Ilja Bergen kandidiert bei der Bundestagswahl für die Linke als Direktkandidat im Bonner Wahlkreis. Wir haben mit ihm unter anderem darüber gesprochen, welche Pläne die Linken beim Klimaschutz haben und welche Angebote sie uns Studierenden machen – und natürlich, wie er sich im Bundestag für Bonn einsetzen will.
Aufgezeichnet haben wir das Interview am 09. Juli 2021.
Hinweis: Leider gab es bei der Aufzeichnung des Interviews technische Probleme. Als Ausgleich für die verminderte Tonqualität findet Ihr daher nachfolgend das Interview in voller Länge zum Nachlesen.
Bei mir im Studio ist heute Ilja Bergen, Bundestagsdirektkandidat für die Linke hier in Bonn, herzlich Willkommen – schön, dass Sie da sind!
Vielen Dank für die Einladung.
Herr Bergen, Sie schreiben auf Ihrer Homepage der Linken hier in Bonn, dass Sie eigentlich gar nicht davon ausgehen, dass sie das Mandat hier gewinnen können als Direktkandidat. Da frage ich mich doch ehrlich gesagt, warum treten Sie dann überhaupt an? Oder vielleicht auch, wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Also die Einschätzung basiert ganz klar, wenn man sich die Realität anguckt, die politischen Verhältnisse, die Mehrheitsverhältnisse. Warum kandidiere ich trotzdem? Ich kämpfe für starke Linke, für eine starke linke Fraktion im Bundestag. Damit es eben eine Fraktion gibt, die sich für die schlechter Gestellten in dieser Gesellschaft einsetzt. Die sich gegen Armut einsetzt. Die ein klares Konzept hat, wie man zum Beispiel Reichtum besser besteuert.
Jetzt gehen wir mal davon aus, rein theoretisch, Sie würden in den Bundestag gewählt werden als Direktkandidat: Wie würden Sie sich dann für Bonn konkret einsetzen?
Für Bonn ganz konkret dreht sich Vieles um das Bonn-Berlin-Gesetz. Und da müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, das ist die Realität, dass immer mehr Stellen von Bonn nach Berlin wandern. Es wurden Fakten geschaffen, gegen die Vereinbarungen im Bonn-Berlin-Gesetz. Und ich finde, da muss es dann eine Zusatzvereinbarung geben zum Beispiel, die dafür Kompensationen vorsieht. Zum Beispiel im Wohnungsbau: Also dass Berlin, die Bundesregierung, Bonn unterstützt mit Geld beim Wohnungsbau.
Jetzt haben Sie gerade das Bonn-Berlin-Gesetz schon angesprochen. Es ist ja so, dass Bonn jetzt seit mittlerweile fast 30 Jahren keine Hauptstadt mehr ist und trotzdem immer noch viele Bundesbehörden ihren Sitz hier haben. Das führt natürlich dazu, dass diverse Menschen in den Behörden hin und her reisen müssen, zwischen Bonn und Berlin. Mittlerweile auch wieder mehr mit dem Zug, aber hin und wieder auch immer noch per Flugzeug. Ist das allein aus Klimaschutzgründen eigentlich noch zeitgemäß diese Aufteilung?
Ichfinde die Strukturen, die hier über Jahre und Jahrzehnte entstanden sind, die sollte man nicht einfach so aufgeben. Und während der Corona-Pandemie haben wir ja auch viel dazu gelernt, was man zum Beispiel auch alles online und per Videokonferenz alles besprechen kann. So dass ich da glaube, dass die Notwendigkeit von Reisen reduziert wird. Das ändert aber nichts daran, dass Bonn Ministerien behalten muss und dass die Infrastruktur, die hier dafür gebaut worden ist, auch dafür gut eingesetzt werden kann – um hier Regierungsarbeit zu machen.
Klimaschutz habe ich gerade schon kurz erwähnt, ist natürlich eines der entscheidenden Wahlkampfthemen. Die Partei die man damit vor allem in Verbindung bringt sind die Grünen, die ernten allerdings für ihr Programm auch ziemlich viel Kritik: Zu wenig ambitioniert und vor allen Dingen zu wenig sozial gerecht heißt es da, unter anderem auch aus ihrer Partei, von den Linken. Wie sehen denn Ihre Ideen für mehr Klimaschutz aus, sind die Linken sozusagen die besseren Grünen eigentlich?
