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Bild: Concord Music Group / Universal Music

Mit Herzblut oder doch zu kaltblütig? AFIs „The Blood Album“

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Sie sind wieder da! AFI melden sich mit ihrem zehnten selbstbetitelten Album seit letztem Freitag wieder auf dem Musikmarkt zurück. Auf dieses Lebenszeichen haben die Fans der Band seit langem sehnsüchtig gewartet. Doch was passiert, wenn Punkrock erwachsen wird? Oder sich vielleicht sogar nichts verändert? bonnFM hat AFI (The Blood Album) mal auf den Prüfstand gestellt.

A.F.I. – Bitte was?!

Meistens, wenn mich jemand fragt, welche Bands ich gut finde und ich „AFI“ sage, schaue ich in fragende Gesichter. Daher folgen zunächst ein paar Worte über die Herren.
AFI oder auch A Fire Inside haben sich 1991 in Kalifornien gegründet. Anfangs spielten sie noch Hardcore-Punk, waren eben eine dieser typischen US-Highschool-Punkbands, die raue Punksongs mit Titeln wie I Wanna Get a Mohawk (But Mom Won’t Let Me Get One) spielten. Die Besetzung ist mit Sänger Davey Havok, Drummer Adam Carson, Bassist Hunter Burgan und Gitarrist Jade Purget über die Jahrzehnte nahezu unverändert geblieben. Der Stil hingegen wandelte sich über die Jahre enorm. Aus Punk wurde Post-Hardcore, dann Emo oder Alternative-Rock und einmal habe ich sogar die Wortneuschöpfung „Softcore“ in Bezug auf AFIs Musikstil gelesen…
Kurz und gut, ein einzelnes Genre kann wohl nicht einfangen, was für Musik die Band genau spielt, aber das ist für mich persönlich auch gar nicht so essentiell, so lange AFI AFI bleibt.

Seit Oktober veröffentlichte die Band immer mehr Teaser und Singles auf ihren Social Media Kanälen und die Vorfreude auf The Blood Album wuchs und wuchs.

Bild: Universal Music
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AFI (The Blood Album)

Wenn eine Band, die schon lange zusammen spielt, ihr neuestes Album nach sich selbst benennt, klingt das zuerst immer nach einer Bilanz der letzten Jahre. Doch keine Angst, The Blood Album ist kein Best-Of der Band – zumindest nicht auf den ersten Blick. Denn bei näherer Betrachtung und mehrmaligem Hören fällt auf, dass man die Songs so oder so ähnlich schon mal gehört hat. AFI versuchen mit ihrem zehnten Album an die Muster vergangener anzuknüpfen. Sei es nun an Burials aus 2013 oder Decemberunderground von 2006. Das kann man jetzt einfallslosen Fanservice nennen, oder eben eine Hommage an den eigenen Stil, den die Band über die Jahre nun gefunden hat. Doch das darf jetzt jeder für sich selber bestimmen – ich als Fan bin jedenfalls glücklich! Deswegen kann ich das Album leider nicht hundertprozentig objektiv bewerten, sondern stelle mir eher die Frage:

Wie viel AFI steckt in AFI (The Blood Album)?

Direkt vorneweg: Das Album ist gut und wird auch Leuten gefallen, die vorher noch nie von der Band gehört haben. Die Stimmung der Songs ist zwar eher ernst und oft düster, doch das musikalische Können der Band macht aus dem Album dann doch keine Trauerveranstaltung. AFI punktet immer durch coole Refrains und ist sehr melodiös, ohne zu verspielt zu wirken. Aber erst die Stimme Davey Havoks macht aus einem Song einen echten AFI-Song. Sie ist die perfekte Mischung aus cool und gelangweilt und hingebungsvoll emotional. Von dem rauen Punk der frühen 90er ist leider nichts mehr geblieben, aber das ist bereits seit 2006 und Decemberunderground so, da Havoc eine Stimmbandverletzung erlitt und danach seinen Gesangsstil aus gesundheitlichen Gründen komplett verändern musste. Aber daran ist der Stil der Band nur weiter gereift und machte es ihnen möglich, diese düsteren Pfade einzuschlagen, die dem Punk meist verschlossen bleiben.

Zu den Songs im einzelnen: Es gibt einige Kracher, aber auch Songs, die auf der Strecke blieben. Das ist bei 14 Liedern aber hinnehmbar, denn der Großteil der Songs reißt einen mit.
Der erste Song des Albums ist Dark Snow und überzeugt trotz coolem Refrain eher weniger. Wenn man jetzt aber nicht weiter hört, ist man selbst schuld! Denn spätestens beim folgenden Track Still a Stranger packt Havoc sein ganzes Stimmrepertoire aus, das ist AFI von früher, man fühlt sich zum rumspringen eingeladen. Das gleiche oldschoolfeeling erlebt man auch bei Dumb Kids oder Get Hurt.
Die beiden letzten Lieder des Albums She speaks the Language und The Wind that carries me away haben mich weniger überzeugt – auch wenn sie eine hohe textliche Qualität aufweisen – sie fallen aus meiner Sicht aber im Vergleich deutlich zurück. Auch Above the Bridge ist für mich persönlich eher Mittelmaß.

Aber ich will gar nicht zu viel meckern, denn beim Hören von The Blood Album erlebt man eine positive Überraschung: AFI haben den Punk wieder entdeckt! Songs wie So beneath you, Pink Eyes oder White Offerings sind stellenweise wieder flotter und auch wütender. White Offerings erinnert aber auch an den Stil des Vorgängeralbums Burials, der tiefschwarz und düster gehalten wurde – etwas, das AFI äußerst gut steht. Dieser Stil findet sich auch auf Album Nummer 10 wieder, in Liedern wie Feed from the Floor oder Aurelia.
Genau, Aurelia. Dieser Song hat mich persönlich einfach umgehauen. Eine düstere Ballade, die einen, obwohl er zugegebenermaßen keine textliche Sternstunde ist, in ihren Bann zieht und emotional mitnimmt. Das ist genau die Sorte Schwermut, die ich von AFI erwarte. Auch Snow Cats ist eine Glanzleistung mit einem unglaublich leidenschaftlichem Refrain. Die meisten Kritiker hingegen loben Hidden Knives, der mit Elan, aber auch mit düsteren Textzeilen wie „But we both prefer romantic murder / To erase time and my, my empty life“ daherkommt.

Kurz und gut: Auch wenn Anfang und Ende des Albums eher schwächer sind, so haben die Lieder dazwischen ordentlich was zu bieten. Auch für Leute, die keine Hardcore-Fans sind, versprochen! Doch ein bisschen Kritik muss sein: wirklich innovativ oder bahnbrechend ist AFI (The Blood Album) nicht. AFI könnte wirklich deutlich mehr Risiko eingehen, das würden ihnen die Fans schon verzeihen.