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Bild: bonnFM

Der Hambacher Forst geht jeden etwas an

Lesezeit: 5 Minuten

Ein Mal im Monat gibt es einen Waldspaziergang durch den Hambi. Letzte Woche bin ich mitgelaufen und ich muss ehrlich sagen, er hat etwas in mir bewegt.

Lesezeit: 5 Minuten

Ein Kiesweg führt in den Wald hinein und es sieht fast so aus, als würde man auf einen Strand zulaufen. Die Sonne scheint, am Ende wartet eine große Sandfläche und der blaue Himmel darüber sieht ein wenig aus wie Wasser. Nur dass es kein Meer dort gibt, und ein Strand ist es auch nicht. Stattdessen ist am Ende des Weges der Tagebau. Es ist ein krasser Kontrast zwischen dem Wald auf der einen und der großen, staubigen Fläche auf der anderen Seite. Nur vier Stunden haben wir in dem Wald verbracht, aber vergessen werde ich sie nicht. So viele Eindrücke, so viel Input, so viel Angst.

"Man muss kein Fachmann sein...

.. um zu sehen, dass da etwas im Gang ist, was nicht sein darf“. Treffend bringt unser Waldführer es auf den Punkt. Gerade Politiker sprechen den Protestierenden die Sachkenntnis ab, aber auch ohne viel Hintergrundwissen über Wälder kann ich sehen, dass es dem Hambacher Forst nicht gut geht. Die vielen Redebeiträge sind teils sachlich-informativ, teils emotional und von persönlichen Erlebnissen geprägt. Sie haben mir noch einmal deutlicher gezeigt, auf wie vielen Ebenen der Hambacher Forst eine Bedeutung hat. Denn mit dem ersten Schritt in den Wald ist klar, dass etwas nicht stimmt. Braune Blätter liegen unter unseren Füßen, der Boden staubt, die Baumkronen sind trocken – Anfang August. Die Dürre hat dem Wald zugesetzt, und trotz des Rodungsverbotes für diese Saison bleibt die Angst, dass es nächstes Jahr weitergeht. Einzelne Bäume sind über 300 Jahre alt, der Wald existiert seit mehreren tausend Jahren und es geht einfach nicht in meinen Kopf, warum es in Ordnung sein sollte, ihn zu roden. Ganz abgesehen davon, dass Kohle keine Zukunft hat und haben darf.

Hambacher Forst
Hambacher Forst bild: BonnFM

„Bilder sind mindestens genauso wichtig wie Worte“

Besser hätter der Redner bei einem Zwischenstopp des Spaziergangs es nicht audrücken können. So viel ich zuvor über den Hambi gehört und gelesen habe, es ist nicht vergleichbar damit, ihn wirklich mit eigenen Augen gesehen zu haben. Die Bäume und Sträucher, die Barrikaden und Baumhäuser, den Tagebau und den Wall, der Wald und Tagebau trennt. Der Wald ist grün, friedlich, es riecht nach Erde und Blättern. Man kann fast vergessen, dass der Wald letztes Jahr Schauplatz einer Räumung wurde, die in den Köpfen der Menschen geblieben ist. Dass der Wald ein Symbol ist für den Klimaschutz und den Widerstand gegen den Kohlebbau. Es ist fast heilsam, zwei Stunden durch den Wald zu laufen mit einer Gruppe von Gleichgesinnten, es fühlt sich an, als wäre noch nicht alles verloren. Ganze Familien sind hier, Eltern mit kleinen Kindern, Rentner, einige haben ihre Hunde dabei. Und ich wünsche mir, dass jeder einmal die Gelegenheit bekommt, diese Erfahrung zu machen, die Redebeiträge zu hören, den Wald zu sehen.

Die Häuser in den Bäumen

Der Spaziergang hat in Oaktown geendet, wo die Besetzer mit einem Buffet auf uns gewartet haben. Oaktown ist eine der größeren Baumhaussiedlungen, mit beeindruckenden Konstruktionen hoch in den Bäumen. Wir haben mit den Besetzern gegessen, auf dem Waldboden gesessen und geredet und es hat mir so viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Eine/r* von ihnen hat mit uns über Selbstdarstellung, die Beweggründe dafür im Hambi zu wohnen, Fridays for Future und wie es weitergehen kann geredet. Wir haben auch nachgefragt, was denn der Grund hinter der Verhüllung ist. Zum einen gehe es beim Aktivismus nicht um Selbstdarstellung, der Schutz des Waldes habe die oberste Priorität. Er/sie erklärt uns, dass sie ihre richtigen Namen, Gesichter oder sonstige Details zum Privatleben voneinander nicht kennen.Sie nutzen Pseudonyme und private Details seien nicht wichtig, das einzige Wichtige sei, dass alle zum gleichen Zweck hier sind. Diese Anonymität garantiere auch einen gewissen Selbstschutz, einigen drohe die Festnahme. Die Verhüllung sei nämlich zum anderen eine Maßnahme zum Schutz vor Strafverfolgung oder geschehe aus Solidarität mit denjenigen, die davon bedroht sind.