Das würde ich direkt so bejahen im Prinzip, denn die Klimafrage ist auch eine soziale Frage. Es sind nicht die Armen der Gesellschaft, die das Klima kaputtmachen. Gleichzeitig sind das aber die, die darunter am meisten leiden. Und wenn wir zum Beispiel darüber sprechen, dass wir aus der Braunkohle aussteigen müssen, das will auch meine Partei, dann müssen wir die Menschen vor Ort auch mitnehmen. Zum Beispiel bei einem Transformationsfond und da jährlich Milliarden in die Umstrukturierung investieren.
Investitionen, haben Sie gerade schon von gesprochen, das wollen Sie in Ihrem Wahlprogramm auch generell sehr viel. Zum Beispiel auch 120 Milliarden Euro für die öffentliche Daseinsvorsorge und die Infrastruktur, auch der öffentliche Nahverkehr soll am liebsten kostenlos sein. Jetzt muss man aber sagen wir kommen gerade aus einer Zeit, wo der Staat ja sehr viele Schulden nochmal aufgenommen hat und auch andere Investitionen in viele Bereiche anstehen nach der Bundestagswahl. Wie wollen sie das finanzieren? Steuererhöhungen radikal in vielen Bereichen oder einfach die Staatsverschuldung ins Endlose treiben?
Da ist die Linke tatsächlich die einzige Partei, wirklich die einzige Partei, die ein ganz konkretes Gegenfinanzierungsmodell vorlegt. Nämlich über eine einmalige Vermögensabgabe bezüglich der Schulden, die jetzt in der Coronakrise aufgenommen werden mussten und eine Vermögenssteuer, um eben anderen Investitionen zu bezahlen. Und gleichzeitig wollen wir den Freibetrag anheben, so dass die Mitte und die niedrigen Einkommen entlastet werden. Die einmalige Vermögensabgabe soll ab zwei Millionen Euro greifen und die Vermögenssteuer ab einer Million Euro – ein Prozent.
Stichwort Coronakrise: Eine Gruppe, die da doch sehr unter die Räder gekommen ist in der Öffentlichkeit, waren tatsächlich Studierende. Wir haben jetzt mehrere Online-Semester hinter uns und viele Studierende fühlen sich doch von der Politik, muss man sagen, ein bisschen vergessen vielleicht. Welche Angebote hat die Linke denn für Studierende?
Ein ganz konkretes Angebot, das auch tatsächlich über Corona hinausgeht, ist das Thema BAföG. BAföG erreicht nur noch 11% der Studierenden und auch nur noch 8 % erhalten den Höchstsatz. Viele wissen das gar nicht, aber zu Anfangszeiten des BAföG war es rückzahlungsfrei. Und da müssen wir eigentlich wieder hin, zu der Zeit hat das 40% der Studierenden erreicht. Es muss elternunabhängig sein und rückzahlungsfrei, so dass man dann nach Studium auch nicht mit Schulden ins Berufsleben startet.
Ein anderes Thema, was auch für Studierende sehr wichtig ist, ist natürlich die Wohnungssuche. Gerade Studierende, aber auch natürlich viele andere Menschen, haben immer wieder Probleme gerade in Großstädten noch bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auch der Bonner Wohnungsmarkt ist da ein trauriges Beispiel für. In ihrem Wahlprogramm schreiben Sie, dass die Mietpreisbremse der Bundesregierung nicht wirkt – andererseits wollen Sie aber einen bundesweiten Mietendeckel einführen. Warum genau funktioniert der Mietendeckel an der Stelle besser als die Mietpreisbremse?
Weil der Mietendeckel ganz konkret sagt, ab einem bestimmten Stichtag – das war in Berlin der 1.1.2017 – werden die Mieten konkret eingefroren. Er bremst nicht, er friert ein. Und deswegen funktioniert er auch wesentlich besser, deswegen brauchen wir ihn auch bundesweit. Leider konnten wir ihn so in Berlin nicht umsetzen, denn das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es ist keine Landessache, sondern es braucht dafür ein Bundesgesetz – und das wollen wir haben.
