You are currently viewing Gregor Gysi – Die Bücher seines Lebens
Bild: bonnFM

Gregor Gysi – Die Bücher seines Lebens

Lesezeit: 3 Minuten

Es ist ein warmer Frühlingsabend am 20. März. Ich stehe vor der Stadthalle in Köln-Mülheim. Nach und nach fahren Autos auf den Parkplatz, eine bunte Traube an Menschen steht hier beisammen. Es ist lit.COLOGNE. Gregor Gysi wird über die Bücher seines Lebens sprechen. Ich gehe in das Gebäude, vorbei an Schildern, die auf das 25-jährige Jubiläum des internationalen Literaturfests Köln hinweisen. Wie der Abend abgelaufen ist?

Die Autorin Marion Brasch führt durch den Abend, fragt Gysi gleich zu Beginn, ob er denn – wie heute – immer auf den letzten Drücker sei. Das leitet die leicht süffisante Stimmung des ganzen Abends ein. Beide stammen gebürtig aus der DDR – das soll auch ein zentrales Thema des Abends sein.

„Womit hat es bei Ihnen angefangen, Herr Gysi?“

Das fragt Marion Brasch direkt zu Beginn. Es wird ein langer Bogen zu Gysis Kindheit und Jugend gespannt. „Paul allein auf der Welt“, antwortet er. In Paul allein auf der Welt strandet der Junge Paul nach einer Katastrophe als einzig Überlebender auf einer einsamen Insel. Er muss lernen, alleine zu überleben und sich mit der Natur und seinen eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Das Gespräch springt zurück zu ihm.

Dieses Buch habe ihn zwar geprägt, Gysi sei aber generell einfach mit vielen Büchern aufgewachsen. Über 1000 Bücher habe es zu Hause gegeben – das war alles andere als normal zu dieser Zeit in der DDR, und vermutlich auch heute noch.

Während des Abends hat sich Brasch anhand von vielen Büchern entlang gehangelt, die gysi als prägend erkannt hat, und die ihn persönlich besonders geprägt haben. Der wirkliche persönliche Bezug war dabei aber nicht immer so ganz klar. Was allerdings klar geworden ist: Gysi wuchs mit vielen Büchern auf. Sein Vater war Chef des „Aufbau-Verlags“ in der DDR.

Die Themen seines Lebens

Das erste Buch des Abends soll Das kommunistische Manifest sein. Marion Brasch leitet es ein. Das habe er jedoch erst im Studium gelesen – noch nicht als Kind. Aber es bleibt ein thematisch wichtiges und entscheidendes Werk für ihn. Das sei allerdings in der DDR oft falsch verstanden worden. Die Darstellung der Ideen in der Sekundärliteratur sei schlicht falsch gewesen. Dann macht Gysi seine Enttäuschung über die Darstellung von Marx deutlich. Marx und Engels seien ja eigentlich Befreiungstheoretiker gewesen.

„Wir sind derartig kleinkariert, das geht mir auf die Nerven.“

Damit meint er die aus seiner Sicht fehlende Würdigung von Marx aber auch anderen historischer Personen, die nach Gysi ‘falsch’ gedeutet und propagandistisch Verwendung fanden (beispielsweise unter der DDR Führung).
Gysi spricht offen auch über die politischen Dinge die ihn aktuell bewegen. Zum Beispiel den Stolz auf das Wahlergebnis der Linken bei der Bundestagswahl oder die Leistung von Heidi Reichinnek. Dann werden auch andere politische Felder gestreift – etwa im Zuge anstehender Veränderungen im Bereich Bildungsgerechtigkeit, unter anderem die Gleichwertigkeit von Zeugnissen. All das zeigt wie stark die Politik auch sein Wirken geprägt hat.

„Ich glaube nicht an Gott und habe nie an ihn geglaubt.“

Brasch leitet über in ein neues Kapitel des Abends, ein Neues Buch: “Das Alte Testament”. Für Gysi war die größte Leistung von Religion die Erzeugung von Moral und Wahrheit.
Zum Alten Testament fragt Brasch: „Lesen Sie das auch, oder wissen Sie, worum es geht?“
Gysis Antwort: „Hin und wieder.“

Ein Muster zeigt sich: Bei der Veranstaltung geht es weniger um die bloße Auflistung von Büchern, sondern vielmehr um die Bezüge zwischen den wichtigsten Ideen, die in Gysis Leben eine Rolle eingenommen haben.

„Was ist Ihr Lieblingsbuch, Herr Gysi?“

Ohne es besonders in den Fokus zu rücken, wirkt der Abend wie eine spontane Lesung aus seiner Biografie. Vielleicht habe ich am Ende deswegen auch noch am Büchertisch gestanden – und ich war nicht allein. Teilweise mit vier Ausgaben in der Hand.
Eine letzte Frage wollte ich Gysi aber noch stellen, direkt am Büchertisch: „Was ist denn Ihr Lieblingsbuch – vielleicht auch ohne politischen Bezug?“

Gysi grinst, sagt, natürlich lese er auch Romane, und zählt eine Reihe auf. Hängen bleibt bei mir: Der Spieler von Dostojewski – „wegen dem Witz“.
Es geht um einen Spieler, der versucht, sich immer weiter aus der Spielsucht zu befreien, aber immer tiefer hineinrutscht. Gysi führt weiter aus – ich möchte die Schlange nicht aufhalten, erkenne jedoch: Dieser Mensch hat so viel gesehen, so viel erlebt und ist derart genau – in solchen Kategorien macht eine Frage keinen Sinn.

Die Geschichten seines Lebens

Gregor Gysi hat gemeinsam mit Marion Brasch die Themen seines Lebens verarbeitet. Für ihn sind Bücher und Ideen tief verknüpft mit Politik und Biografie. Das erkennt man an den unzähligen Anknüpfungspunkten und Anekdoten, die Gysi zu jeder Frage von Brasch, oder jedem Buch was besprochen wird parat hat. Es war ein Abend, an dem viele begeisterte und unterschiedliche Menschen im Publikum zusammengekommen sind – die aber scheinbar in mindestens zwei Dingen ähnlich waren: in der Liebe zur Literatur und in der Sympathie für die Person Gregor Gysi.