New York, Paris, London, Bonn. Die Aufzählung erscheint paradox? Mit etwa 320.000 Einwohnern gilt Bonn als Großstadt. Von den meisten Städtern wird die ehemalige Hauptstadt dennoch eher belächelt. Wer in Bonn feiern gehen will, der fährt rüber nach Köln. Ein Dorfkind beschreibt eine besondere Form von Heimweh.
„Wo kommst du her?“
„Nee, das habe ich nie gehört.“
„Doch, den Westerwald-Marsch kenne ich. Ist das nicht so’n Nazilied?“
Bis vor einem halben Jahr habe ich in einem 600-Seelen-Kaff gewohnt, das gut eine Stunde Fahrt südlich von Bonn liegt. Und außer dem grünen Umland, den kreisförmigen Verwandtschaftsverhältnissen und dem halbjährlichen Ausflug nach Koblenz kannte ich nicht viel von der Welt.
Jetzt wohne ich in Bonn und mir rast das Herz, wenn ich nur daran denke, dass der Bus alle 10 Minuten in die Innenstadt fährt. Wer im Westerwald mit 18 keinen Führerschein hat, ist dem sozialen Untergang geweiht. Du willst in den nächsten Ort und hast keine Zeit für eine zweistündige Wanderschaft? Du brauchst einen fahrbaren Untersatz. Du willst noch schnell in einen Supermarkt? Da musst du schon warten, bis Mama mit dem Auto zurück ist. Im Nachbarort ist Kirmes? Alle wollen hin, aber keiner will den Fahrer machen.
In der Stadt wissen sie nicht mal, was Kirmes ist.
Eine Kirmes ist das „Kirchweihfest“. Mit Kirche hat dieses Massenbesäufnis nicht mehr viel zu tun, aber einen Anlass muss man zum Saufen schon finden, wenn man auf dem Dorf lebt. Da gibt es keine Disko in nächster Nähe, keine coolen Tanzpartys und Festivals. Und wenn doch, dann sind sie so leer, dass man dem DJ die eigene Musik unterjubeln kann, weil ohnehin niemand sonst auf der Tanzfläche ist. Kirmes jedenfalls, das ist ein einmaliger Ausnahmezustand im Dorf. Ab morgens um zehn ist Frühschoppen, der Musikverein spielt schiefe Töne zum Schunkeln der Alten, die gegen fünf betrunken in ihre Betten fallen. Für die Kinder stehen Losbuden und Karussells herum, damit sie Mama und Papa nicht auf die Nerven gehen.
Man hat die Wahl zwischen Abgas oder Kuhmist.
Ich kenne nicht eine Person vom Land, die bei dem Geruch von Gülle nicht die Luft besonders tief einatmet und schwärmerisch „Ahhh, die gute Landluft“ seufzt. Und obwohl wir das alle ironisch machen, steckt ein Funken Wahrheit darin. Denn wer die treuherzigen Tiere vor Augen hat, die für den Geruch verantwortlich sind, der kann nur schwärmen. Kühe gehören auf dem Dorf ohnehin zur Gemeinschaft. Gegen die Abgase der Stadt ist Kuhmist reines Parfum. Und ob ich mir von Nitrat im Boden oder CO2 auf der Straße das Gehirn vernebeln lasse, ist fast egal.
Wer jedenfalls das Dorf gewohnt ist, der hält Bonn für eine Großstadt. Und eine großartige dazu, denn Bonn ist so klein, dass man sich fast schon wieder heimisch fühlt. Auch ohne Kühe, Kirmes und Abgeschiedenheit.