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Bundestagswahl 2021: Interview mit Direktkandidatin Katrin Uhlig (Grüne)

Lesezeit: 8 Minuten

Katrin Uhlig kandidiert bei der Bundestagswahl für die Grünen als Direktkandidatin im Bonner Wahlkreis und tritt damit die Nachfolge von OB Katja Dörner an. Wir haben mit ihr unter anderem darüber gesprochen, welche Pläne die Grünen beim Klimaschutz haben und welche Angebote sie uns Studierenden machen – und natürlich, wie sie sich im Bundestag für Bonn einsetzen will.

Aufgezeichnet haben wir das Interview am 06. Juli 2021.Hinweis: Leider gab es bei der Aufzeichnung des Interviews technische Probleme. Als Ausgleich für die verminderte Tonqualität findet Ihr nachfolgend das Interview in voller Länge zum Nachlesen.

Bei uns im Studio ist heute Katrin Uhlig, sie kandidiert als Bundestagsdirektkandidatin für die Grünen. Herzlich willkommen – schön, dass Sie da sind!

Ganz herzlichen Dank für die Einladung.

Jetzt muss man sagen, dass die Arbeit im Bundestag Ihnen ja nicht ganz unbekannt ist, denn Sie sind wissenschaftliche Referentin beim grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer. Was genau sind denn da Ihre Aufgaben?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich bereite Termine vor, schreibe politische Initiativen, die Herr Krischer ins Auge gefasst hat, formuliere Fragen oder unterstütze ihn bei Terminen, indem ich mitgehe und auch da meinen Eindruck ihm dann schildere. Das ist sehr divers und macht mir sehr viel Spaß. Manchmal führe ich auch Gespräche mit Initiativen, mit Bürger:innen, die anrufen. Da kann man viele unterschiedliche Perspektiven mitnehmen schon bei der Arbeit, das wird mich sicherlich auch noch weiter begleiten.

Jetzt kandidieren Sie als Direktkandidatin für den Wahlkreis Bonn. Wie wollen Sie sich denn im Bundestag konkret für Bonn einsetzen?

Für Bonn gibt es einige Themen, die ich glaube auf Bundesebene unbedingt angestoßen werden müssten: Das ist zum einen die Frage des bezahlbaren Wohnraums, ich gehe davon aus, dass wir da gleich nochmal darauf eingehen, weil das für Studierende in Bonn sicherlich auch ein wichtiges Thema ist. Ich möchte Bonn auch zur internationalen Klimahauptstadt weiterentwickeln. Das hat verschiedene Aspekte. Da spielt auch der Wissenschaftsstandort sicherlich eine wichtige Rolle, damit wir neue Klimatechnologien entwickeln, damit wir mehr über den Klimawandel erfahren, damit wir mehr über die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Städte, auf unsere Pflanzen, auf unsere Tierwelt erfahren – da spielt sicherlich auch die Universität eine große Rolle.

Jetzt haben Sie gerade schon gesagt, Sie wollen Bonn zur Klimahauptstadt machen. Bundeshauptstadt ist es ja nicht mehr, seit doch jetzt fast 30 Jahren, und trotzdem haben immer noch relativ viele Ministerien und Behörden hier ihre Dienstsitze, was natürlich auch zu einem hohen Reiseaufkommen führt – vor Corona zumindest. Ist das noch zeitgemäß? Gerade eben aus Klimaschutzgründen, wenn hier ganz viele Beamt:innen immer hin und her reisen zwischen Bonn und Berlin.

Also zum einen ist es ja so, dass wir gerade in der Corona-Pandemie mitbekommen haben, wie es auch anders geht: Durch digitale Formate, durch Videokonferenzen, durch Telefonkonferenzen ist es, glaube ich, normaler geworden, dass Menschen an unterschiedlichen Orten sitzen und nicht mehr in einem Besprechungsraum. Auf der anderen Seite gibt es ja auch die Möglichkeit, dass man mit dem Zug, jetzt wieder häufiger, da freue ich mich sehr drüber, von Bonn nach Berlin kommen kann und wieder zurück. Ich denke, da ist auch noch Ausbaupotenzial bei der Deutschen Bahn, was diese Verbindung angeht. Und ich glaube schon, dass die Frage, ob man nur einen Standort hat oder ob wir als föderaler Staat auch mehrere Standorte bei Ministerien haben, eine zentrale ist, natürlich wichtig, die begleiten auch den Standort der UN. Da muss sicherlich der Standort Bonn aus meiner Sicht noch gestärkt werden, denn das Bonn-Berlin-Gesetz wird nicht eingehalten in Bezug auf die Arbeitsplätze und da ist eine Weiterentwicklung auf jeden Fall möglich, um auch am Standort Bonn Arbeitsplätze in den Ministerien zu halten.