Wohnungssuche ist ein Thema, das nicht nur Studierende betrifft, das habe ich gerade schon gesagt. Sondern auch ein Thema, was da immer wieder zutage tritt, ist Rassismus in der Gesellschaft. Es gab vor einigen Monaten eine Recherche von Radio Bremen zum Thema, dass die Bremer Wohnungsbaugesellschaft Menschen diskriminiert, indem sie Bewerber:innen zum Beispiel in Kategorien einteilt wie „KT“ für Kopftuch. Was will die Linke denn konkret tun gegen diese Form von Rassismus, also gerade auch gegen den Alltagsrassismus hier in Deutschland?
Rassismus ist auch immer Ausdruck von ökonomischen Realitäten im Prinzip. Rassismus wird dazu benutzt, um Ungleichheit zu rechtfertigen, also zum Beispiel niedrigere Löhne zu rechtfertigen.Und gleichzeitig wird Ungleichheit benutzt, um weiteren Rassismus zu fördern. Also letzten Endes muss die Ungleichheit weg. Die Gesellschaft muss insgesamt gerechter werden, das bekämpft auch insgesamt Rassismus. Zum Thema Wohnungsmarkt ist es ja konkret so, dass Menschen, die einen nicht deutsch klingenden Namen haben, stark benachteiligt sind auf dem Wohnungsmarkt. Was da helfen kann, sind zum Beispiel anonymisierte Bewerbungsverfahren. Oder halt auch einfach ganz konkret mehr Sozialwohnungen, mehr Wohnungen insgesamt, den Druck vom Wohnungsmarkt nehmen. Und das schaffen wir nur mit Rekommunisierung von Wohnungen, das schaffen wir nur mit einem Mietendeckel und das schaffen wir nur mit Milliardeninvestitionen in den Wohnungsbau.
Sie haben gerade das Thema Ungleichheit schon angesprochen. Wenn wir das ganze mal ein bisschen globaler betrachten, dann sind wir ganz schnell bei den europäischen Außengrenzen, wo seit vielen Jahren immer wieder Menschen sterben, bei dem Versuch, übers Mittelmeer zu fliehen. Nicht erst seit Moria ist das bekannt, aber ich denke, die Schlagzeilen von Moria aus dem letzten Jahr haben wir alle noch in Erinnerung. Aber das hat sich ja seitdem nicht wirklich verbessert. Die Europäische Union findet da erstaunlich wenig Antworten darauf, muss man so sagen. Was sind denn die Antworten der Linken auf dieses Problem?
Alle wissen, dass Dublin versagt hat. Und es wird an den europäischen Außengrenzen systematisch Menschenrecht verletzt. Und auch innerhalb der EU, zum Beispiel in Lagern in Griechenland, wird systematisch Menschenrecht verletzt. Wir brauchen einen Verteilmechanismus innerhalb der EU, der es Staaten ermöglicht, die Flüchtlinge aufnehmen können und wollen, diese aufzunehmen. Und wenn ein Staat, so falsch ich das auch finde, keine Flüchtlinge aufnehmen möchte, dann muss er wenigstens dafür die anderen bezahlen, dort die Kosten übernehmen.
Wie realistisch glauben Sie, ist das umsetzbar? Gerade im europäischen Kontext, wenn man auch auf andere europäische Mitgliedstaaten guckt.
Wir sind jetzt ein bisschen im Thema EU. Und wenn die EU so weitermacht, wie sie im Moment funktioniert, dann habe ich ernsthafte Sorgen darum, dass sie weiter zerfasert, weiter zerfällt. Weil sie nicht die Interessen der Menschen im Blick hat, sondern die Interessen von Banken, Konzernen und Versicherungen. Und das muss abgestellt werden. Wir brauchen langsam ein soziales Europa, ein soziales Europa der Menschenrechte. Das muss der Fokus sein und dann führen wir auch nicht solche Diskussionen über Grenzschutz und Schuldzuweisungen innerhalb Europas, in Flüchtlingslagern. Also die Prioritäten müssen verschoben werden.
