Die neue GOP Spielzeit ist angebrochen und es wird wahnsinnig. Bei der neuen Show Freaks bestaunen wir die Irren und Außergewöhnlichen auf der Bühne, und sind hin- und hergerissen zwischen starren und wegschauen.
Früher war der Zirkus nicht das, was wir heute kennen. Mit „Freakshows“ zogen die Menschen durchs Land, die anders waren. Kleinwüchsige, Menschen mit Behinderungen oder Mutationen, besonders talentierte oder kranke Menschen wurden damals auf der Bühne zur Schau gestellt. Von der Gesellschaft verstoßen und als Monster bezeichnet, konnten sie im Zirkus ihre Andersartigkeit zu Geld machen. Diese Arbeit war zwar menschenverachtend, wir haben aber einfach einen Hang zum Morbiden. Dieses Motiv inspiriert nicht umsonst Werke wie „American Horror Story“ oder „The Greatest Showman“ und nun auch die neue GOP-Show.
Bei dieser Produktion ist aber niemand missgebildet oder krank. Ganz im Gegenteil: Die Frauen und Männer auf der Bühne sind schön, talentiert und tun das alles aus freiem Willen. Dafür haben sie aber alle besondere Fähigkeiten, die es verbieten, sie als „normal“ zu bezeichnen. Eigentlich ist es für das Varieté ja nichts Außergewöhnliches, wagemutige und talentierte Akrobaten auf der Bühne zu zeigen. In jeder Show haben wir Männer und Frauen, die in schwindelerregender Höhe unmögliche Stunts aufführen und ihre Körper auf unterschiedlichste Arten verbiegen. Was macht Freaks also so besonders?
Bunt und bizarr
Die Antwort lautet: Die extra Prise Exzentrik und ein Tropfen Wahnsinn. Das Setting der Freakshow ist einfach perfekt für das GOP. Die Artist*innen haben alle ihre eigene Rolle, beispielsweise die Spinnenfrau, die Nordmänner, der Fakir oder eben der Freakmaster, der sie alle im Zaum hält. Das Bühnenbild ist phänomenal und erfüllt alle Vorstellungen. Ein riesiger, gruseliger Clownskopf, der Schausteller*innen aus dem aufgerissenen Maul spuckt, ist genau das, was ich mir erhofft habe. Die Bühne wird auch ein Teil der Show, ohne zu viel verraten zu wollen. Die geheimnisvolle Atmosphäre ergießt sich von der Bühne aus in den Saal und überschwemmt das Publikum mit Spannung – man weiß nie, welches besondere Talent die nächste mystisch aussehende Person mitbringt. Der einzige Kritikpunkt: Vor der Show und während der Pause gibt es keine Spur mehr davon. Ich hätte mir gewünscht, auch bei geschlossenem Vorhang in die Welt der Freakshow hineingezogen zu werden, entweder durch passende Musik, Essen oder Einlagen.
Die Musik dieser Show muss besonders hervorgehoben werden. Was Freaks von anderen Produktionen unterscheidet ist definitiv die Livemusik. Der „Freakmaster“ Elyas Khan ist selbst Sänger und Schauspieler und untermalt viele der Acts mit einer Mischung seiner rauen Stimme und den Klängen der E-Gitarre. Auch optisch ist er perfekt auf die Rolle zugeschnitten, denn mit weißem Anzug, langem Bart und schwarzem Auge kauft man ihm komplett ab, einen exotischen Zirkus zu leiten. Neben zwei rein musikalischen Auftritten wird auch noch eine Loop-Station in die Show mitaufgenommen, die Khan selbst bedient. So wird nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr die ganze Zeit über mit frischen Eindrücken versorgt.
Manage frei! Meet the Freaks!