Bleiben wir aber trotzdem mal beim Thema Klimaschutz: Die Grünen gelten als die Klimaschutzpartei. Trotzdem gibt es auch Kritik, dass ihre Klimaschutzziele nicht ambitioniert genug seien. Zum Beispiel haben wir da Jacob Blasel, der Fridays for Future Aktivist, der aber auch für die Grünen kandidiert. Der kritisiert, dass der CO²-Preis, den Sie in ihrem Wahlprogramm fordern, zu niedrig sei. Reicht ihr Wahlprogramm aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir jetzt erstmal Maßnahmen in Gang kriegen, denn über Ziele können wir viel diskutieren. Wenn wir keine Maßnahmen haben, die den Ausbau der Erneuerbaren in Gang bringen, die dafür sorgen, dass wir wirklich Klimaschutz auch umsetzen, dann werden wir kein Ziel erreichen, überhaupt keins. Das Zweite ist, dass natürlich bei so einem Wandel, so einer krassen Veränderung, wie die Klimakrise quasi uns das abnötigt, auch soziale Aspekte mitberücksichtigt werden müssen. Und da den Ausgleich zu finden zwischen der ökologischen Notwendigkeit und den Maßnahmen, die dann auch sozial gestaltet sind, das muss auch zentral für die nächste Bundesregierung sein, denn ein Wandel kann nur gemeinsam gelingen. Das kann man nicht alleine schaffen.

Sie haben gerade schon gesagt, Sie wollen die erneuerbaren Energien ausbauen, das heißt natürlich Investitionen. Das ist generell ein großes Thema in ihrem Wahlprogramm, auch wenn es zum Beispiel um das Schienennetz geht. Bei der Verkehrswende wollen Sie investieren. Jetzt muss man aber sagen, wir kommen gerade aus der Coronakrise, wo der Staat ohnehin schon sehr viele neue Schulden aufgenommen hat. Es kann ja wahrscheinlich nicht die Lösung sein, immer noch mehr neue Schulden zu machen, also muss ich irgendwo auch das wieder refinanzieren. Da gibt es klassischerweise die beiden Möglichkeiten, entweder sparen oder Steuern erhöhen. Was würden Sie bevorzugen oder was ist Ihre Lösung für das Problem?

Sie haben gerade die Corona-Krise angesprochen und auch die Tatsache, dass der Staat da bereits viel investiert bzw. zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Meine Perspektive dazu wäre, dass wir ja jetzt schon anfangen könnten, im Rahmen der Corona-Hilfen mittel- und langfristig, also nicht die kurzfristigen Überbrückungshilfen, sondern bei den mittel- und langfristigen Investitionen, da auch schon die richtigen Weichen zu stellen. Also wir diskutieren nicht darüber, dass es auch perspektivisch noch Unterstützung geben muss, um aus dieser Krise rauszukommen. Aber man kann sich ja entscheiden, ob man da schon die Klimakrise berücksichtigt, die Investitionen, die ohnehin anstehen in den nächsten Jahren, um da die richtigen Weichen zu stellen, jetzt schon berücksichtigt werden. Und da finde ich, könnte man mehr machen als das die aktuelle Bundesregierung gemacht hat, die nämlich quasi gesagt hat „wir investieren jetzt erstmal in alte bekannte Technologien und die Klimakrise gucken wir uns danach an“, das finde ich das falsche Herangehen. Da könnte man das Geld, was jetzt investiert wird, auf jeden Fall sinnvoller investieren.

Während Corona wurde ja nur sehr selten über die Situation von Studierenden gesprochen, auch wir haben jetzt mehrere Online-Semester hinter uns und viele Studierende fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Was haben die Grünen für konkrete Angebote für Studierende?

Also das eine ist, dass während jetzt die Corona-Pandemie noch läuft, eigentlich unkomplizierte Unterstützung für Studierende geboten wäre. Und dann perspektivisch natürlich auch eine Unterstützung für Studierende im Hinblick auf BaföG erfolgen sollte. Wir möchten das BAföG weiter entwickeln bzw. da ein neues System entwickeln von einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende, die dann zusätzlich also zunächst einmal jeder Studierende selber bekommt, einen Anspruch darauf hat und dann zusätzlich in Ergänzung ggf. noch Unterstützung erfolgen kann, wenn die familiäre Situation so ist, dass das notwendig ist. Das eine ist jetzt kurzfristig gesehen auf die Corona-Pandemie, das andere ist eher eine langfristige Frage, wie man sein Studium auch wirklich finanzieren kann als Studierender oder aber auch als Auszubildender die Zeit der Ausbildung. Das werden wir gleichberechtigt nebeneinander stellen.

