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Auf einen Kaffee mit meinem jüngeren Ich

Lesezeit: 8 Minuten

Noch während unsere Autorin auf TikTok nach guten Beispielen für den heutigen Trend sucht – bei dem treffen sich Menschen in Gedanken mit ihrem jüngeren Ich auf einen Kaffee – bekommt sie eine Mail von sich selbst von vor fünf Jahren. Wenn das nicht der perfekte Auftakt für einen Selbstversuch ist. Diese Woche wird sie sich also mit ihrem jüngeren Ich auf einen Kaffee treffen und davon berichten.

Sie war 15 Minuten zu früh, ich war pünktlich. Sie bestellte grünen Tee, ohne Zucker. Ich einen Frappucino, von dem ich wusste, dass sie ihn auch gern hätte. Wir tauschen. – So oder so ähnlich klingen die Kaffeedates, von denen ich seit Anfang Februar viel auf TikTok und Instagram lese. Menschen, vor allem junge Frauen, treffen in einem Gedankenspiel ihr jüngeres Ich und merken im Gespräch über Kaffee und Kuchen, wieviel sich verändert hat. Der Trend klingt nicht nur poetisch, er ist es auch, denn er basiert auf einem Gedicht von Jennae Cecelia. Es findet sich in ihrem Buch „Deep in my Feels“ und steigt ein mit den Worten: „I met my younger self for a coffee at 10.15. She was late. I was early“.

Anschließend geht es um die Beziehung der beiden „Ichs“ zueinander und darum, wie unterschiedlich ihre Wirklichkeiten sind. „The scars on her have now faded on me quite a bit. I want to tell her it won´t always be like this. but I don´t. She doesn`t need to hear that things will be better. She just wants a hug and reassurance of her feelings during this uncertain season ahead of her.” Im Dezember postet die Autorin dieses Gedicht in einem TikTok. Kurze Zeit später wollen plötzlich alle einen Kaffee mit sich selbst trinken. Aber warum? Wie gut kann die Gesellschaft einer Teenagerin sein, dass ich gewillt bin, ihr einen Cappuccino auszugeben?

@jennaececelia auf TikTok

Das „Younger Self“ und die Trends

Es mag zum einen die Nahbarkeit des Trends sein, die ihn so beliebt macht. Aber mit Sicherheit ist es auch die Kombination aus Emotion, Nostalgie und einem Hang zur Poetik der auf TikTok einfach gut funktioniert. Immerhin ist es nicht der erste Trend in diese Richtung, bei dem die App zu einer Art Galerie aus Therapie-Content wird. Und immer wieder muss dafür eine jüngere, teils romantisierte, Version von uns selbst herhalten. Eine Zeitlang hatten alle ein Kinderfoto von sich selbst am Spiegel kleben. Um sich daran zu erinnern „wen sie stolz machen“. Ein anderer Trend, der aktuell viel zu finden ist und, man könnte fast schon meinen, mit dem Kaffee-Trend konkurriert, ist der „then I remember who I am arguing with“. In den Videos geht es darum, dass sich Menschen im Streit mit Geschwistern, Partner:innen oder besten Freund:innen daran erinnern, wie die Person ihnen gegenüber als Kind war. Zur Verdeutlichung wird dann nochmal ein Kinderfoto eingeblendet. Der Trend soll in etwa so etwas ausdrücken wie „Im Innern sind wir doch alle noch die selben, sensiblen Kinder und sollten so auch mit einander umgehen.“ Hätte ich drei Wünsche an den Flaschengeist frei, wäre ein sensibleres Miteinander mit Sicherheit einer davon. Und ich gebe zu, ein bisschen anfällig für solche emotionalen Trends bin ich auch. Aber ich halte sie für gar nicht mal so konstruktiv. Denn ich frage mich, warum wir immer wieder die kindliche Version von jemanden als Mittels-Mensch vorschieben müssen, um unser Verhalten oder unsere Emotionen zu manipulieren.

Als therapeutische Hilfestellung richtig angewandt, kann das „innere Kind“ viele wichtige Denkprozesse anstoßen. Sich in sein früheres Ich hineinzuversetzen kann helfen, verdrängte Emotionen zu channeln, was wiederum der Baustein sein kann, um ein sicheres zu Hause für sie zu bauen. Das wiederum kann uns helfen, uns selbst besser zu verstehen. Aber der Wunsch sollte dabei doch sein, sich selbst helfen zu können. Wenn es dagegen leichter fällt, eine Fünfjährige stolz zu machen, statt sich selbst und man sich im Streit nur vertragen will, weil man in seinem Gegenüber ein verletzliches Kind sieht, erhält man so wirklich einen gesünderen Zugang zu seinen Emotionen? Oder schafft man durch diese Zwischenfigur nicht nur eine weitere Distanz zu ihnen, aktiviert den Beschützerinstinkt und schafft damit eher Umweg zu sich selbst? Das „kindliche Ich“ wirkt in solchen Trends wie abgekoppelt von uns selbst und wird zu einer Projektionsfläche. Vielleicht gerade deswegen mag es uns einfacher vorkommen, es zu versorgen und ihm zuzuhören. Aber lernen wir dadurch wirklich, für uns selbst zu sorgen?

