Seinem Namen macht das Melt! Festival seit Jahren alle Ehre und lässt die Festivalbesucher jährlich dahinschmelzen – aus zweierlei Gründen: ein Händchen für heißestes Wetter und ein anderes für ein liebevoll gestaltetes Festival.
Auch in diesem Jahr hatte die Sonne über dem Melt! Festival wieder mal kein Erbarmen und sorgte für knappe, teils kuriose Kleidung bei den Festivalbesuchern. Die beliebten Ganzkörper-Bären-Kostüme anderer Festivals wurden durch Ganzkörper-Badeanzüge ausgetauscht – und das teilweise sogar im Partnerlook. Wer weniger als 20 % seiner Haut mit Kleidung bedeckte, gehörte am vergangenen Wochenende eher zum Durchschnitt, als dass er mit einem Hotpants-Verbot versehen wurde. Ab und an – und am Sonntag immer häufiger – gönnte sich die Sonne dann doch mal eine Pause und ließ Regen und sogar Hagelstürmen den Vortritt. Wer voreilig Jacken oder lange Hosen aus dem Zelt kramte, hatte sich allerdings zu früh gefreut. Noch während der Boden komplett mit fast tischtennisballgroßen Hagelkörnern bedeckt war, kam die Sonne schon wieder um die Ecke. Von Abkühlung keine Rede. Wer schnell reagierte, konnte noch eben ein paar Hagelkörner als Eiswürfel umfunktionieren, um kurz darauf der Hitze zu erliegen und in einen Campingstuhl zu sinken.
Ferropolis – geht es besser für ein Festival?
Zum Glück gibt es da ja aber noch den Gremminer See. Er ist die einzige Möglichkeit, der Hitze zu entkommen und das wird auch dankbar von gefühlt allen Festivalbesuchern angenommen. Der aus dem Tagebau hervorgegangene See umschließt das auf einer Halbinsel gelegene Festivalgelände Ferropolis – Stadt aus Eisen. Eine atemberaubende Kulisse bieten die Tagebaugroßgeräte (einfacher ausgedrückt, wenn auch fachlich bestimmt nicht ganz richtig: Bagger). Diese Giganten stehen neben, hinter und zwischen den Bühnen und bieten Platz für unzählige Bleuchtungsvarianten, Discokugeln, Animationen und Fackeln. Diese Möglichkeiten werden von den Festivalveranstaltern mit Liebe zum Detail verwendet, um das Festival einzigartig zu gestalten. Doch nicht nur optisch fällt bei diesem Festival die Liebe zum Detail ins Auge. Hier ist so einiges ganz anders – sei es das kulinarische Essensangebot oder Fleurop, die den Festivalbesuchern aufwendige Blumenkränze in die Haare flechten. Wenn man sich bei einem Festival nicht zwischen schweizerischem Raclette, ungarischem Lángos oder den Handbrot-Spezial Varianten entscheiden kann – dann ist das eindeutig ein gutes Zeichen. Wenn dann noch Volunteers vor den Bühnen Wasser verteilen und zahlreiche Gäste mit dem festivaleigenen Melt! Train anreisen, dann ist klar: hier wird von A bis Z alles durchdacht. So ist es kein Wunder, dass nicht nur die Details sondern auch größere Dinge wie Anreise, Bändchenausgabe, Einlass, die von 20.000 Menschen benutzten Wege und sogar das neue Cashless Bezahlsystem für keinerlei Zwischenfälle sorgen.