Ein anderes Thema, was gerade für Studierende, aber auch für Auszubildende natürlich ein wichtiges Thema ist, das haben Sie gerade eben schon angesprochen: Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum gerade in größeren Städten. Sie als Grüne wollen deshalb einen bundesweiten Mietendeckel einführen. Jetzt muss man aber sagen, dass in Berlin eine solche Regelung ja im April erst kassiert worden ist vom Bundesverfassungsgericht und dass es auch mehrere juristische Gutachten gibt, die sagen, dass auch ein Mietendeckel auf Bundesebene verfassungsrechtlich zumindest mal sehr problematisch wäre. Fordern Sie da also etwas, was auf dem Boden unserer Verfassung eigentlich gar nicht umsetzbar ist oder wie sieht das aus?

Zunächst einmal ist es so, dass wir nicht einen bundesweit einheitlichen Mietendeckel einführen möchten, sondern die Möglichkeit schaffen möchten auf Bundesebene, dass Mieten gedeckelt werden können. Das ist was anderes. So, wie ich das Urteil verstanden habe, ist es so, dass nicht die Regelung an sich kritisiert wurde, sondern die Gesetzgebungskompetenz des Landes ohne eine entsprechende Regelung auf Bundesebene quasi dazu geführt hat, dass das Urteil so ergangen ist. Neben der Frage des Mietendeckels haben wir ja noch andere Punkte, die Sie sicherlich auch wahrgenommen haben. Unter anderem eine Entfristung der Mietpreisbremse, der Frage, wie diese weiterentwickelt werden kann. Mehr Mittel von Bundesebene für geförderten und sozialen Wohnraum. Ich glaube, das sind alles Punkte, die man zusammen sehen muss, zusätzlich zu einigen anderen noch, um ein Gesamtbild zu bekommen, wie wir im Bereich bezahlbarer Mieten weiter kommen. Und dann quasi all diese Instrumente gemeinsam können dann dazu führen, dass wir bessere bezahlbare Mieten bekommen. Und ich glaube, für Bonn ist auch noch interessant, das ist ein Punkt, der mir immer wieder begegnet: Es gibt noch einige Flächen und Gebäude des Bundes in Bonn, die im Moment nicht genutzt werden, die leer stehen. Auch da sehe ich noch Potenzial, dass das geprüft werden kann ob in dem Bereich noch Wohnungen entstehen können, denn gerade in Bonn sind ja auch die Flächen knapp – nicht nur die Wohnungen.

Bei der Wohnungssuche haben es aber nicht nur Studierende schwer, bei der Wohnungssuche zeigt sich auch ganz offen der Rassismus in unserem Land. Erst vor kurzem hat zum Beispiel Radio Bremen herausgefunden, dass die Bremer Wohnungsbaugesellschaft Menschen diskriminiert, indem sie die Bewerber:innen in Kategorien wie „KT“ für Kopftuch einteilt. Wie wollen Sie gegen den Rassismus, auch den Alltagsrassismus hier in Deutschland vorgehen?

Gezielt vorgehen, glaube ich… also gesetzliche Rahmenbedingungen gibt es viele. Ich bin mir auch relativ sicher, ohne jetzt das Gesetz benennen zu dürfen, dass solches Vorgehen nicht zulässig ist, sondern dass man, gerade in Behörden zum Beispiel, solche Kommentierungen eben nicht zulässig sind, rein gesetzlich. Ein anderer Punkt ist, dass man sicherlich mehr Aufmerksamkeit schaffen muss. Ich glaube, dass vielen Leuten nicht bewusst ist, dass bestimmte Dinge rassistisch sind. Und wir brauchen dafür einen offenen Diskurs in der Gesellschaft und natürlich müssen alle Gesetze und Regelungen auf den Prüfstand, ob eventuell Diskriminierung dadurch ausgelöst wird. Dass das gezielt gemacht wird, kommt vor. Extrem. Und ist nicht richtig. Aber ich glaube, wir können nur als Gesellschaft dahin kommen, wenn wir darüber reden und Transparenz schaffen, wenn wir offen solche Punkte ansprechen. Dass dafür auch eine Sensibilisierung herrscht und dann auch eine entsprechende Praxis einfach nicht mehr toleriert wird.

