend klingen, aber: Die griechische Polis Athen, von der sich der Begriff „Politik“ ableitet, hatte deutlich weniger (für wollwertig erachtete) Mitglieder als Menschen in ein durchschnittliches Bundesliga-Stadion passen. Wo so viele Menschen zusammenkommen, wird es zwangsläufig politisch. Dafür ist es egal, ob sie sich in der Fankurve oder dem Bundestag begegnen.
Auffällig, weil absolut konträr zur vermeintlich unpolitischen Fanszene, sind die geschlossenen, großangelegten Proteste gegen steigende Preise, personalisierte Tickets und die Kommerzialisierung des Fußballs. Haben diese Probleme etwa nichts mit Politik zu tun? Und wo genau wird da die Grenze zwischen Politik und Fußball gezogen? Hinzu kommen Aktionen der Vereine, die sich immer wieder medienwirksam gegen Rassismus und für Toleranz aussprechen. Erreichen diese wirklich die Fans auf den Tribünen?
Die Welt zu Gast bei Freunden
Bei der Weltmeisterschaft 2006 präsentierte sich Deutschland als weltoffenes, gastfreundliches Gute-Laune-Land. Endlich durfte man sich wieder mit schwarz-rot-goldener Flagge sehen lassen, ohne für einen Nazi gehalten zu werden. Die gute Laune übertünchte die immer noch vorhandenen Probleme. Diese wanderten in die unteren Spielklassen oder auf die Tribüne. Während in Italien noch immer regelmäßig dunkelhäutige Spieler mit Affenlauten beleidigt werden, hat die Bundesliga eine verhältnismäßig weiße Weste. Doch die Probleme sind mitnichten über Nacht verschwunden.
Mit der Diversifizierung der Fankurven boten sich hier neue Abgrenzungsmöglichkeiten. Vielen der Ende der 90er Jahre gegründeten Ultra-Gruppierungen reichten bunte Choreographien zur Unterstützung ihrer Mannschaft nicht mehr aus, die jungen Nachrücker in den Kurven politisierten sich. Sie wollten Farbe bekennen, gegen Rassismus und Homophobie, für Toleranz und Respekt. Werte, die in unserer Gesellschaft längst für selbstverständlich gehalten werden, waren einigen alteingesessenen Fußballfans jedoch ein Dorn im Auge. Ihnen war egal, was für Ansichten ihr Nebenmann auf der Stehplatztribüne hat, solange er den gleichen Verein anfeuert.
Rechtes Gedankengut lässt sich nicht totschweigen
Dass sich dank dieses Vorsatzes auch rechtes Gedankengut in der Kurve breitmachen konnte, beweist das Beispiel Aachen. Die Alemannia spielt seit einigen Jahren sportlich nicht mehr wirklich eine Rolle, der ehemalige Bundesligist ist nach einer sportlichen und finanziellen Talfahrt in der vierten Liga angekommen. Schlagzeilen machten dagegen vor ein paar Jahren die Aachener Fans: Die in ihren Anfängen ebenfalls „unpolitischen“ (de facto rechtsoffenen) Aachen Ultras (ACU) begannen, sich mit Plakaten und Gesängen offen antirassistisch zu positionieren und gegen Gewalt und Homophobie auszusprechen. Bei einem Auswärtsspiel in Saarbrücken im August 2012 wurden die Mitglieder der ACU von Aachen-Fans einer anderen Ultra-Gruppierung attackiert. Die verantwortliche Karlsbande präsentiert sich weiterhin als „unpolitisch“. Unter ihren Mitgliedern finden sich aber teilweise Ehemalige der vom Verfassungsschutz verbotenen, rechtsradikalen „Kameradschaft Aachener Land“. Nicht zuletzt aufgrund dieses Vorfalls und ausbleibender Solidarität der unbeteiligten Fans zogen sich die Aachen Ultras Anfang 2013 aus dem Tivoli, dem Aachener Stadion, zurück.
Zurück zu den aktuellen Geschehnissen: 11freunde bringt auf den Punkt, was Fußball für die meisten Fans ausmacht: Gemeinschaftsgefühl, ob im Sieg oder in der Niederlage. Doch diese Gemeinschaft muss sich nicht ständig selbst aufwerten, indem sie die Außenstehenden runtermacht. Sie „eint Menschen“, nimmt jeden auf. Und in diesem Punkt kann, soll und muss die Fankurve ein Vorbild für Politik und Gesellschaft sein: Wie das Beispiel der Aachener Fanszene verdeutlicht, begünstigt jeder, der sich als „unpolitisch“ bezeichnet und dem Diskurs versagt, die Verbreitung rechten Gedankenguts. Totschweigen funktioniert nicht. Das gilt übrigens auch für Kommentarspalten auf Facebook und überall sonst.