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Bild: Thilo Beu / Theater Bonn

Alles beginnt in der schmutzigen Provinz Westfalen

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Am 14. September ist die Premiere von „Candide – oder die beste der Welten“ in den Kammerspielen in Bad Godesberg zu sehen. bonnFM hat sich im Vorfeld mit Regisseur Simon Solberg und den beiden Hauptdarstellern Daniel Stock und Annika Schilling unterhalten. 

Ein Klassiker von Voltaire, der Protagonist ein gutgläubiger Optimist aus Westfalen, welcher durch die Schrecken des 18. Jahrhunderts stolpert: Wie soll sich unsereins darin wiederfinden? Ganz leicht, antwortet Regisseur Simon Solberg, Hausregisseur im Theater Bonn. Der frühneuzeitliche Kolonialismus zum Beispiel hat sich zwar modernisiert, aber was früher die Kolonialherren waren, sind heute Coca Cola und Nestlé. Die Übersetzung in unsere Zeit funktioniert daher vor allem über Kostüme. 

Candide und Kunigunde – auf der Flucht in eine bessere Welt 

Solberg nutzt das Original von Voltaire wie einen Spiegel, in dem Fragmente moderner Probleme reflektiert werden. Er schätzt seine große Freiheit, wie er selbst sagt, und pickt aus dem Prosatext die Rosinen heraus, die er gebrauchen kann. Sein Fokus liegt dabei auf dem Flüchtlingsszenario, das Candide durch seine Reise hinweg begleitet. Der Statthalter von Buenos Aires wird zum Mitarbeiter des BAMF und weist die Geflüchteten Candide und Kunigunde als Wirtschaftsflüchtlinge ab. Auch die Einzelschicksale der Figuren haben besondere Narrative zu bieten. Annika Schilling, die Darstellerin von Kunigunde, sieht ihre Aufgabe vor allem darin, Kunigunde als eine moderne Frau zu inszenieren. Gebeutelt von Krieg, Vergewaltigung und Flucht findet Schilling Wege, Versehrtheit und Trauma in Kunigunde darzustellen, die dennoch nicht als „heimchenmäßig“ und wehrlos wahrgenommen werden soll. 

Ein großer bunter Topf, den man hübsch köcheln muss…

Die Probearbeiten haben Spaß gemacht, waren aber darum nicht weniger anspruchsvoll, so Hauptdarsteller Daniel Stock. Die Mischung aus Musik, viel Körperlichkeit, Bildgewalt und der steten Bewegung, aus der „Candide“ besteht, seien ein großer bunter Topf, den man hübsch köcheln müsse. Gerade diese Vielfältigkeit und der leichte Witz, der zwischen den ernsten Themen für Auflockerung sorgt, sind Grund genug, warum man Candide nicht verpassen sollte. Solberg nennt es eine ausgewogene Mischung aus guter Unterhaltung und intellektueller Aufforderung, sich mit den Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen. Die Leistung des neuen Ensembles und der Live-Band, die die musicalartigen Gesangseinlagen begleitet, seien großartig. 

Ist es denn nun die beste aller Welten?

Die Antworten von Daniel Stock, Annika Schilling und Simon Solberg fallen sehr unterschiedlich aus. Die einen sind eher pessimistisch und betrachten unsere Welt als etwas natürlich entstandenes, mit dem man eben klarkommen müsse. Und ein heiles, glückliches Deutschland kann es, so Schilling, nur auf Kosten anderer geben. Simon Solberg ist optimistischer. Die Welt an sich sei die beste, doch es falle den Menschen schwer, das zu erkennen. Gewisse Strukturen stehen uns im Weg, nicht zuletzt wir selbst. Wer „Candide – oder die besten der Welten“ ansieht, nimmt viel Diskussionsstoff daraus mit. Endgültige Antworten gibt auch Candide nicht, aber er schickt seine Zuschauer auf die Suche danach. 

bonnFM bedankt sich herzlich für das Interview!