Ein anderes gesellschaftliches Thema zeigt sich, wenn wir von Deutschland mal weggucken auf die europäischen Außengrenzen: Seit vielen Jahren sterben dort immer wieder Menschen, zahlreiche Menschen muss man sagen, bei dem Versuch der Flucht über das Mittelmeer. Nicht erst seit Moria ist das bekannt, aber ich denke, die Schlagzeilen vom letzten Jahr sind uns allen noch in Erinnerung. Und seitdem haben sich die Zustände auch nicht wirklich verbessert, die Europäische Union findet da bisher sehr wenig Antworten drauf. Was sind die Antworten der Grünen auf dieses Problem?

Die sind vielfältig.Ich würde einfach mal ein paar herausgreifen. Das eine ist, dass wir Zuwanderung nach Deutschland ermöglichen müssen, dass wir eine Möglichkeit schaffen müssen, dass Leute sicher und innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen einen Asylantrag in Deutschland stellen können. Wir möchten die Möglichkeit, Asylanträge zu stellen, europäisch organisieren. Das heißt, in europäischorganisierten Erstzentren an den EU-Außengrenzen die Möglichkeit bieten, Asylanträge zu stellen und dann relativ kurzfristig auch eine Rückmeldung zu bekommen, ob dem Asylantrag stattgegeben worden ist oder nicht. Und dann die Möglichkeit für Geflüchtete schaffen, in einem der EU Mitgliedsländer einen Aufenthalt zu bekommen. Anderer Punkt ist, dass wir Regelungen schaffen wollen, wie Menschen, die aktuell in Deutschland nur geduldet sind, die einen Arbeitsplatz haben, die Teil dieser Gesellschaft geworden sind, die in Deutschland ihr Zuhause gefunden haben, dann auch die Möglichkeit bekommen, langfristig hier zu bleiben mit einer entsprechenden Arbeitserlaubnis, mit einem entsprechenden Aufenthaltstitel. Denn langfristige Duldungen, die immer wieder verlängert werden, führt zu Unsicherheit bei den Personen selber und aus meiner Sicht sind da dringend Handlungen notwendig Rahmengesetzgebung notwendig, damit diese Menschen auch eine Bleibeperspektive dann in Deutschland haben.

Perspektive und Deutschland ist ein gutes Stichwort. Schauen wir doch zum Ende vielleicht mal einen kleinen Blick in die Glaskugel: Wie stellen Sie sich persönlich in Zukunft von Deutschland nach Corona vor? Wird es eine viel beschworene „Rückkehr zur Normalität“ geben oder wird sich unser Land stark verändern, vielleicht auch verändern müssen?

Also Normalität ist ja immer das, was man gerade erlebt. Ich glaube, wir haben uns immer schon verändert. Ich glaube aber auch, dass gerade die Klimakrise uns dazu zwingt, weitere Veränderungen vorzunehmen. Ich glaube aber auch, dass man die gestalten muss, gemeinsam gestalten muss. Dass wir nicht einfach abwarten können und jetzt nach der Corona-Pandemie zu etwas zurückkehren, was wir dann für eine gewisse Zeit vielleicht aufrechterhalten können und dann zwingt uns die Klimakrise dazu, alles sehr kurzfristig zu verändern. Sondern dass wir nach der Corona-Pandemie anfangen müssen, uns darüber zu unterhalten, wie wir die Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise dann auch wirklich umsetzen können. Wobei, nach der Corona-Pandemie ist so eine Sache:

Es ist ja weiterhin unklar, wann die eigentlich zu Ende ist. Im Prinzip müssen wir jetzt schon anfangen mit den Veränderungen und was dann unser Leben nach der Pandemie/mit der Pandemie angeht, das werden wir sicherlich sehen.

In diesem Jahr haben die Grünen auch zum ersten Mal eine eigene Kanzlerkandidatin aufgestellt, sind also mit im Rennen ums Kanzleramt. Wenn es die Grünen in die Regierung schaffen sollten, mit wem würden Sie am liebsten eine Koalition bilden?

Ich kämpfe für starke Grüne, weil ich davon überzeugt bin, dass nur wir die Antworten auf die Klimakrise haben, wir da motiviert sind, die Veränderungen anzustoßen, sowohl aus ökologischer Perspektive als auch aus sozialer. Und hoffe darauf, dass wir starke Grüne nach der Bundestagswahl haben und zusammen mit Annalena Baerbock dann schauen können, mit wem wir diese Ziele am besten umsetzen können in einer zukünftigen Regierung.

Dann sind wir damit am Ende unseres Gesprächs angelangt. Vielen Dank, Frau Uhlig, dass Sie sich die Zeit genommen haben!

Ganz herzlichen Dank für die Einladung!