Die reichste Musikerin und, laut Billboard, Nummer 1 Künstlerin des 21. Jahrhunderts, Taylor Swift, hat mit The Life of a Showgirl ihr zwölftes Studioalbum veröffentlicht. Damit hat sie zwar sämtliche Verkaufsrekorde gebrochen, aber auch für Enttäuschung gesorgt…
Es fühlt sich an, als hätte sie letzte Woche erst ihre weltweite Tour, die Eras Tour, beendet und sich gestern mit dem Footballspieler Travis Kelce verlobt. Laut Swift sollte das am 03. Oktober erschienene Album Einblicke in das Leben eines Showgirls geben. Die Hoffnungen auf das Album, bestehend aus zwölf Tracks, waren dementsprechend groß bei den Fans.
Don’t Blame Her
Bei der Ankündigung des Albums hieß es, es klinge wie eine Mischung aus dem Sound von 1989 und den Texten von folklore. Zumindest da sind sich alle einig: Wie folklore klingt es nicht. Zwar ist der Sound einprägsam und es hat die Grundstruktur eines guten Pop-Albums, doch es fühlt sich unfertig an, eher wie ein erster Entwurf. Taylor Swift sagt selbst, es sei „in my mind, the perfect album“, doch gute Kunst braucht Zeit und Sorgfalt.
Seit Oktober 2022 hat Swift drei Alben mit Originalsongs veröffentlicht (Midnights, The Tortured Poets Department und The Life of a Showgirl) und zwei Re-Release-Alben mit Bonus-Tracks, bekannt unter Taylor’s Version, produziert (Speak Now und 1989). Parallel dazu hat sie 18 Monate auf der Eras Tour weltweit 149 Konzerte gegeben. Das ist sehr viel Output über einen langen Zeitraum. Wenn man sich keine Zeit nimmt, um die eigenen kreativen Speicher mit neuem Input zu befüllen, kann man irgendwann nichts Wertvolles mehr herausbringen.
No Life of a Showgirl
Wer sich Einblicke hinter die Kulissen, in – das echte Leben eines Showgirls im Rampenlicht – erhofft hat, wird enttäuscht. Trotz aufwändiger Promo und glamourösen Fotos fehlt im Großteil des Albums das Showgirl-Konzept. Im Titeltrack The Life of a Showgirl singt Taylor: „You don’t know the life of a showgirl, babe, and you’re never ever gonna“. Damit hat sie nicht ganz unrecht, denn nach dem Hören des Albums weiß man es wirklich nicht. Ihr zwölftes Album erweckt eher den Anschein, dass sie den Hype um DAS Showgirl Sabrina Carpenter (wie Taylor Swift sie selbst nennt) und ihre provokativ-heißen Showeinlagen in knappen Outfits gesehen hat und diese deswegen nachzuahmen versucht.
The Tortured Lyrics Department
“Unsere Englischlehrerin” nannte sich Swift selbst in dem Post, in dem sie ihre Verlobung mit Travis Kelce bekannt gab. Doch unsere Englischlehrerin hat Hamlet nicht verstanden… Es scheint, als möge sie die Idee belesen zu sein, ohne tatsächlich zu lesen. Ihr Song The Fate of Ophelia zeigt kein Verständnis von Hamlet. Ophelia tötet sich nicht, weil sie keinen NFL-Spieler datet. Ophelia begeht Selbstmord, weil sie keine eigene Handlungsfreiheit hat und von den Männern um sie herum gesteuert und unterdrückt wird. In einem BBC-Interview gab sie zu, dass sie Hamlet nicht nochmal gelesen habe. Das wirkt untypisch für die Sängerin, die beispielsweise für ihren Song the last great american dynasty genaue Recherche zu der Geschichte von Rebekah Harkness betrieben hat.
Ihr Ziel war es, den Stil Shakespeares mit aktuellen Redewendungen zu vermischen, wie Taylor Swift in einem Interview erzählt. Doch Internet- und Meme-Phrasen, die wie aus einem TikTok von vor zwei Jahren klingen, lassen die Songs jetzt schon altbacken und „cringe” wirken. Das Internet ist so schnelllebig, wodurch Zeilen wie „Did you girlboss too close to the sun?“, „I’m not a bad bitch and this isn’t savage“ oder „we dressed up like wolves and we looked fire“ schon jetzt wirken wie aus der Zeit gefallen.
Eigentlich kann kaum jemand Gefühle in einem Song so ausdrücken wie Taylor Swift. Sie hat ein Talent für Metaphern, für lebendige und einprägsame Wendungen wie „Loving him was like driving a new Maserati down a dead-end street“. In The Life of a Showgirl gibt es zwar Ansätze von Gefühlen, die beschrieben werden, wie „Like a toy chihuahua barking at me from a tiny purse / That’s how much it hurts“. Diese sind jedoch in schrägen Texten verpackt und verlieren dadurch an Bedeutung. Wie kommt es, dass jemand, der Zeilen wie „Take the words for what they are / A dwindling, mercurial high / A drug that only worked / The first few hundred times“ geschrieben hat nun etwas schreibt wie: „Forgive me, it sounds cocky / He ah-matized me and opened my eyes / Redwood tree, it ain’t hard to see / His love was the key that opened my thighs“?