Aber das heißt, wenn Sie das irgendwie erreichen wollen, müssen Sie sich ja auch als deutsche Linke irgendwie in eine Position bringen, wo Sie das auch umsetzen können. Das heißt, das wäre zum Beispiel eine Regierungsbeteiligung in Deutschland. Jetzt muss man aber sagen, die Linke steht aktuell in den Umfragen bei etwa 7%, das ist nochmal deutlich weniger als bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren. Damit können Sie ja nicht wirklich zufrieden sein. Wie wollen Sie den Trend noch drehen?
Das sind wir auch nicht. Ich konkret möchte den Trend dahin drehen, dassich tatsächlich um die Zweitstimmen werbe. Die sind mir wirklich, wirklich wichtig. Was mein Erststimmenergebnis angeht, habe ich keine Eitelkeiten. Aber was ich wirklich will, ist eine starke Linke im Bundestag. Und wie können wir das bundesweit drehen: Indem wir eben ganz konkret die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen. Das ist das Thema Rente, das ist das Thema Löhne, das ist das Thema: Wie bezahlen wir diese gewaltigen Schulden, die da aufgenommen wurden? Alle Bundesregierungen bisher haben alle Kosten und Risiken im Prinzip auf die Mitte der Gesellschaft abgewälzt. Und das darf nicht sein. Darum müssen wir niedrige und mittlere Einkommen entlasten und über eine Vermögensabgabe höhere Einkommen stärker besteuern, stärker in die Pflicht nehmen. Weil auch die Ungleichheit immer weiter wächst, wenn wir das nicht machen.
Wenn Sie es dann tatsächlich in eine Regierung schaffen sollten oder sagen wir mal auf einen Wert, wo man eine Regierungsbeteiligung erstreben kann: Mit welchen Parteien würden Sie dann liebsten koalieren? Oder was würden Sie vielleicht auch ausschließen, umgekehrt gefragt?
Mit den Parteien, die unsere Ziele mit unterstützen.
Welche sind das aktuell, nach ihrer Einschätzung?
Also, das ist jetzt kein Geheimnis, dass zum Beispiel uns eine SPD grundsätzlich erstmal näher steht als eine FDP. Mich bedrückt das sehr, dass zum Beispiel auch die SPD nicht aus ihrem Umfragetief herauskommt. Das ist wirklich dramatisch. Aber letzten Endes kommt es nicht für uns darauf an, auf Farbenspiele im Prinzip, sondern mit wem können wir unsere Inhalte umsetzen?Das ist die entscheidende Frage, an der wir uns orientieren müssen.
Schauen wir doch vielleicht zum Schluss noch mal ein bisschen in die Glaskugel sozusagen: Wie stellen Sie sich die Zukunft Deutschlands nach Corona vor? Also wird es diese viel beschworene „Rückkehr zur Normalität“ geben oder wird sich unser Land stark verändern, vielleicht sogar auch stark verändern müssen?
Es wird sich starkverändern und gleichzeitig zur Normalitätzurückkehren. Was meine ich mit „Normalität“ in dem Sinne? Einfach das man mal rausgehen kann, sich treffen kann, Veranstaltungen, Aktionen,Feiern – ja, das müssen wir wieder haben, also wenn das mit Normalität gemeint ist, ja sehr sehrgerne.Wo es sich aber wirklich stark verändern muss, ist eben bei Fragen des Klimawandels, der sozialen Ungerechtigkeit. Da müssen wir starke Veränderungen vornehmen, da müssen wir stark gegenarbeiten, damit es eben nicht zu einer Klimakatastrophe kommt und damit die Gesellschaft nicht immer weiter auseinander driftet. Und dafür brauchen wir höhere Löhne von mindestens 13 Euro Mindestlohn, dafür brauchen wir starke Renten in die alle einzahlen, dafür brauchen wir eine Krankenversicherung in die alle einzahlen und so kriegt man das dann noch hin.
…sagt Ilja Bergen, Direktkandidat für die Linke im Bundestagswahlkreis hier in Bonn. Vielen Dank für Ihre Zeit und für das Gespräch!
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