Für die meisten bleibt vor lauter Stress und Hausarbeiten nicht viel Zeit für eine Reise. Manchmal klappt es aber doch. Über die Erfahrung einer Drei-Tageswanderung in der Südschweiz. bonnFM reist.
Die Schweiz hatte ich als Reiseziel immer ausgeschlossen. Zu teuer, zu versnobt, zu konservativ. Als ich auf Reisen persönliche Kontakte in die Schweiz knüpfe, ändert sich das. Zu dritt planen wir: Eine Hüttenwanderung soll digital entschlacken und für ein bisschen Ruhe sorgen. Trotzdem schrecken uns die Hüttenpreise (umgerechnet 70 Euro pro Nacht) ab. Also packen wir relativ spontan Schlafsack, Isomatte, Zelt und Lebensmittel ein und beschließen: Wir gehen wildcampen.
Und zwar in der Südschweiz. Die Wanderung beginnt in Graubünden und führt durch einige Tessiner Täler. Falls man auf Reisen auch vor der deutschen Sprache flüchten möchte, kann ich Entwarnung geben. Spätestens in Graubünden ist das rätoromanisch unverständlich, im Tessin spricht man sowieso italienisch. Die Wanderung führt durch Berge und Ebenen beider Kantone.
Tag 0: Hinter der Bergkapelle
Wir kommen nachmittags in Ilanz, Graubünden an. Den Nachmittag verbringen wir damit, die umliegenden Hügel zu erkunden, hinter kleinen Kapellen im Gras zu liegen, Birnen zu pflücken und Wasser aus den Bergbrunnen zu trinken. Als wir uns am Abend eine ruhige Wiese im Umkreis der Kleinstadt zum Zelten suchen, blenden uns irgendwann Autoscheinwerfer. Der alte Bauer stapft auf uns zu und wir machen uns darauf bereit, ein überteuertes Hotel in einer der unscheinbareren Schweizer Städte zu beziehen. Doch der Bauer empfiehlt uns mit einem breiten Grinsen nur einen besser geeigneten Platz einige dutzend Meter entfernt.
Tag 1: Der Rucksack und die 1000 Höhenmeter
Am nächsten Morgen stocken wir unsere aus Deutschland mitgebrachten Lebensmittel im lokalen Supermarkt auf und parken unser Auto am Bahnhof. Der Postbus bringt uns nach Vrin, ein Bergdorf auf 1500 Meter Höhe. Ein Postauto hätte uns für zehn Franken eine Stunde Weg erspart, doch das ist für uns Studenten keine Option. Kuhglocken begleiten uns auf dem Anstieg, der insgesamt 1000 Höhenmeter für uns bereithält. Fast fünf Stunden brauchen wir für den Aufstieg bis zum Pass „Diesrut“ (2428 m), der sich auf Schneelevel befindet.
Doch die Mühen, die durch die Rucksäcke voller Essen und Übernachtungsgegenstände erschwert wurden, lohnen sich. Es eröffnet sich eine überwältigende Hochebene – die Greina-Hochebene. Wir machen Mittag und snacken unsere ersten Pumpernickel.
Östlich der Ebene liegt die Hütte Terri, in einem eigenen Tal, direkt an einer Schlucht. Wir wandern in die Ebene herab, denn wir sind erst bei der Hälfte unserer Tagesstrecke angelangt. Jetzt wäre der Moment für Sonnencreme gewesen, den wir leider verpassen. Die Alpensonne sorgt innerhalb weniger Stunden für rote Nasen. Doch diese bemerken wir nicht, denn wir werden abgelenkt. Murmeltiere. Ganz viele Murmeltiere. Überall pfeifen sie warnend, verschwinden kurz, tauchen wieder auf. Manche liegen scheinbar schlafend wenige Meter neben uns herum. Als es dämmert, suchen wir uns auf einem Berg eine windgeschützte Schlafstelle zwischen kleineren Hügeln. Wir genießen die letzten 30 Minuten Sonne, dann gibt es Konserven zum Abendessen. Als es immer dunkler wird, stellen wir fest, dass wir keine Taschenlampe dabei haben.
Zuhause lassen mich digitale Geräte nicht vor Mitternacht ins Bett, hier schlafen wir um 21 Uhr. Nur der prasselnde Regen lässt uns ab und an aus dem Schlaf hochschrecken.
Tag 2: Lagerfeuer und Konservenmais
Der nächste Morgen begrüßt uns mit allumwaberndem Nebel. Nach dem Müsli-Frühstück geht es bergab, zum Lago di Luzzone, einem türkisblauen Stausee. Eine Gämse schaut uns von einem über uns liegenden Fels majestätisch beim Abstieg zu. Am Stausee essen wir bei mittlerweile aufgeklarten Wetter Knäckebrot zu Mittag, bevor es immer weiter ins Tal geht. Campo Blenio heißt der typisch tessinische, etwas verlassene Ort, den wir durchqueren. Doch Abstieg bedeutet bei einer Bergwanderung auch immer einen erneuten Aufstieg und so geht es ca. 900 Höhenmeter aufwärts durch Matsch und Unterholz. Der wohl schwerste Teil der Wanderung. Als wir an der Hütte Bovarina vorbeikommen, suchen wir uns auf der nächsten Ebene einen Zeltplatz und springen in den nächsten Bergbach.
Anschließend gibt es erneut Konserven auf unserem Lagerfeuer, bevor wir vor dem nächtlichen Regen ins Zelt flüchten.
Tag 3: Zum Abschluss Steinlandschaft
Als wir am letzten Tag damit rechnen, einfach nur noch zu der Passstraße zu wandern, an der ein Bus uns zurück ins Tal bringt, überrascht uns die Wegführung in den Schweizer Alpen. Der letzte Teil der Wanderung führt uns durch die Felslandschaft des „Passo di Gana Negra“, menschengroße Steine liegen hier zu Hunderten am Wegesrand.
Einige davon erklimmen wir, um einen Blick auf die Berge, die wir durchwandert haben, zu werfen. So dauert es einige Stunden, bis wir den Lukmanierpass erreichen. Der nächste Bus kommt erst in zwei Stunden, aber uns stört das nicht. Wir sind tiefenentspannt, vielleicht auch erschöpft und trinken ein Graubündner Calanda. Prost!
Und wenn sich Aussagen von Augenzeugen finden, dass wir nach drei Tagen Wandern nicht mehr gut gerochen haben: Die sind erstunken.