Luca Guadagnino, you did it again! Bereits 2024 begeistert der Regisseur die Mengen mit seiner erotisch aufgeladenen Sport-Romanze „Challengers“. Jetzt folgt mit „Queer“ ein subversiveres, wenn nicht gleichermaßen explosiveres Porträt von Liebe, Zwischenmenschlichkeit und Abhängigkeit.
„Queer“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von William S. Burroughs, welches bereits 1952 geschrieben, wegen seines expliziten Inhalts, jedoch erst 1985 veröffentlicht wurde. Auf dieses – vor allem aus inneren Monologen bestehende Werk – baut Guadagnino seinen Film auf.
Unser Protagonist ist William Lee (Daniel Craig). Lee durchstreift ruhelos die Straßen, Bars und Nachtclubs Mexiko-Stadts in den 1940er Jahren. Ob Tag oder Nacht scheint egal, denn im Setting der Nachkriegszeit steht die Zeit beinahe still, das Leben plätschert vor sich hin. Eines Nachts – Lee stolpert betrunken und rastlos durch die Straßen und verweilt kurz bei einem Hahnenkampf – trifft er auf den deutlich jüngeren, gutaussehenden Eugene Allerton (Drew Sparkie). Unfähig, seinen Blick von Eugene zu lösen, entwickelt sich aus Lee’s anfänglicher Faszination eine liebestrunkene Besessenheit. Auf den ersten Blick könnte der Unterschied zwischen den beiden Männern kaum größer sein: Während William Lee stets unbeholfen und in seinem ungebügelten Leinenanzug von einem in den nächsten Rausch gleitet, erscheint Eugene mit seinen gegelbten Haaren, der perfekt sitzenden Hose und den stets undurchdringlichen Augen kaum greifbar. Doch das Leben der beiden Männer ist ab diesem Zeitpunkt an unwiderruflich miteinander verschmolzen.
Der Kampf gegen die Einsamkeit
Die Zuschauenden lernen William Lee als zerstreuten, ständig zugedröhnten Mann kennen. Er kämpft sehr offensichtlich mit seinem Alkoholismus und seiner Heroinsucht. Mit Ausnahme von seinem treuen Freund Joe (Jason Schwartzman), scheint er sich nicht gerade besonderer Beliebtheit zu erfreuen. Lee befindet sich in einem ständigen Taumelzustand. Nicht nur seine Sucht isoliert ihn. Da ist auch diese unaussprechliche Angst, gesehen und verachtet zu werden, angefacht durch seine Sexualität. Denn als er eine Freundschaft zu Eugene aufbaut, brennt in ihm diese eine Frage: Ist Eugene auch queer, so wie ich? Und so sehr ihn diese Frage umtreibt, so unmöglich scheint es ihm, diese auszusprechen. Auch sein Freund Joe, selbst queer, scheint nicht zu verstehen, was denn nun so schwer daran sein soll, einfach zu fragen. Aber die Zuschauenden lernen schnell, dass Lee an dieser Frage, die seine Geschichte vielleicht maßgeblich hätte umschreiben können, scheitert. Und aufgrund dieses Unvermögens, seine Sexualität anzusprechen, begibt sich William gemeinsam mit Eugene nach Südamerika auf die Suche nach der Droge „Yage“, die dem Konsumierenden telepathische Fähigkeiten verleihen soll. Durch diese Droge verspricht William Lee sich seine Erlösung.
Der Blick durch den Rausch
Auch für sein neustes Werk arbeitet Luca Guadagnino mit dem Kameramann Sayombhu Mukdeeprom zusammen. Hier sorgten die beiden bereits mit „Call Me ByYour Name“ für ein hypnotisierendes Liebesdrama. Die Filmbilder von „Queer“ vibrieren nur so vor geschmackvoll ausgewählten Farben und Kompositionen. Während die Zuschauenden in der ersten Filmhälfte ein Guadagnino-eskes Liebesspiel präsentiert bekommen, färbt sich die zweite Filmhälfte deutlich ungewohnter, hypnotisierender, chiffrierter. Plötzlich ist nicht mehr klar zu erkennen, welches Filmbild nun Wirklichkeit ist und welches ein Hirngespinst Lee’s. Der Rauschzustand des Protagonisten überträgt sich direkt auf den Film und präsentiert uns einen Tanz am Rande des Wahnsinns.
„Queer“ überzeugt durch seine Mystik und Echtheit
Daniel Craig als hedonistischer Junkie und Drew Sparkie als aalglatter Hallodri harmonieren wundervoll und stellen in „Queer“ ihre unbestreitbare Chemie unter Beweis. Die zaghaften Kompositionen Trent Reznors‘ und Atticus Ross‘, gepaart mit Grunge-Hymnen wie „Come As You Are“ von Nirvana, unterstützen das Filmbild immer genau richtig.
Mit „Queer“ schafft Luca Guadagnino sein wohl experimentellstes Werk über Liebe und menschliche Abgründe. Dieses Märchen der Abhängigkeit überzeugt durch seine mystischen Bilder, die teils nur schwer auszuhalten sind. William Lee ist nicht unser typischer Filmheld, und bestimmt sympathisieren nicht viele mit diesem gebrochenen Taugenichts. Doch in Guadagninos höchstpersönlichen Film werden Tabus gebrochen und die Grenze des Unsagbaren verschoben. „Queer“ ist so echt, wie er entsetzlich ist. Er zwingt uns, einem verzweifelten Liebesspiel zuzusehen, vor allem aber dem Wunsch Lee’s gesehen und geliebt zu werden.
Wer also Lust hat auf eine mystische Reise, wunderschöne Filmbilder und einen grandiosen Score: der sollte trotz seiner Herausforderungen, „Queer“ eine Chance geben. Er lässt einen gleichermaßen erschrocken wie berührt zurück, aber wie im Film zu Eugene gesagt wird: „All you can do is look away… But why would you?“