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Rasieren oder nicht-Rasieren, das ist hier die Frage

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Ob an Beinen, Armen oder im Intimbereich: weiblich gelesene Personen haben Körperbehaarung. Doch nach wie vor ist die haarlose Barbie das Schönheitsideal. Aber woher kommt der Ekel vor etwas, das an meinem Körper wächst, das an meinem Kopf in Ordnung ist? Und warum ist es nicht für alle weiblich gelesenen Personen gleich leicht, mit diesem Schönheitsideal zu brechen?

Hat Cleopatra schon den Gillette Comfort Glide Spa Breeze geschwungen?

Die Geschichte der Haarentfernung ist genauso alt wie die Geschichte der Menschheit. Wofür heute der Rasierer herhalten muss, wurden früher schon Steine und Muscheln verwendet. Je nach Kulturkreis und Epoche unterscheiden sich dabei die Ideale für männlich und weiblich gelesene Personen stark. Aber nicht nur dem gender, sondern auch anderen Charakteristika wie beispielsweise der sozialen Klasse wurden mittels der Körperbehaarung Ausdruck verliehen. Im antiken Rom zum Beispiel war smooth rasierte Haut ein Zeichen höherer gesellschaftlicher Stellung — für weiblich UND für männlich gelesene Personen. Im Mittelalter hingegen ließ die „gute“ katholische Frau ihr Körperhaar wachsen — als Zeichen ihrer Feminität.

Geschlechterspezifische Schönheitsideale sind also immer ein Produkt ihrer Zeit und Kultur. Dementsprechend sind sie alles andere als „natürlich“, sondern sehr konstruiert. Sie bringen Machtverhältnisse zum Ausdruck und wandeln sich mit der Gesellschaft, in der sie gelten. Das gilt auch für den vorherrschenden Schönheitsstandard für weiblich gelesene Personen im 21. Jahrhundert: haarlos.

Ich rasiere mich, weil…

Eine Studie befragte Frauen in den USA nach der Motivation hinter der Intimrasur. An erster Stelle verwiesen die Befragten auf verbesserte Hygiene; darauf folgen eigene Schönheitsideale, drittens “partner preferences” und an vierter Stelle besserer Sex. Klingt zunächst einmal plausibel. Aber was ist wirklich dran? Im Zeitalter vom regelmäßigen Duschen ist Körperbehaarung, vor allem im Intimbereich, gar nicht so unhygienisch. Im Gegenteil: die Härchen im Intimbereich saugen Schweiß auf — ohne sie können sich Bakterien und Pilze deutlich leichter vermehren. Außerdem erhöhen Mikroverletzungen, die bei der Enthaarung des Intimbereichs entstehen, die Anfälligkeit für Infektionen. (Bei Personen mit Vulva kommt noch hinzu, dass die Intimbehaarung einen Schutz gegen eindringenden Schmutz bietet.)

Allein an verbesserter Hygiene kann es also nicht liegen, dass so viel Zeit, Arbeit und Geld investiert wird, um den Mythos vom haarlosen weiblichen Körper aufrechtzuerhalten. Es lohnt sich also zu hinterfragen, was es mit den “eigenen Schönheitsidealen” und “partner peferences” auf sich hat. Schließlich entstehen solche Präferenzen nicht im luftleeren Raum.

Charles Darwin und *capitalism*

1871 veröffentlichte der britische Naturforscher Charles Darwin sein Werk über die Evolutionstheorie. Bottom line: der Mensch stammt vom Affen ab. Im Anschluss an diese Entdeckung etablierte sich eine, teilweise auch rassistische, Vorstellung, dass Haarlosigkeit ein Zeichen für Zivilisiertheit, Hygiene, sexuelle Attraktivität und Gesundheit sei. Sprich: Je weniger haarig, desto weiter entfernt vom Affen. Auch die Medizin dockte an den Evolutionsdiskurs an und nahm Kategorisierungen von Behaarung vor. Eine starke Körperbehaarung bei weiblich gelesenen Personen wurde beispielsweise mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Auch wurde die These aufgestellt, je behaarter eine weiblich gelesene Person, desto weniger fruchtbar. Diese nie bewiesenen Thesen wirken bis heute in unseren Vorstellungen zu Hygiene und Ästhetik nach.