Oaktown
Oaktown Bild: bonnFM

Sie nutzen Pseudonyme und private Details seien nicht wichtig, das einzige Wichtige sei, dass alle zum gleichen Zweck hier sind. Diese Anonymität garantiere auch einen gewissen Selbstschutz, einigen drohe die Festnahme. Die Verhüllung sei nämlich zum anderen eine Maßnahme zum Schutz vor Strafverfolgung oder geschehe aus Solidarität mit denjenigen, die davon bedroht sind.

Aktivismus ist Körpereinsatz

Den ganzen Rückweg und noch am Tag danach ging mir die Unterhaltung nicht aus dem Kopf, sie war lehrreich, anregend und vor allem prägend. Aber nicht nur das Gespräch ist etwas, was den Tag im Wald so unvergesslich macht. Die Besetzer haben in die Gruppe gefragt, wer noch Zeit und Lust hätte, einen Baumstamm zu tragen, der umgefallen ist, da sie die kommenden Tage damit etwas bauen wollen. Ich habe zugesagt, und so habe ich die anschließende Stunde damit verbracht, mit 20 anderen Leuten einen Baum mehrere 100 Meter von a nach b zu tragen. Das hat mir noch einmal eine komplett andere Dimension vom Leben im Wald gezeigt. Es gibt sicherlich Leute, die sagen, die Besetzer würden den ganzen Tag nur auf ihren Bäumen sitzen und über den Kapitalismus schimpfen, aber weiter daneben kann man nicht liegen. Teamarbeit war nötig und Absprache, um den sicherlich über 20 Meter langen Baumstamm im Slalom durch den Wald zu bekommen. Gleichzeitig heben, geschickt Bäume umkurven, gleichzeitig anhalten, gleichzeitig ablegen. Das hat mir die Augen geöffnet, denn alles, was sie gebaut haben, muss irgendwie entstanden sein. In allen Baumhäusern und Anlagen stecken Arbeit, Kraft und Hintergedanken. Diese eine Stunde, in der wir mit mehreren Pausen und Überlegungen den Baum transportiert haben, hat einen guten Einblick gewährt in das, was für die Besetzer Alltag ist, was sie für einen Einsatz zeigen, um den Wald zu schützen.

Wie es weiter geht?

Das weiß ich nicht. Ganz und gar nicht. Ich verfalle in Panik, wenn ich daran denke, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Ich hatte Gänsehaut im Wald, und nicht nur ein Mal Tränen in den Augen. Der Hambi ist ein Symbolbild für etwas viel Größeres, für den täglichen Kampf so Vieler gegen Profitgier, Zerstörung einzigartiger Natur, den Klimawandel. Es kommt in vielen Ländern weltweit nicht selten vor, dass Umweltaktivisten drangsaliert, eingeschüchtert oder sogar getötet werden, denn sie sind schlicht und einfach im Weg. Und während wir hier über CO2-Steuern, Tempolimits und Inlandsflüge debattieren, die Klima-Arbeitsgruppe der Regierung monatelang zu keinem brauchbaren Ergebnis kommt (meiner Meinung nach), geht der Klimawandel erbarmungslos weiter. Die Arktis brennt und bald wird das auch der Rest der Welt – entweder wortwörtlich oder im übertragenen Sinne. Im Hambi ist es mir so klar geworden wie noch nie: spätestens jetzt sollte jeder besorgt sein. Jeder sollte den Ernst der Lage begreifen, sich damit auseinandersetzen und sich selbst hinterfragen. Wir müssen handeln, und es ist egal ob wir zu faul, zu bequem sind, ob es uns einfach egal ist. Das können wir uns nicht mehr leisten.

Auf dem Wall zwischen Wald und RWE
Auf dem Wall zwischen Wald und RWE Bild: bonnFM

 

*Aus den anschließend genannten Gründen im Text wollte er/sie nicht, dass das Geschlecht in Berichten genannt wird.