Der Titel „You are here“ von Antje Velsingers Stück im Rahmen des 5. Internationalen Bonner Tanzsolofestivals beinhaltet eine Aussage, die nur auf den ersten Blick neutral ist. Das im Saal sitzende Publikum kann sich der Logik des Titels jedenfalls nicht entziehen. Und auch bonnFM war „here“.
Hier, wo ist das denn eigentlich? Also zunächst einmal im Theater im Ballsaal, in Bonn Endenich. Zwischen dem Fiddlers und dem Rex-Programmkino liegt das kleine, freie Theater versteckt. Klein, aber fein – wie man so schön sagt. Denn hier wird ein häufig junges und immer sehr gutes Kulturprogramm geboten – meistens Theater und in der letzten Zeit insbesondere Tanz. Das Theater im Ballsaal ist zusammen mit der Beueler Brotfabrik nämlich Gastgeber und Veranstalter des 5. Internationalen Bonner Tanzsolofestivals.
Hinter diesem etwas sperrigen Namen verbirgt sich ein Festival, bei dem die schlichteste Form einer Tanzaufführung im Vordergrund steht: Das Solo. Vom 12. bis 27. Juni hat es Bonner und internationale Tanzfreunde beglückt.
Eine Bühne – Eine Tänzerin
Nein, bei dieser Überschrift ist uns kein gegenderter Fehler unterlaufen. Tatsächlich waren beim diesjährigen Tanzsolofestival nur weibliche Tänzer zu sehen. Was steckt dahinter? Diskriminierung? Emanzipationsbemühungen?
Beides ist nur bedingt richtig. Vielmehr ist die diesjährige weibliche Ausrichtung ein Versuch des Ausgleichs, denn vor zwei Jahren waren nur Männersoli zu sehen. Dieses Jahr wurde also mit Frauenpower und viel Mut zur Weiblichkeit aufgewartet.
Bei Antje Velsingers Stück war diese Frauenpower hochgradig konzentriert. Zwar steht nur eine Tänzerin auf der Bühne, aber es ist eine Zusammenarbeit von Janina Arendt, die für Bühne und Video verantwortlich war und Miki Yuis, der Zuständigen für Musik und Komposition. Getanzt wurde nämlich nicht zu Musik, sondern zu Sounds. Die Sounds waren jedoch keinesfalls nur Nebenmedium. Im Gegenteil: Es wurde ihnen Raum gelassen, ganz für sich zu stehen und ohne visuelle Reize zu wirken. In der Dunkelheit wurde durch ein gutes Soundsystem ein dreidimensionaler Hör-Raum aufgemacht, der schon für sich genommen eine erste Erfahrbarkeit des Raumes für das Publikum ermöglichte.
Drei Dimensionen
Diese Erfahrung des Raumes wurde natürlich auch visuell, nämlich durch die physische Anwesenheit der Tänzerin auf der Bühne, produziert.
Die Tänzerin „ertanzt“ in dem Stück den Raum. Sie vermisst die Bühne als Raum mithilfe aller erdenkbaren Körpermaße, die teils geläufig sind (wie Schrittlänge, Ellen, Fingerbreite) und teils neu von ihr erprobt werden.
Obwohl hierbei der Mensch, beziehungsweise der menschliche Körper, als Maß der Dinge verwendet wird, wirkt die Performance keineswegs vermessen. Vielmehr erscheint die Tänzerin als Instrument, um eine Karte der Welt anzulegen. Sie wirkt in ihrer Aufgabe geschäftig und seriös, mit zunehmender Steigerung des Stückes auch hektisch und wie unter Strom gesetzt. Eine kindliche Neugierde oder einen aufgeregten Entdeckergeist findet man weder in den Bewegungen, noch im Ausdruck der Tänzerin.
Dennoch öffnet sie mit ihrem Tanz Räume, führt sie vor Augen. Dabei steht sie auch mit den Karten aus Licht in Interaktion, die immer wieder neu auf den Boden gezeichnet werden. Antje Velsinger gelingt es, eine Welt, die zu zwei Dimensionen in Kartenmaterial verdichtet wurde, wieder zu erweitern; eine dritte Dimension aufzumachen und zu füllen.
Das durchgängige Thema der drei Dimensionen spiegelt sich natürlich auch in den drei Formen der Künste: Lichtinstallation, Sound und Tanz.
Zwischen Orientierungsverlust und Sicherheit
In der gesamten Performance erscheint die Haltung der Tänzerin zu den Karten durchaus ambivalent. Teils klammert sie sich an die Karten, wie um Halt zu suchen (und zu finden) und nutzt Linien als Orientierung und Sicherheitsnetze. Teils scheint sie jedoch auch unheimlich unter Anspannung zu stehen.
Dies wird besonders am Höhepunkt der Steigerung deutlich. Die Lichtkarten flackern wie in Zeitraffer über den Boden, die Geräusche sind ohrenbetäubend und was einmal choreographierter Tanz war, sieht nun nur noch aus wie unkontrolliertes Zucken. Zur Auflösung des Ganzen entfernt sich die Tänzerin schließlich aus dem Kartensystem und steht als Beobachter daneben – in einer ähnlichen Situation wie das Publikum selbst. Wie zur Versöhnung mit der Welt werden schließlich hinter die Lichtkarten Naturaufnahmen projiziert.
Dieses Schlussbild wirkte sehr poetisch und strahlte eine bis dorthin unvermutete Harmonie aus. Das Publikum wurde also mit poetischen letzten Eindrücken aus einem Abend entlassen, der genau die im Stück behandelten Emotionen auch im Nachgang noch mit sich zog: Ein Hin-und-Her-Gerissensein zwischen dem Gefühl von Sinn und Sicherheit und dem absoluten Verlust jeglicher Orientierung.