Im Dialog mit uns selbst

Irgendwo ist dieses Kind noch immer Teil von uns und das darf es auch bleiben. Aber vielleicht ist es nicht der richtige Weg, diesen Anteil von uns zum Antrieb für unser gesamtes heutiges Leben zu machen. Wenn wir in Momenten, in denen wir an emotionale Grenzen stoßen in den Spiegel schauen und dort nicht unser heutiges Ich sehen, sondern ein Kind, dann lassen wir eine entscheidende Ressource aus, die wir brauchen, um über diese Grenzen hinauszuwachsen: Entwicklung. Gerade in solchen Trends fehlt mir der Dialog mit uns Selbst und der Blick auf unser Wachstum. Genau diesen Dialog bildet der aktuelle „Kaffee-Date-Trend“ dagegen sehr schön ab. Hier sitzen sich zwei Versionen gegenüber und bringen ihre eigenen Wirklichkeiten mit an den Kaffeetisch. Keine von ihnen ist wichtiger oder richtiger. Der Blick geht hier auf ihre Unterschiede, die durch Zeit und eigene Wirksamkeit entstanden sind und über die wir uns im „Gespräch“ mit uns selbst bewusst werden.

In meinen Augen gibt das unserem heutigen-Ich die Relevanz und Selbstwirksamkeit zurück, die ich bei anderen Trends vermisse. Das „Younger -Self“ im Trend hat hier kein bestimmtes Alter. Stattdessen verabreden wir uns gezielt mit jemanden, der in einer Findungsphase steckt, in einer Art Hilfslosigkeit oder zumindest Unwissenheit. Also einer Phase, in der wir uns nach etwas besserem gesehnt haben – vielleicht auch nur nach einer Erwachseneren Version unserer Selbst. Im Gedicht gewährt Jennae Cecelia diesem „Jungen Ich“ genau dieses Gespräch, das sich wahrscheinlich viele von uns schonmal gewünscht haben: Einfach mal kurz in die Zukunft schauen, abchecken, dass sich (fast) alles irgendwie geregelt hat und aus dieser Zukunft viel Mut schöpfen. Würde so ein fiktionales Gespräch stattfinden, dann würde aber nicht nur der Teenager Hoffnung schöpfen, sondern auch unser jetziges Ich. Cecelia beschreibt im Gedicht sehr schön, wie gerade aus dem Blick auf diesen jungen Menschen, der mit seinen Gefühlen allein und ohnmächtig ist, eine Hoffnung für uns selbst und in uns selbst entsteht. Anders, als bei anderen Trends, entsteht aus dem Blick in Die Vergangenheit aber nicht der Druck und der Anspruch, Träume zu verwirklichen, die wir uns als Kind gesetzt haben. Und es wird auch nicht eine frühere Version von uns selbst romantisiert, eine Version die es „wert ist“ dass wir uns für sie anstrengen.

Im Kaffee-Trend legen einige bewusst den Fokus darauf, welche Unterschiede sie zu früher wahrnehmen und wie dankbar sie sind, dafür, dass sie in einigen Dingen nicht mehr handeln oder denken, wie früher. Der Trend ist vielleicht also in erster Linie ein schönes Gedankenspiel um diesen Fortschritt zu ehren und sichtbar zu machen. Und die größte Errungenschaft ist es doch, wenn wir heute jemand sein können, den wir damals gebraucht hätten. Und daraus wiederum können wir die Hoffnung schöpfen, dass wir so einen Fortschritt immer wieder selbst mächtig anstoßen können, wenn wir ihn brauchen. Denn mit Sicherheit ist auch unser Heutiges-Ich nicht sorgenfrei. Aber mit Blick darauf, wieviel wir bereit waren uns zu entwickeln und uns selbst zuzuhören, können wir auch für die Zukunft bereit sein, ein bisschen mehr Vertrauen in uns selbst zu haben und geduldiger mit uns zu sein. Und das erreichen wir bestimmt zum Teil schon dadurch, indem wir nicht nur dem Kind in uns erlauben Heimat zu finden, sondern, indem wir eine Heimat in uns zu schaffen, die es all unseren Ichs erlaubt im Einklang miteinander zu leben.