Look What You Made Me Buy
Noch vor dem Release des Albums gab es limitierte Merch-Artikel für nicht wenig Geld: acht verschiedene exklusive Vinyl-Varianten („Sweat And Vanilla Perfume Edition“, „Baby, That’s Show Business Edition“ usw.), dazu acht CDs, und einen Cardigan mit CD. Jeder Artikel wurde nacheinander veröffentlicht und war nur für kurze Zeit verfügbar. Die Marketingstrategie war simpel und doch effektiv, denn schon am ersten Tag berichtete Billboard von über 2,7 Millionen verkauften Exemplaren. Am Release-Wochenende bringt sie zusätzlich noch vier weitere CDs mit jeweils zwei akustischen Versionen von Songs des Albums heraus. Wer alles hören will, muss also mehrfach zahlen.
Als wäre all das nicht schon genug, gab es am Wochenende nach dem 03. Oktober in amerikanischen Kinos den “Film” The Official Release Party of a Showgirl zu sehen. Enttäuschte Fans sahen ein einziges Musikvideo zum Song The Fate of Ophelia, gefolgt von 85 Minuten Lyric-Videos zu den anderen Songs mit zusätzlichen Kommentaren von Taylor.
Ihre Strategie hat sich ausgezahlt, denn The Life of a Showgirl hat Adele’s Rekord von 2015 für die stärkste Verkaufswoche eines Albums übertroffen. Somit nutzt sie ihre treuen Fans schamlos aus und unterstützt Überkonsum. Doch selbst wenn nicht alle Vinyl-Varianten verkauft werden, sind sie trotzdem produziert. Aber wen kümmern schon ein paar mehr oder weniger produzierte Schallplatten, wenn man im Jahr 2024 ganze 98 Mal mit dem luxuriösen Privatjet geflogen ist?
Miss Americana & The Otherworldliness
“Ich will nur dich und keine materiellen Dinge” klingt in Wi$h Li$t erstmal wie eine süße Liebeserklärung, fühlt sich mit Blick auf Taylor Swifts Realität aber ziemlich weltfremd an. Sie fliegt mit dem Privatjet, trägt Cartier, wohnt in Luxusvillen und war gerade noch auf Welttournee. Gerade wenn die meisten ihrer Fans nicht so ein Leben führen, klingt es schnell abgehoben und nicht ehrlich, wenn man plötzlich vom „einfachen Leben“ mit dem Verlobten träumt. Denn es ist leicht, alles Überflüssige abzulehnen, wenn man im Überfluss lebt. Sie romantisiert ein Leben, das für viele harte Realität ist.
Wenn sie dann noch singt, sie wolle ein paar Kinder bekommen, die wie Travis Kelce aussehen („Have a couple kids, got the whole block looking like you“) klingt das (ob beabsichtigt oder nicht) nach dem Wunsch einer homogenen Nachbarschaft. Das erinnert an rechte Ideologien, die sich rund um weiße Vorherrschaft (white supremacy) drehen. Dazu kommt dieses Idealbild von der Vorstadt-Hausfrau mit Kindern, Einfahrt mit einem Basketballkorb und dem Football-Star als Ehemann. Das klingt ganz anders als die „childless cat lady“, wie sie sich selbst in einem Instagram-Post im September 2024 nannte.
Des Weiteren zeigt sich die Milliardärin immer öfter mit Leuten, die offen Trump unterstützen oder sich ganz klar rechts positionieren wie zum Beispiel Brittany Mahomes, Dave Portnoy, Taylor Lewan and Will Compton . Gleichzeitig bleibt sie zu Themen wie Donald Trump, struktureller Ungleichheit, Ukraine-Krieg oder Gaza still. Das steht besonders im Kontrast zu ihrem früheren liberalen Image und ihrem früheren Einsatz für LGBTQ+-Rechte und gegen Rassismus. Natürlich muss Pop nicht immer politisch sein. Aber wenn jemand so einflussreich ist wie Taylor Swift, ist auch Schweigen eine Entscheidung.
BonnFMs Prophecy
Den Titelsong, und damit gleichzeitig auch das gesamte Album The Life of a Showgirl, endet in einer Tonaufnahme von der Eras Tour, in der Taylor live sagt: “We will see you next time.” Damit setzt sie ein klares Statement gegen öffentliche Spekulationen ihres Rückzugs. Das nächste Mal wird nicht nur irgendein Album sein – es wird ihr 13. Album sein. Bekanntlich bedeutet der Sängerin diese Zahl sehr viel. Die meisten Künstler*innen würden nicht so viel Bedeutung in ein Album legen, nur weil es ihre Lieblingszahl ist. Aber Taylor? Sie wird ihr 13. Album zu ihrem persönlichen Magnum Opus machen.
Dear Taylor
Du bist eine absoluter Megastar und niemand schreibt Songs oder füllt Stadien so wie du. Aber ganz ehrlich, The Life of a Showgirl fühlt sich gehetzt und nicht fertig an. Natürlich wird das Album trotz aller Kritik gehört werden, denn es ist von DER Taylor Swift. Doch hätte dieses Album jemand ohne deinen Namen, dein Marketing und deine Fanbase veröffentlicht, wäre das Feedback vermutlich deutlich kritischer ausgefallen. Viele kleinere Artists würden mit so einem Album wohl kaum durchkommen. Am Ende fühlt sich das Album unnahbar und unpersönlich an, was besonders im Vergleich zu deinen früheren Alben auffällt. Das heißt nicht, dass du keine Fehler machen darfst. Gönn dir mal eine Pause, Girl. Das ist okay, wir brauchen alle mal eine.