Was die Show wirklich trägt, sind die Charakterrollen. Jede Person ist komplett individuell und hat eigene Talente. Die Vielseitigkeit, die aus diesem bunten Mix von Freaks hervorgeht, ist einfach beeindruckend. Manche Rollen sind natürlich einprägsamer als andere: So hat man die bärtige Dame, die Irrenhaus-Patientin und den Komiker natürlich besonders schnell ins Herz geschlossen. Die Menschen schaffen es, ihre Rolle dem Publikum nur durch Gestik und Mimik zu vermitteln, sodass man am Ende das Gefühl hat, man würde ihre Hintergrundgeschichte schon lange kennen. Insbesondere ist hier Vanessa Collini zu nennen, die mit ihrer Zwangsjacke, den dunkel geschminkten Augen und den Zöpfen einen Harley-Quinn-esquen Sanatoriumslook vorführt. Durch ihren verspielt-naiven und gleichzeitig lasziven Gesichtsausdruck, den sie auch viele Meter in der Luft hält, vermittelt sie wirklich den Eindruck, verrückt zu sein. Hätte sie nicht am Ende lächelnd auf der Bühne gestanden, hätte ich mir tatsächlich Sorgen gemacht. Sie ist außerdem ein echtes Multitalent und fühlt sich sowohl am Luftring, als auch in einer winzigen Kiste offenbar sehr wohl. Estrella Urban ist die Spinnenfrau und hat nicht nur den richtigen, langen dünnen Körper dafür, sondern auch die Bewegungen der Arachniden verinnerlicht. Mit der abgestimmten Lichttechnik wirft sie einen gruseligen, nicht menschlichen Schatten an die Wand. Die Bärtige Lady Gabriel Drouin wurde sehr schnell zum Publikumsliebling. Nicht nur ist er der Posterboy für unkonventionelle Genderroles, er ist sogar Co-Regisseur des Stücks. Mit seiner distinktiven Catchphrase „Tschü-hüs“ bleibt er sofort im Gedächtnis. Als wäre das noch nicht genug, überrascht er in der zweiten Hälfte auch noch selbst mit einer akrobatischen Einlage.
Die Nordmänner, Vladimir und Vladimir, werden bei ihren Auftritten von wilden Hörnern und Trommeln begleitet. Sie haben die Rolle der starken Männer, wobei Vladimirs Nacken wohl der stärkste auf der Bühne ist. Sie zeigen gemeinsam einen Balanceakt, bei dem man wirklich weggucken möchte. Ähnliche Gefühle lösen auch die Fähigkeiten der Fakir-Diva Fibi Eyewalker aus. Sie schiebt sich hauptberuflich scharfe Gegenstände in die Speiseröhre oder lässt sich von tausend Nägeln gleichzeitig durchbohren. Ihre Darbietung war definitiv eines der Highlights, aber auch leider etwas kurz. Besonders innovativ waren die Einlagen von Sébastien Tardif, dem comic relief der Show. Normalerweise ist Slapstickhumor auf der Bühne etwas gezwungen, aber er schafft es wirklich, mit physischer Comedy die Zuschauer*innen zum Lachen zu bringen. Mit überraschenden Requisiten und der Hilfe des Publikums (Ja, wenn ihr in der ersten Reihe sitzt, müsst ihr damit rechnen!) ist er mehr als ein Pausenclown und beweist, dass alles auf der Bühne echt ist. Durch die unterschiedlichen Opfer aus dem Publikum bleibt die Show bei jeder Vorstellung einzigartig und er traut sich, die Zuschauer*innen vor der Bühne richtig zu mobben. Der bringt das lustig in schaulustig.
Lasst euch einweisen
Freaks ist wirklich eine empfehlenswerte Show. Gerade für jüngeres Publikum ist sie sehr geeignet, da die älteren Semester unter Umständen einen Herzinfarkt kriegen. Hier ist es wirklich angebracht, die Show zu fühlen und richtig auszurasten, nicht nur seicht in die Hände zu klatschen. Die Musik ist wild und sehr mitreißend, die Witze manchmal sehr sexuell und die Darbietungen lassen einem die Haare zu Berge stehen, im guten sowie im schlechten Sinne. Und ihr könnt euch sicher sein: Diese Freaks machen das alles freiwillig!
Die Show könnt ihr euch bis zum 3. Mai im GOP Varieté Theater ansehen.