Am 31. Juli und 1. August 2015 hat das Big Day Out-Festival in Anröchte seine achte Ausgabe gefeiert. Wie, kennt ihr gar nicht? Dann lasst mich euch entführen in die Welt des wohl entspanntesten Festivals Deutschlands.
Den Spitznamen „Rock City“ hat dieses Jahr bekanntlich Mendig, der neue Veranstaltungsort des legendären Festivals Rock am Ring, für sich beansprucht. Dabei trägt den Titel schon seit Jahren stolz das 10.000-Seelen-Örtchen Anröchte. Mitten im Sauerland, irgendwo zwischen Dortmund und Kassel, liegt das Städtchen, das im Sommer seine Einwohnerzahl für ein paar Tage fast verdoppelt. Alle zwei Jahre, Ende Juli/Anfang August, veranstaltet die Jugendzentrumsinitiative (JZI) Anröchte auf ihrem Gelände mitten in der Stadt ein Zweitagesfestival.
Fast wie eine Familienfeier
Das Besondere am Big Day Out: Alle 170 Helfer arbeiten dort ehrenamtlich, parallel zu ihren normalen Jobs. Die meisten stammen aus Anröchte selbst. „Wir sind alles Freunde, die das hier ehrenamtlich organisieren“, so Organisator Oliver Topp. Jeder kennt jeden und so entsteht eine sehr familiäre, private Stimmung, die auf Festivals wie Rock am Ring völlig undenkbar wäre. Das wissen auch die Besucher zu schätzen: Krawalle und Ausschreitungen passieren hier selten bis nie und viele, die einmal hier waren, kehren immer wieder.
Angst, etwas zu verpassen, muss übrigens keiner haben. Auf dem JZI-Gelände stehen sich zwei Bühnen direkt gegenüber. Die Bands spielen immer abwechselnd, Überschneidungen gibt es also nicht. Und wenn eine Band fertig ist, geht es auf der anderen Bühne nahtlos weiter – von 14:00 bis 0:00 Uhr gibt es an beiden Festivaltagen Musik am laufenden Band.
Das Line Up: Große, deutsche Namen
Was die Musik angeht, muss sich das Big Day Out nicht vor größeren Festivals verstecken. Mit den H-Blockx, Heisskalt, K.I.Z, den Guano Apes, Jan Delay, dem Farin Urlaub Racing Team und Kraftklub waren viele deutsche Größen vertreten. Die Guano Apes waren schon 1998 beim allerersten Big Day Out dabei und freuten sich sichtlich, was aus der Idee geworden ist – das erste Big Day Out war nämlich noch eine eintägige Jubiläumsfeier zum 25-järhigen Bestehen der JZI. Auch Newcomern wird hier eine Chance gegeben, die ersten Slots auf den Bühnen sind stets für Nachwuchs aus der Region reserviert. Dieses Jahr belegten diese Past M.D., Blassfuchs und Awaiting Downfall.
Es schien, dass auch die Musiker sich der familiären Atmosphäre nicht erwehren konnten. Wer früh genug eintraf, frühstückte mit dem Team, Jan Delay hat es sich nach seinem Auftritt nicht nehmen lassen auf der Aftershowparty vorbeizuschauen und Kraftklub sind mal eben Flunkyball spielen gegangen – im Vorgarten eines einheimischen Besuchers. Sein Kommentar dazu: „Die trinken gerne Bier, ohne es zu bezahlen, glaube ich…“. Mag sein, bedankt haben sich die Jungs auf der Bühne dafür trotzdem ganz artig.
Love Your Tent – Take it home
Obwohl das Festival mitten im Ort stattfindet, ist Campen möglich. Fünf Minuten mit dem Bus entfernt liegt die Freizeitanlage „Am Südring“, die etwa 4.000 Campern Platz bietet. Praktisch: Das Waldfreibad, ein Fußballplatz und eine Beach-Volleyball-Anlage liegen in unmittelbarer Nähe. Auch hier setzt sich der Geist des Festivals fort. Wer schon mal auf größeren Festivals war, kennt die Bilder des letzten Tags: Haufenweise leere Bierdosen, achtlos auf den Boden geworfener Müll und sogar brennende Zelte prägen dann das Landschaftsbild. Natürlich lag auch hier Müll herum, aber es hielt sich doch stark in Grenzen. Und niemand kam auf die Idee, sein Zelt anzuzünden.
Ich besuchte vor zwei Jahren zum ersten Mal das Big Day Out, im Rahmen des Umweltprojekts Green Team On Tour der Sounds for Nature Foundation. Zu unseren Aufgaben gehörte damals die Aktion Love Your Tent, die wir auch dieses Jahr wieder durchgeführt haben. Zum Hintergrund: Leider wird es in Europa zusehends zur Gewohnheit, billige Zelte, Pavillons und Camping-Ausrüstung bloß für ein Festival zu kaufen und anschließend dort zurückzulassen. Jedes fünfte Zelt wird mittlerweile einfach stehen gelassen. Um ihnen einen gewissen ideellen Wert zu geben, zieht man bei Love Your Tent über die Campingplätze und bietet den Besuchern an, ihnen das das LYT-Logo und das Logo des Festivals mit der entsprechenden Jahreszahl aufs Zelt zu sprühen.
Im Laufe der Zeit soll so eine Art Bilderbuch entstehen, das dokumentiert, wann und wo das Zelt schon gewesen ist. Freudig stellten wir fest, dass einige der Zelte, die wir vor zwei Jahren verschönert haben, auch dieses Jahr wieder den Weg nach Anröchte gefunden hatten. Für LYT war ich schon auf anderen Festivals unterwegs, aber nirgendwo war das Verständnis der Leute gegenüber der Müllproblematik und ihre Akzeptant gegenüber der Aktion so groß wie hier.
Große Pläne… oder doch nicht?
Nach einem gelungenen Abschlusskonzert von Kraftklub am Samstagabend war die Euphorie beim Team der JZI groß. Wilde Pläne wurden geschmiedet: Ein dritter Tag muss her, das Festival soll doch lieber jährlich stattfinden und sogar eine dritte Bühne wurde verlangt. Ob auch nur einer dieser Pläne umgesetzt wird, wage ich angesichts der euphorieinduzierten Hochstimmung zu bezweifeln. Fakt bleibt trotzdem: Das Big Day Out hat sich zu meinem persönlichen Lieblingsfestival gemausert. Jedem eingefleischten Festivalgänger und jedem Neuling kann ich die zwei Tage im unbekannten Anröchte nur wärmstens empfehlen. Ich für meinen Teil werde in zwei Jahren wieder am Start sein, wenn es heißt: Es ist angeröchtet!
Text und Bilder © Katharina Weber/bonnFM
Ehemalige Chefredakteurin Nachrichten und Wort, Moderatorin, Campusradio-Methusalem und Baskets-Enthusiastin.