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Nur Ja heißt ja

Lesezeit: 7 Minuten

Dieser Kommentar gibt in Teilen die subjektive Meinung der Autorin wieder.
In diesem Artikel wird sexuelle Gewalt thematisiert.

In Spanien wurde im Sommer offiziell der neue Grundsatz “Ja heißt ja” im Sexualstrafrecht beschlossen, wodurch Opfer sexualisierter Gewalt besser unterstützt werden sollen. Aber was bedeutet das genau und wie ist die Lage in Deutschland?

Warum Ja heißt ja etwas anderes bedeutet als Nein heißt nein

Elf Monate hat die linke spanische Regierung dafür gekämpft, den bisherigen Grundsatz Nein heißt nein zu ersetzen und das mit Erfolg: Bei der finalen Abstimmung stimmten lediglich die Demokratische Volkspartei sowie die rechtspopulistische Partei Vox dagegen und waren somit in der Minderheit. Das Gesetz ist eine Reaktion auf mehrere Gruppenvergewaltigungen innerhalb der letzten Jahre in Spanien. Die milden Strafen, die die Täter dafür erhielten, lösten große Empörung aus und genau das soll sich jetzt ändern.

Auf den ersten Blick mag dieser Beschluss gar nicht so revolutionär wirken. Aber tatsächlich beinhaltet “Ja heißt ja” in vielen Bereichen mehr als “Nein heißt nein”. Die wichtigste Veränderung des neuen Gesetzes ist dabei ein Perspektivwechsel, der den Konsens in den Mittelpunkt stellt. Sexuelle Handlungen werden jetzt nur noch als einvernehmlich anerkannt, wenn alle Beteiligten aktiv zugestimmt haben. Das bedeutet, dass nicht mehr das Opfer beweisen muss, dass es sich gewehrt hat, sondern der Täter, dass er im Einverständnis aller gehandelt hat. Auch das Strafmaß wurde erhöht, sodass Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe mit einer bis zu 15-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden können.

In Deutschland hingegen lautet der Grundsatz bei Sexualverbrechen seit 2016 „Nein heißt nein“. Strafbar macht sich demnach nur, wer sich gegen den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. Dieser muss dabei verbal oder durch physische Abwehr gezeigt werden. In der Theorie wirkt das logisch und gut umsetzbar, in der Praxis gibt es jedoch viele Gründe und Umstände, warum eine Person sich nicht wehren kann. Allerdings werden nur fünf davon im Gesetz erwähnt, beispielsweise wenn dem Opfer gedroht wird oder es “auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist” (§ 177 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung – dejure.org).

„Nein heißt Nein“ vermittelt unterschwellig, dass Opfer von sexueller Gewalt sich wehren können und müssen und oft als mitschuldig betrachtet werden, wenn sie es nicht tun.  In einer übergriffigen Situation ist es jedoch nicht unüblich, in eine Schockstarre zu verfallen und gar nicht in der Lage zu sein, handeln zu können. Laut einer Studie eines Forscher*innen-Teams der University of Albany und der Temple University gaben 42% der Opfer sexualisierter Gewalt an, während des Übergriffs in einen Zustand der Regungslosigkeiten gefallen zu sein (Factor structure of the Tonic Immobility Scale in female sexual assault survivors: An exploratory and Confirmatory Factor Analysis – ScienceDirect) . Das Gehirn reagiert auf diese Weise auf extreme Angst- oder Schocksituationen, was die häufig gestellte Frage “Warum hast du dich nicht gewehrt?” jedoch missachtet.  (Tonic immobility during sexual assault – a common reaction predicting post-traumatic stress disorder and severe depression – PubMed (nih.gov)).  Allgemein sind Statistiken zum Thema sexualisierte Gewalt rar in Deutschland; die letzte dazu durchgeführte Studie von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist aus dem Jahr 2004 (BMFSFJ – Studie: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland). Das Ergebnis: Nur eine von hundert Betroffenen erlebt die Verurteilung ihres Täters erlebt.

Ich war nicht diese eine. Tatsächlich habe ich es nicht mal bis zur Anzeige geschafft.

Es läuft nicht immer wie im Film

Häufig vermitteln Medien, zum Beispiel Filme, einen sehr einseitigen Blick auf sexuelle Übergriffe: der Fremde, der Personen im Club K.O.-Tropfen untermischt oder nachts auf dem Nachhauseweg auflauert. Tatsächlich kommt eine Studie der EU von 2014 zu dem Ergebnis, dass in ca. 77% der Fälle der Täter dem Opfer aber bekannt ist (https://fra.europa.eu/en/publication/2014/violence-against-women-eu-wide-survey-main-results-report). Das erzeugt nochmal ein ganz anderes Machtverhältnis und verzerrt auch die Wahrnehmung der Tat: Wenn es kein Fremder im Busch war, war es dann sexuelle Gewalt?