Neu in diesem Jahr: Auch das Melt! wird Cashless
Das Hurricane hat es im Juni vorgemacht, das Ausland – insbesondere die USA – machen es seit Jahren. Bargeldloses Bezahlen mittels RFID-Chip am Festivalbändchen scheint sich mehr und mehr auf den Festivals durchzusetzen, seit diesem Jahr auch endlich in Deutschland. Endlich? Das ist hier die große Frage. Die Meinungen über das neue Bezahlsystem gehen weit auseinander. Datenschützer sorgen sich, Festivalbesucher wundern sich, Festivalveranstalter testen es. Für das Melt! Festival scheint es funktioniert zu haben. Dass der immens hohe technische Aufwand auch kurzfristig ins Wanken geraten kann, hat das Hurricane bereits 2012 vorgemacht. Einen Tag vor Festivalbeginn mussten sich die Organisatoren von dem bargeldlosen System verabschieden, das anschließende Chaos war vorprogrammiert. Das Melt! Festival erprobte die RFID-Technologie bereits im Gästelistenbereich in den vergangenen Jahren. Offensichtlich waren die Veranstalter also in diesem Jahr vorbereitet genug, um das komplette Festival bargeldlos zu machen. Von Getränken über Essen bis hin zu Merchandise und Supermarkt – überall konnte lediglich mit dem Chip am Bändchen bezahlt werden. Zugegeben, ein Festival ohne die Sorge um das Bargeld in der Tasche hat einen gewissen Reiz, dennoch müssen Ausweise, Schlüssel und Handy ja trotzdem noch sicher verwahrt werden. Ähnlich wie bei Kreditkarten fehlte zudem die Kontrolle über das, was letztlich ausgegeben wird. Eine gewisse Unsicherheit, ob man jetzt auch wirklich nur zwei Getränke bezahlt hat, blieb bei jedem Bezahlvorgang. Und am Ende waren ja eh nur noch ein paar Euro auf dem Chip, bevor man sich die jetzt zu Hause zurückzahlen lässt, holt man sich dann halt eben doch noch ein letztes Bier. Es ist wohl Geschmackssache, ob man sich der RFID-Technologie gerne hingibt oder ihr sorgenvoll gegenübersteht. Letztlich gab es zumindest auf dem Melt! sowieso kein Entkommen… Außer dem radikalen Schritt, sein Ticket wieder zu verkaufen.
Und was ist eigentlich mit Musik?
Musik gab es natürlich auch auf dem Melt! Festival. Wie immer sogar sehr viel. Was man dem Melt! zu Gute halten muss, ist die angenehme Mischung zwischen elektronischer Musik und ausgewählten Bands. Diese musikalische Abwechslung ist auch in diesem Jahr wieder gelungen. Dennoch hatte das Line-Up bei Weitem nicht so viel zu bieten, wie man es vom Melt! gewohnt ist. Ob die Musik deswegen bis ans Ende des Berichts gerutscht ist? Vielleicht.
Das soll jedoch nicht heißen, dass nicht auch großartige musikalische Höhepunkte dabei waren. Die französisch-kubanischen Zwillingsschwestern von Ibeyi am frühen Sonntagnachmittag waren zum Beispiel einer dieser Höhepunkte. Auf Englisch und Yoruba, einer nigerianischen Sprache, die durch den Sklavenhandel nach Kuba kam, bezauberten sie das Publikum. Besonders der sehr starke Song „River“ ihres in diesem Jahr erschienenen Debüts hinterließ einen bleibenden Eindruck. Zunächst zur Mitte des Konzertes, dann nochmal als Zugabe. Die Schwestern animierten das Publikum zum Mitsingen und kamen erleichtert aufgrund des gelungenen Konzertes völlig aus sich raus. Ein Vorgeschmack auf die Weiterentwicklung des Duos? Hoffentlich! Weitere Highlights gab es Samstagnacht bei den schottischen Young Fathers und am Sonntagnachmittag bei Erlend Øye, dem neuen Soloprojekt des Sängers von The Whitest Boy Alive und Kings of Convenience.
Trotz dieser wundervollen Höhepunkte gab es insgesamt ein paar zu wenig davon. Und dann war da noch Kylie Minogue. Die Pop-Ikone war wohl die größte Überraschung im diesjährigen Line-Up. Die Mainstage und das umliegende Gelände waren prall gefühlt mit einem polarisierten Publikum, als es am Samstagabend dann so weit war. Während die einen jeden Hit feierten und vor der Bühne „Kylie! Kylie!“ Gesänge anstimmten, stieg auf den hinteren Plätzen ein Unbehagen angesichts des unpassenden Auftritts einer Pop-Ikone auf einem Festival wie dem Melt!. Wechselnde Kleidchen-Outfits, Tänzer, Krönchen und von Klischee zu Klischee hangelnde Ansagen à la „Du bist nie allein!“ wirkten genauso fehl am Platz, wie das gecoverte „99 Luftballons“ mit Herzchenluftballon in der Hand.
Ob wegen des Line-Ups, den personalisierten Tickets oder dem Cashless Bezahlsystem – zum ersten Mal war das Melt! Festival seit einigen Jahren nicht ausverkauft. Das Festival ist einzigartig sehenswert im Vergleich zu den meisten deutschen Festivals, wenn das Line-Up dabei nächstes Jahr auch wieder mitzieht, wird das Melt! Festival sicherlich wie gewohnt „Ausverkauft!“ vermelden können.