Im Restaurant „The Grill“ mitten in Manhattan werden nicht nur Standardgerichte für reiche Tourist*innen gekocht; es kochen Emotionen wie Wut, Angst und Unsicherheit unter den vielen, zur großen Zahl illegal angestellten Mitarbeitenden. La Cocina untersucht die entmutigende Realität eines Küchenteams, in der es um alles andere als kulinarische Kunst geht.
Herd und Theke als Theater-Bühne
New York. City of dreams. Menschen aus aller Welt kommen hierhin, um ihre Träume zu verwirklichen. Genau wie Estela. Aus ihrem kleinen Dorf im tiefsten Mexiko direkt in die Metropole, ohne ein einziges Wort Englisch – so beginnen doch viele Geschichten mit dem Label „American Dream“, nicht wahr? Man steigt ganz unten ein und arbeitet sich hoch, bis der ersehnte Erfolg vom Himmel fällt, Ende der Geschichte. Doch nicht in La Cocina. Nun nochmal von vorne an: Estela kommt illegal nach New York, um einen Knochenjob im Restaurant „The Grill“ mitten in Manhattan aufzunehmen. Hier arbeitet auch Pedro, aus ihrem Dorf. Er kann sicher Arbeit für Estela besorgen, damit sie endlich aus der Armutsschleife rauskommt. Mit etwas Glück erhält man in ein paar Jahren sogar Papiere und bricht aus dem Hamsterrad der Schwarzarbeit aus; dafür gibt es allerdings keine Garantie. Die Hoffnung stirbt bekannterweise zuletzt, weshalb für das Küchenteam im „The Grill“, überwiegend aus illegalen Migrant*innen bestehend, der größte Traum eine Legalisierung im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ist. „Die Generalversammlung der vereinten Nationen“, wie eine Figur aus dem Film anmerkt.
La Cocina basiert auf dem britischen Theaterstück „The Kitchen“ aus dem Jahre 1957. So fühlt er sich auch an, denn der Film vergisst seine Wurzeln zu keinem Moment – die Bühne machen hier der Herd und die Theke aus. Die Dramaturgie wirkt so, als ob man in der ersten Reihe in einem Schauspielhaus sitzen würde; es ist intensiv und hat eine besondere sprachliche Art, die man in dieser Form nur im Theater erlebt. Auch die erzählerische Struktur des Films ähnelt der eines Theaterstücks: Es gibt vier Akte, die immer ein eigenartiges Bühnenbild und einen klaren Abschluss haben. Mit dem Konzept „ein Tag, ein Ort“. An dieser Stelle dürfte die Frage vorkommen, ob man in einem solchen Fall nicht lieber doch ins Theater gehen sollte? Nicht unbedingt, denn La Cocina überzeugt genau aus seiner filmtechnischen Seite.
Eine virtuose Kameraarbeit
La Cocina ist ein sehr emotionsgeladener und intensiver, sogar eindringlicher Film. Die Verantwortung dafür trägt nicht zuletzt die virtuose Kameraarbeit. Jeder Akt hat eine einzigartige Bildsprache, weshalb die Kamera fast wie eine eigene Figur betrachtet werden kann. Mal ist sie still und ruhig, mal wackelig, und mal sehr dynamisch. Sie führt die Zuschauenden durch die engen Räume des Restaurants, kreiert für jede Szene ein besonderes Tempo und vermittelt gewisse Eindrücke und Emotionen, die beim Zuschauen entstehen. Unter anderem gibt es einen ganzen Akt, der als One Shot gedreht wurde, um die Hektik und den Druck auf die Mitarbeitenden während der Lunch Hours in der Küche noch präziser darstellen zu können – mit Erfolg. Man erlebt diese Szenen so, als ob man mittendrin wäre. Die schwarz-weißen Bilden leisten dabei eine große Hilfe, denn sie tragen nicht nur zur besonderen Ästhetik bei. Damit wird nämlich mehr Raum für die puren Emotionen geschaffen, auf die man sich noch besser konzentrieren kann.
Of Mice and Migrants
La Cocina ist eine harte Kritik des Kapitalismus und des klassistischen Systems, die einen fast bestialischen Maßstab in „The Grill“ einnehmen. Das Biest ist am Ende nicht nur das ungerechte System, sondern die Unfähigkeit der Mitarbeitenden, zusammenzustehen und unter sich solidarisch zu sein. Niemand möchte Estela bei sich aufnehmen und sie einarbeiten. Die Köche und die Kellnerinnen streiten sich um jede Kleinigkeit, anstatt Empathie in diesem harten Milieu zu zeigen und sich gegenseitig zu unterstützen. Mal entsteht das Gefühl, dass sie sich dieser Situation bewusst sind, nur schafft es schließlich niemand, aus dieser Hassspirale rauszukommen. Jede*r steht für sich allein und die Eskalation ist unvermeidbar. Besonders hart trifft es diejenigen Mitarbeitenden, die keinen legalen Status in den USA haben – mit dieser brutalen Herangehensweise erinnert der Film daran, wie zerbrechlich und beängstigend die Lage vieler Menschen in dieser Welt ist, die alles für die Arbeit und ihre Hoffnung auf ein besseres Leben geben und nichts als Gegenleistung erhalten. La Cocina erinnert in diesem Sinne an viele Themen, um die es in den Büchern des US-amerikanischen Schriftstellers John Steinbeck geht, unter anderem Of Mice and Men. Steinbecks Charaktere sind nämlich oft Menschen aus sozial benachteiligten Milieus, häufig zu Migration gezwungen. Sie arbeiten sich unter prekären Beschäftigungsverhältnissen kaputt; trotzdem gelingt es ihnen nicht mal annähernd, sich den Traum von einem sicheren Zuhause zu erfüllen. Die bittere Erkenntnis: Am Ende verlieren diejenigen, die am wenigsten geschützt sind – und das schafft der Film mit einer bitterbösen Präzision so weiterzugeben.