Auch bei mir hat es damals lange gedauert, bis ich verstanden habe, was damals passiert ist. Erst, als ich Freund*innen nebenbei davon erzählt habe und die Reaktion kein Lachen, sondern besorgtes Nachfragen war, wurde mir schlagartig vieles bewusst. Genauso wenig wird darüber gesprochen, dass Übergriffe auch im eigenen Zuhause passieren, in dem man sich eigentlich sicher fühlen sollte. Keine*r kann einen darauf vorbereiten, was es mit einem macht, in seinen eigenen vier Wänden so eine massive Grenzüberschreitung zu erleben. Hätte mir ein*e Freund*in dieselbe Geschichte erzählt, wäre für mich eindeutig gewesen, was passiert ist. Aber das für sich selbst anzunehmen? Schwierig. Meine Geschichte passte nicht in dieses typische Narrativ, was mich daran hat zweifeln lassen, ob es denn wirklich so schlimm war. Hinzu kommt, dass sich noch immer viele Vergewaltigungsmythen hartnäckig in der Gesellschaft halten. Sehr oft muss man sich Vorwürfen stellen wie „Was hattest du an?“, „Warum warst du nachts allein unterwegs?“, „Warum hast du dich nicht gewehrt?“. Dadurch wird die eigene Glaubwürdigkeit in Frage gestellt und irgendwann fängt man selbst an, an allem zu zweifeln.

Anzeigen ist nicht immer eine Option

Anzeigen ist aber nicht immer eine Option. Es wirkt erstmal einfach, aber die rechtliche Lage macht es häufig schwierig, Erfolge zu sehen und etwas zu bewirken. Zum einen liegt das an der Unschuldsvermutung, die in Deutschland gilt. Ich möchte mich auf keinen Fall gegen die Unschuldsvermutung aussprechen, aber sollte sie nicht in beide Richtungen gelten? Sollten Opfer nicht auch als unschuldig gelten, in dem Sinne, dass sie nicht lügen, bis das Gegenteil bewiesen ist? Zumal ein Vergewaltigungsprozess eine große Schwierigkeit für Betroffene darstellt. Bis zu dem Moment, in dem mir allerdings bewusstwurde, was passiert war, verging viel Zeit – und mit der Zeit auch die Beweise. Manchen kann eine Anzeige und ein Prozess helfen, damit abzuschließen. Für andere hingegen ist es belastend, immer wieder alles erzählen zu müssen und sich ständig mit der Tat auseinanderzusetzen. Gesetzt den Fall, dass es überhaupt zu einem Prozess kommt. Und selbst wenn man in dieser Hinsicht Erfolg hat, wird der Täter selten verurteilt. Nicht anzuzeigen kann somit auch eine Form von Selbstschutz sein.

Wie retraumatisierend und schwierig es für die Opfer sein kann, sich zu trauen öffentlich zu sprechen, zeigen auch Beispiele aus den Medien im letzten Jahr wie die #deutschrapmetoo-Bewegung. Entstanden ist diese, als Nika Irani einem Deutschrapper vorgeworfen hat, sie vergewaltigt zu haben. Daraufhin wurden einige Stimmen laut, die sich sicher waren, sie wolle durch die Vorwürfe nur Rache oder Ruhm erlangen. Solche Kommentare sprechen einem die eigene Erfahrung ab und greifen zum einen natürlich die Person an, die öffentlich darüber redet, gleichzeitig aber auch alle anderen Opfer. Diese Diskussionen zu verfolgen war für mich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gab es mir sehr viel Mut, dass andere Betroffene sich trauen, offen darüber zu sprechen – man merkt, dass man nicht allein ist. Andererseits haben mich all die Vorwürfe, denen sich z.B. Nika stellen musste, ziemlich mitgenommen. Sie kreieren einen Raum der Angst und zeigen, wie schwierig es für Betroffene sein kann, ihre Geschichten zu teilen und ernstgenommen zu werden.

Auch der Fall von Ines Anioli hat gezeigt, dass ein eingestelltes Verfahren oft als Freispruch gewertet wird. Zwar kam es nach ihrer Anzeige zu einem Prozess wegen Vergewaltigung gegen den Comedian Luke Mockridge, allerdings wurde dieser aus Mangel an Beweisen eingestellt. Was ja nur bedeutet, dass Mockridge nichts nachgewiesen werden konnte, Aniolis Anschuldigungen aber nicht automatisch falsch sind. Auch wenn der Comedian und seine Fans oft von Rufmord sprechen, verkauft er weiter große Hallen aus und hat seine eigene Fernsehshow. Das mag rechtlich zwar richtig sein, hinterlässt aber bei vielen einen schalen Nachgeschmack.