Auf eine E-Mail mit meinem jüngeren Ich

Während ich so die letzten Gedanken zu dieser Kolumne in ein Dokument schreibe und gedanklich schon bei der Frag bin, welches Zitat sich am besten für eine Instagram-Kachel eignet, ploppt auf meinen Handy eine E-Mail auf. „The following is a letter from February 18th 2020, delivered from the past“. Solche Momente gibt es nicht oft, aber wenn sie da sind, wird mir bewusst wie ironisch und absurd die Welt manchmal ist. Und überlege vielleicht ganz kurz, ob ich mich nicht doch auf ein Boot schwingen und gegen die weiße Truman Kulissenwand brettern soll. Denn wie kann es nicht sein, dass mich da jemand beobachtet? Genau heute also vor fünf Jahren an einem random Montag habe ich mich dazu entschlossen ein paar Worte in die Zukunft zu schicken, über die Website FutureMe. Und an einem denkbar günstigen Tag fünf Jahre später, helfen sie meiner Vorstellungskraft für dieses Gedankenexperiment auf die Sprünge und erinnern mich daran, wer mir bei meinem Kaffeedate gegenüber sitzt.

Ich sag´s wie es ist: Ich hätte es mir romantischer und emotionaler vorgestellt. Mein 19-Jähriges-Ich hat mir bestimmt ein paar rührende Worte geschrieben. Mir ihre Sorgen und Ängste anvertraut. Und ich, allwissend lächeln, kann ihr heute über den Kopf streicheln und sagen: Hat sich alles gelöst. Du hättest dir gar nicht so viele Sorgen machen brauchen. Aber die Wahrheit ist: Die kleine ist ne ganz schöne Brat. Ich lese die E-Mail und bin empört. Sie stellt ziemlich hohe Erwartungen an mich und fragt, ob denn jetzt alles so geworden ist, wie sie wollte. Sie redet über meinen Körper, als wäre es ihrer, und sagt, wie er ihrer Vorstellung nach aussehen soll. Redet über meine Karriere und was ich schon erreicht haben soll, dabei hat die Kleine gerade mal einen Mini-Job hinter sich. Ich dachte, ich könnte mir nach der E-Mail mal auf die Schulter klopfen und ein paar Tränchen verdrücken bei dem Gedanken, was ich heute alles für Sie und mich erreicht habe. Aber irgendwie wird mir dadurch nur bewusst: Ich bin dieser früheren Version von mir selbst überhaupt nichts schuldig. Ich glaube, wir sind heute ganz schön unterschiedlich und das ist auch gut so. Ich mag sie trotzdem irgendwie, weil sie frech ist. Und irgendwie bin ich auch gespannt, was sie zu sagen hat.

Ich stelle mir vor, wie wir beim Kaffee sitzen. Sie ist 10 Minuten zu früh dran, ich zehn zu spät, weil ich es aufgegeben habe die Pünktliche zu spielen. Ich suche einen Platz am Fenster aus. Sie darf mit dem Rücken zur Wand sitzen. Ich bestelle einen Flatwhite Hafer, sie einen Cappuccino. Sie sitzt überkreuzt in ihrer Skinny Jeans, weil das weiblicher wirkt. Ihr gefällt meine weite, grüne Stoffhose – unserer Lieblingsfarbe. Sie labert ganz schön viel Mist und zeigt mir die Liste. Mit Sachen, die sie machen will, Orte an die sie reisen wird und Dinge, die sie im Leben erreichen will. Ich sag ihr nicht, dass erstmal 2 Jahre Corona auf sie zu kommen und sie auch mit 24 keine Kohle haben wird, um die halbe Welt zu bereisen. Aber ich höre ihr zu, weil ich weiß, dass sie mich beeindrucken will. Ich lächle zuversichtlich und will ihr sagen „Du musst mir nicht erstmal erzählen, wer du mal sein willst. Du darfst hier einfach du selbst sein.“ Aber ich weiß, dass sie gar nicht verstehen würde, was ich damit meine. Ich lasse sie erzählen, weil es uns beiden gut tut, wenn sie redet. Dann wird sie ruhiger und denkt nach. Ob wir denn glücklich sind, will sie wissen. „Ja“ sage ich und meine damit etwas ganz anderes als sie. „Weil wir jemanden gefunden haben, der zuhört“. Ich überlege kurz, ob auf meiner Karte noch genug Geld ist, nachdem ich die Woche so viel mit meinen Freunden Kaffee trinken war. Menschen, von denen ich kaum erwarten kann, dass sie sie kennenlernt. Es wird reichen, denke ich, und lade sie ein. Ich glaube, das Treffen hat uns beiden gut getan. Und ich hoffe irgendwie, ich sehe die kleine Brat bald mal wieder.