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Bild: Ayla Yildiz

Mutterschaft: Sollen wir alle keine Kinder mehr kriegen?

Lesezeit: 3 Minuten

Dieser Kommentar gibt die subjektive Meinung der Autorin wieder.

Der Dokumentarfilm „me time“ von Ayla Yildiz thematisiert Erwartungen an  Frauen und Müttern, die längst überholt scheinen. 

Ich muss schlucken. Da sagt eine Frau vor laufender Kamera, dass sie es bereut, ihr Kind bekommen zu haben. Wenn ich ehrlich bin, bin ich richtig schockiert, denn so einen Satz habe ich noch nie gehört. Der Begriff Tabuthema wird bestimmt in vielen Kontexten zu schnell verwendet, aber hier, beim Thema Regretting motherhood, scheint er perfekt zu passen. Was ich nicht gedacht hätte ist, dass ich zehn Minuten später diese Frau, die eben noch etwas so provokantes gesagt hat, total gut verstehen kann und mich sogar ein bisschen mit ihr identifiziere. 

Eine andere Frau berichtet davon, dass sie während des Sexualkunde-Unterrichts in der Schule wusste, dass sie wahrscheinlich keine Kinder haben möchte. Als erwachsene Frau lässt sie sich dann sterilisieren und fühlt sich so frei und empowered. Sie postet sogar ein Selfie mit Peace Zeichen direkt nach der OP, also noch im Krankenhauskittel und vermutlich noch erschöpft vom Eingriff. Erschöpft, aber glücklich. Einige Zeit später soll sie wegen eines anderen gynäkologischen Problems die Gebärmutter entfernt bekommen. Sie bekommt von der Ärztin zu hören, dass sie danach definitiv keine Kinder mehr bekommen könne. Verrückt oder, denn sie hatte ihren Entschluss zur Kinderlosigkeit ja längst getroffen.

Die herrschenden Stereotype

Ein Kind gehöre wohl immer dazu, heißt es. Wenn die innere Uhr tickt und wenn man einen Mann an der Seite hat, habe man wohl keinen Grund mehr kinderlos zu leben. In jeder Frau stecke eine Mutter. Die Logik solcher Sätze lautet immer: Wenn Du die Beziehungsrolltreppe drei Stockwerke hochgefahren bist, kommst Du dann in der Kinderabteilung an. 

In Ayla Yildiz‘ Dokumentarfilm „Me Time“ wird 86 Minuten lang offen und ehrlich über Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation, über ungeplante Schwangerschaft und den Weg zur glücklichen Mutter, umgekehrt vom gewollten Kind zu Regretting Motherhood gesprochen. Es geht um Erwartungen an Frauen und Mütter, eine bestimmte Rolle einzunehmen. 

Jedes Staffelende einer von uns geliebten Serie, so die Filmemacherin, wird eigentlich immer mit Verlobung, Hochzeit oder Schwangerschaft gekrönt. Oder alles zusammen. Kein Wunder, dass ich als geübte Serienkonsumentin schockiert bin, wenn das Ende diesmal anders ausfällt. 

Ein Kind verändert alles

Ich habe ja schon angedeutet, dass ich die Mutter, die es bereut, einen Sohn bekommen zu haben, überraschenderweise gut verstehen kann. Sie hat ein Gefühl der Überforderung bald nach der Geburt gemerkt. Außerdem spricht sie davon, dass sie ihren Schlafentzug wie eine Folter erlebt habe. Sie habe zudem keinen Spaß daran, zehn Stunden auf dem Spielplatz zu verbringen. In ihrer Elternzeit habe sie sich kognitiv unterfordert gefühlt. Das kann ich verstehen.

Macht sie das zu einer „Rabenmutter“? Nein. Im Film sieht man, dass sie genau so sorgsam mit ihrem Sohn umgeht, wie man es bei anderen Müttern im Park beobachten könnte. Denn da ist auch Liebe. Es geht hier eher um ihr altes Leben, dass sie durch das Kind verloren hat. Eine Zeit, die sie jetzt sogar ein bisschen romantisiert. 

„Kinderfrei“ statt „kinderlos“?

In einer anderen Passage des Films wird der Begriff „kinderlos“ problematisiert. Kinderlos klingt so negativ. Deshalb wird der Begriff mehrmals durch „kinderfrei“ ersetzt. Denn warum wird das Defizit immer nur bei denen gesehen, die keine Kinder wollen und nicht bei denen, die den „klassischen Kinderwunsch“ verspüren? Es geht hier nicht um Eltern-Bashing, es geht um eine Entscheidung, die erstens Privatsache ist und mit der zweitens verantwortungsvoll umgegangen werden soll.

 Auch ein Mann kommt im Film zu Wort. Ihm ist es wichtig, dass auch Väter bzw. zukünftige Väter genauer hinterfragen, ob und warum sie eigentlich ein Kind haben wollen. Nicht damit am Ende alle „kinderfrei“ leben, sondern damit die Väter sich auch für ihr Kind so einsetzen und kümmern, wie es an der Zeit wäre. Schließlich ist Kinderkriegen unwiderruflich.

Der Filmemacherin gelingt es in dieser Doku, ein so emotionsgeladenes Thema ehrlich und trotzdem humorvoll und sogar mit einer gewissen Leichtigkeit auf die Leinwand zu bringen. 

Public Viewing und diskutieren

Ayla Yildiz wünscht sich, dass dieser aufklärende Film “me time“ unter Freund*innen oder mit der Familie geschaut wird, damit wir jungen Menschen verantwortungsbewusst und ehrlich mit uns selbst und mit diesem Thema beschäftigen. Und vielleicht erfahren wir dann auch Geschichten von unseren Eltern, die uns erst schockieren bevor wir sie verstehen.

Der Dokumentarfilm wird auf der Streamingplattform Vimeo zur Ausleihe und Verkauf angeboten. Weitere Informationen dazu findet Ihr unter https://ayla-yildiz.de/me-time/.