Es sind aber eben diese Vergewaltigungsmythen, die das Bild eines Opfers aufrechterhalten, das die Tat durch eigenes Verhalten selbst provoziert hätte. Ich hatte die Schuld schnell internalisiert und mich oft gefragt, ob ich mich genug gewehrt habe oder mir eingeredet, es wäre nicht so schlimm gewesen, weil ich es nicht habe. Dadurch habe ich meinen eigenen Gefühlen misstraut; mir fiel es leichter, an die eigene Schuld zu glauben, als daran, dass jemand mutwillig zu so etwas fähig ist. Viele wissen somit gar nicht, dass ihnen eine Straftat widerfahren ist. Eine Gesetzeslage, die aktives Widersetzen anstelle von fehlendem Konsens zum Maßstab macht, stärkt diesen Eindruck. Als ich irgendwann begriffen habe, was wirklich passiert war, war es eine überfordernde Welle an Gefühlen, die einbrach. Gleichzeitig wurde ich in die Position gedrängt, zu beweisen, dass ich mich gewehrt habe, während von ihm keine*r verlangt hat, zu beweisen, dass er nach meiner Zustimmung gefragt hat. “Ja heißt ja” bedeutet natürlich nicht, dass einem bedingungslos geglaubt wird und es keiner Beweise bedarf. Dieser Grundsatz stellt jedoch andere Fragen: Aus “Warum hast du dich nicht gewehrt?” wird “Warum hast du nicht gefragt?”. Dieses Umdenken führt dazu, dass man dem Opfer zum einen die Schuld und die Scham nimmt, zum anderen anerkennt, dass es nicht die eine vermeintlich richtige Reaktion auf einen Übergriff gibt. Ob dieser Grundsatzwechsel auch zu mehr Verurteilungen führt, wird sich noch zeigen. Dennoch ist es ein Zeichen, dass die Rechte der Opfer gestärkt werden und allein das kann ihnen den Mut geben, die Schuld nicht bei sich zu suchen und die Täter anzuzeigen.

Das eigene Empfinden zählt

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Beratungsmöglichkeiten für Betroffene sexualisierter Gewalt (z.B. Bundesverband Frauenberatungsstellen, Hilfetelefon Sexueller Missbrauch etc.), was definitiv wichtig ist – darüber zu sprechen kann Opfern helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Gleichzeitig kann die Beratung auch sehr ernüchternd sein. Um zu verstehen und benennen zu können, was damals passiert ist und da ich meinem eigenen Urteil nicht glauben wollte, habe ich eine solche Beratung in Anspruch genommen. Das Gespräch war allerdings schon nach zehn Minuten vorbei, für die Beraterin schien die Lage eindeutig: Jemanden zu treffen, wenn es schon dunkel ist, sei naiv. Dadurch, dass Alkohol im Spiel war, würde mein Nein nicht zählen – ich könnte ja meine Meinung geändert und es vergessen haben. Eine Anzeige wäre daher sinnlos. Ihr Rat für mich war einfach, weniger zu trinken, dann würde sowas auch nicht passieren. Auch jetzt noch, Jahre später, lassen mich diese Sätze an allem zweifeln. Was ist, wenn ich doch nur übertreibe? Zu einer Beratungsstelle zu gehen, sich jemandem anzuvertrauen, in dem Glauben, zumindest hier auf Verständnis zu stoßen, ist schwer genug. Ich denke und hoffe, dass so eine Reaktion nicht die Regel ist – immerhin sind Grenzüberschreitungen auch sehr subjektiv und so ein Empfinden kann einem niemand, auch nicht Personen in einer Beratungsstelle, absprechen. Das letzte, was ich will, ist jemand Unschuldigem eine solche Tat vorzuwerfen. Danach habe ich mich selbst verantwortlich gefühlt, weil ich etwas getrunken hatte, obwohl das keine Rolle spielen sollte. Manchmal frage ich mich, wie die Beratung gelaufen wäre, würde auch hier „Ja heißt ja“ gelten. Denn das habe ich nie gesagt. Ja, ich habe ihm erlaubt, in meine Wohnung zu kommen. Ich habe ihm diesen einen Schritt erlaubt. Wann hat er entschieden, dass er für alles andere keine Zustimmung braucht? Dieses Gespräch war für mich Grund genug, keine Anzeige zu erstatten. Ich hatte Angst, bei der Polizei nicht ernst genommen zu werden, noch dazu hatte ich keine wirklichen Beweise, sodass die Aussicht auf eine Verurteilung sehr gering war. Bis heute bereue ich es manchmal, ihn nicht angezeigt zu haben. Für ihn war es nur eine Nacht ohne Konsequenzen, während es für mich immer noch nicht abgeschlossen ist.

„Ja heißt ja“ zur Stärkung der Opfer

Laut BKA-Statistik wurden in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 9426 Anzeigen wegen Vergewaltigung aufgegeben (BKA – Interaktive Karten – PKS 2019 – Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe). Das sind 9426 unterschiedliche Geschichten und Wege, damit umzugehen. Für mich ist es immer noch ein innerer Kampf, einzuordnen und zu benennen, was damals passiert ist.  Nicht nur die Tat an sich, sondern auch alles danach. Ein paar davon werden in diesen Standard passen, andere aber auch nicht, weswegen man sie aber nicht weniger ernst nehmen sollte. Das Bild eines klassischen Täters und Opfers muss sich auflösen und die gesellschaftliche Wahrnehmung von sexuellen Übergriffen sich ändern. “Ja heißt Ja“ sorgt natürlich nicht dafür, dass solche Taten nicht mehr stattfinden. Aber dieser Grundsatz würde eine neue Perspektive und einen respektvolleren und somit besseren Umgang mit den Opfern ermöglichen, der dringend gebraucht wird.