Marija Aljochina ist eine der bekanntesten Aktivistinnen des Kunstkollektivs Pussy Riot. Im Rahmen der lit.COLOGNE stellt sie ihr neues Buch vor: Political Girl. Unsere bonnFM-Reporter*innen Jan Kandyba und Ceyda Ceran waren da.
In einem schwarzen Kleid, etwas blass, mit einem Laptop und einer Vape in der Hand, betritt sie etwas unbeholfen die Bühne. Ihre Gutmütigkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ein breites, etwas nervöses Lächeln schenkt sie dem Publikum. Es ist nur schwer vorstellbar, wie kennzeichnend ihr Aktivismus für die politische Landschaft in Russland war: Mit Pussy Riot stand sie in einer Moskauer Kirche und rief zu einem “Punk-Gebet” gegen Putin auf – eine Aktion, die ihr zwei Jahre Haft einbrachte.
Jetzt sitzt sie im Kölner Comedia Theater, um aus ihrem Buch vorzulesen: Political Girl. Pussy Riot – Leben und Schicksal in Putins Russland. Mit auf der Bühne sitzt Eric Breitenbach, ein weiteres Mitglied von Pussy Riot. Er begleitet den Abend mit Live Electro-Musik. Die Atmosphäre wirkt direkt ernster, wie ein dunkler Schleier umhüllt die Musik den Saal.
Political Church
Aljochina stellt sich mit Pussy Riot nicht nur gegen die russische Regierung. Das Kunstkollektiv versteht sich auch als Verfechter des Feminismus in einem tief konservativen Land. Die Aktionen sind so vielfältig und radikal wie kreativ. Im Zentrum des Aktivismus des Kollektivs stehen Musikvideos im Punk-Rock-Stil. Damit stellen sich die Aktivistinnen auch gegen die russisch Orthodoxe Kirche und die tiefen Verflechtungen in die höchsten politischen Ränge hinein.
Und es funktioniert: Der Aktivismus des Kollektivs schlägt Wellen, auch international. Die wohl bekannteste Aktion, das “Punk-Gebet” in der Christi-Erlöser-Kirche in Moskau, wird der Gruppe zum Verhängnis. Drei der Aktivistinnen werden zu zwei Jahren „Wegnahme der Freiheit“ verurteilt, ein im Urteil verwendeter Euphemismus für Haft. Nach Artikel 213 des russischen Strafgesetzbuchs lautet der Tatbestand „Хулиганство“ („Rowdytum“), was im Deutschen mit „grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung“ übersetzt wird.
Political Freedom
Aljochinas Buch ist eine Art Autobiographie. Sie beschreibt darin ihr Verhältnis zwischen der persönlichen Lebensrealität und ihren inneren Vorgängen. Im insgesamt knapp 500-seitigen Buch erzählt sie unter anderem von den katastrophalen Haftbedingungen. Es kommt immer wieder zu unmenschlichen Zuständen.
Eine Geschichte, die sie dem Kölner Publikum aus ihrer Gefangenschaft erzählte, blieb besonders im Gedächtnis. Das Lattenrost der Betten bestand aus einem Netz metallener Stangen. Um den Gefangen den Schlaf zu rauben, entfernen die Wärter*innen immer wieder einzelne Metallstangen. Der Schlaf wird dadurch immer schmerzhafter. Diese Folter hört erst auf, als eine Mitgefangene durch einem Hungerstreik stirbt. Da hat Aljochina realisiert: “Everything what we have is because other people fought for it”. Auch sie selbst tritt 2013 in einen Hungerstreik: Insgesamt elf Tage. Und sie gewann. Die Gefängnisleitung gestand Aljochina mehr Bewegungsfreiheit zu.
Umso härter die politischen Repressionen, umso wichtiger wird es für Aljochina, die eigene Freiheit zu bewahren: “Freedom is the possibility of making choices and being responsible for them”. Aljochina erzählt, dass sowjetische Dissidenten ihr großes Vorbild seien. Auch in dieser Tradition sieht sie ihren Hungerstreik. Der Hungerstreik gibt ihr ein wenig Freiheit wieder.
Political Views
Nach ihrer Haft entschließen sich die Pussy Riot Aktivistinnen für Rechte von in Russland Gefangenen und politisch Verfolgten Menschen einzutreten. Auch für internationalen Druck auf das russische Regime kämpfen sie. Es folgen Einladungen nach Brüssel und in weitere Hauptstädte, damit Aljochina von ihren Erfahrungen erzählen kann.
Mit Unverständnis blickt Aljochina auf die Russlandpolitik der Europäischen Union. Schon mehrmals war sie in Brüssel zu Gast, um von der politischen Verfolgung zu erzählen. Dabei wünscht sie sich nur eins: “To stop being deeply concerned and start to act”. Auch für die deutsche Linke hat sie nur wenig Verständnis. “I know there are left-wing politicians in Germany who are talking about peace – meaning Russian occupation”.
Es bleibt ein grotesker Eindruck: Zwischen der aktuellen politischen Lage und Aljochinas Lächeln. Ein bisschen Hoffnung schimmert durch ihre Augen. Am Ende ermutigt sie, russische politische Gefangene zu unterstützen. Selbst ein Brief oder eine Postkarte können helfen.
Das Buch Political Girl von Aljochina erscheint in der deutschen Übersetzung am 10.11.2025 im Berlin Verlag.