Doch trotz dieser Ausschweifungen in den Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert wurde die haarlose Norm erst im Laufe des 20. Jahrhunderts so richtig zementiert. Dazu trugen der gute alte Kapitalismus und die Konsumgesellschaft übriges bei. Es ist weithin bekannt, dass die Beauty-Industrie ihr Geld damit verdient, weiblich gelesene Personen dazu zu bringen, ihre eigenen Körper zu hassen. Davon ist auch die Körperbehaarung nicht ausgenommen. 1915 brachte die Firma Gillette den Milady Décolletée heraus — der erste Rasierer explizit für weiblich gelesene Personen. Ein damaliger Slogan titelte: „A beautiful addition to Milady’s toilet table – and one that solves an embarrassing personal problem”. Klar, wäre auch zu schade, wenn man mit dem eigenen Produkt nur die eine Hälfte der Population bedienen könnte.

Heute zieren der Gillette Venus Satin Care oder der Gillette Venus Comfortglide Sugarberry wie selbstverständlich die Badezimmer — allzeit bereit, die Göttin in dir zu erwecken. Eine immer explizitere Popkultur und mainstream Pornographie taten ihr Übriges, um den haarlosen Körper als Standard für Attraktivität und Weiblichkeit in unseren Köpfen zu etablieren.

Achselhaar-Rebellion? Ja, aber…

Natürlich gab und gibt es auch trotz der haarlosen Norm immer wieder weiblich gelesene Personen, die vormachen, dass es auch anders geht. Social Media gibt diesem Phänomen neuen Aufschwung. Stars wie Miley Cyrus, Cara Delevingne und Gigi Hadid zeigen sich mit unrasierten Achseln, frei nach dem Motto: So bin ich und ich scheiß drauf, was du von mir denkst. Auch weniger berühmte, weiblich gelesene Personen folgen dem Trend. Den Tabu-Bruch zu begehen, hat was rebellisches und kann sehr empowering sein.

Das Problem dabei: Man muss es sich leisten können, von der Norm abzuweichen. Ein großer Teil derjenigen, die öffentlich zu ihrer Körperbehaarung stehen, kriegen zwar einen shitstorm ab. Im Großen und Ganzen werden sie aber weiterhin als attraktiv gelesen, weil sie in anderer Hinsicht der Norm entsprechen. Beispielsweise, weil sie weiß, cis, heterosexuell, ablebodied oder schlank sind. Die Fallhöhe ist also nicht so groß.

Die australische Soziologin und Ekelforscherin Breanne Fahs hat diesbezüglich ein spannendes Experiment durchgeführt: Sie bat ihre weiblich gelesenen Studierenden sich für einen Zeitraum von 10 Wochen weder Achsel- noch Beinbehaarung zu entfernen. Teilnehmer*innen in heterosexuellen Beziehungen bekamen „nur“ negative Rückmeldungen von ihren Partnern. Teilnehmer*innen hingegen, die PoC oder armutsbetroffen waren, wurden aktiv von ihrem Umfeld gewarnt, dass sie sich durch die Körperbehaarung einem höheren Gewalt-Risiko aussetzten.

Schönheitsideale und ihre Kehrseite, das Hässliche, haben immer auch etwas mit Abwertung von Menschenleben zu tun — ein Spektrum, an dessen Ende leider häufig Gewalt steht. Am Ende des Tages kann und sollte jeder selbst entscheiden, wie er mit seiner Körperbehaarung umgeht. Allerdings ist es wichtig, auf die Gründe hinter dem Schönheitsideal zu reflektieren, bevor man für den ein oder anderen Umgang damit plädiert beziehungsweise andere Menschen für ihre Praxis verurteilt.