Die Deutschen Meisterschaften im Schwimmen sind gerade vorbei – die sogenannte Crunchtime der Saison. Für viele Leistungsschwimmer*innen ist das der Moment, auf den sie monatelang hinarbeiten. Doch ein Wettkampf bedeutet nicht nur Bestzeiten und Medaillen, sondern auch enormen psychischen Druck. Wie fühlt sich das an? Und wie kann man lernen, damit umzugehen – auch neben der Uni oder im Alltag?
Wenn das Schwimmen mehr als nur ein Hobby ist
Für die Bonner Studentin und Leistungsschwimmerin Yasmin gehört der Leistungsdruck schon lange zum Alltag. Bereits sieben Mal war sie bei den Deutschen Jugendmeisterschaften dabei und schwimmt seit Jahren deutschland- und europaweit Wettkämpfe. Daher weiß sie genau, wie groß der mentale Ballast werden kann.
„Bei meinem zweiten Mal Deutsche Jahrgangsmeisterschaften, wo ich 13 war, habe ich zum ersten Mal gespürt: Jetzt wird’s ernst, jetzt musst du wirklich performen“, erinnert sie sich. Seit diesem jungen Alter begleitet sie das Gefühl, dass jeder Start nicht nur ihre Platzierung in dem Rennen, sondern auch ihr eigenes Selbstwertgefühl bestimmt.
Die Sportpsychologin Laura Juppen von set mind Sportpsychologie erklärt: „Leistungsdruck meint den psychischen Druck, eben durch den Zwang zu hoher Leistung“. Dass sportliche Erfolge Auswirkungen auf das Selbstbild haben, bestätigt ebenfalls eine Studie der Victoria University Melbourne aus dem Jahr 2024: 77% der befragten Athlet*innen haben angegeben, regelmäßig starken Leistungsdruck zu erleben. Ähnlich geht es auch vielen im Studium oder Berufsleben, wenn man ständig denkt, man muss mehr leisten, um erfolgreich zu werden.
Warum der Druck im Schwimmen besonders groß ist
Gerade in Einzelsportarten wie dem Schwimmen ist der Vergleich extrem greifbar, da hier die individuelle Leistung bis auf die Millisekunde genau messbar ist. Anders als in Mannschaftssportarten, wie dem Fußball oder dem Hockey, gibt es keine Möglichkeit, sich hinter einem Team zu verstecken – jede Sekunde zu viel steht in roten Zahlen auf der Anzeigentafel.
Außerdem erklärt die Sportpsychologin, dass Schwimmen die Sportart mit dem größten Trainingspensum ist. Eine reguläre Trainingswoche in Yasmins Verein besteht aus bis zu neun Wassereinheiten à zwei Stunden sowie zusätzlichem Kraft- und Athletiktraining. Dass diese Investition einen enormen Druck erzeugt, ist laut Laura Juppen ein typisches Muster: „Wenn das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag aus dem Gleichgewicht gerät, kann der Druck deutlich steigen.“
Der Kopf als größter Gegner
Neben körperlicher Anstrengung ist es vor allem der mentale Aspekt, der Athlet*innen wie Yasmin herausfordert. Die Sportpsychologin erklärt, dass die Quellen von Druck vielfältig sind: „Zum einen sind da Erwartungen – die eigenen und die vom Umfeld – zum anderen gibt es Konsequenzen die drohen, wenn man nicht abliefert und oft auch Zeitdruck“. Trainer*innen, Eltern und auch Teamkolleg*innen können unbeabsichtigt dazu beitragen, dass die Belastung größer wird. „Wenn ich ständig höre: Beim nächsten Wettkampf musst du aber liefern, das sind Aussagen, die auch ganz implizit den Druck erhöhen.“
Doch am häufigsten entsteht er im eigenen Inneren: „Ich selber hab mir am meisten Druck gemacht“, gibt Yasmin zu. Auch wenn sie betont, dass ihre Eltern immer unterstützend gewesen seien und ihr den nötigen Freiraum gegeben hätten, wäre ihr eigener Anspruch höher gewesen, als jede äußere Erwartung. „Ich will zeigen, dass die Zeit und die Energie, die meine Eltern und meine Trainerin in mich investiert haben, das wert sind.“ Solche Gedanken kennen bestimmt auch viele Studierende: der eigene Kopf kann da häufig der größte Gegner werden.
Wenn Leistungsdruck krank macht
Entgegen der meisten Erwartungen ist Druck allerdings nicht immer negativ. „Per se ist Leistungsdruck nicht unbedingt ein Problem. Wenn ich denke, ich kann das schaffen, kann er mich motivieren“, erklärt die Sportpsychologin. Erst wenn die Anforderungen über einen längeren Zeitraum als unüberwindbar empfunden werden, wird es problematisch und chronischer Stress entsteht.
Für Yasmin gilt heute: „Manchmal tut mir auch ein bisschen Druck von außen gut.“ So behält sie ihr persönliches Ziel vor Augen und kann den Leistungsdruck als Motor nutzen. Wichtig ist allerdings, sich selbst zu kennen und zu wissen, ob der Druck positiv oder negativ einzuschätzen ist. Die Leistungsschwimmerin hat auch schon andere Seiten erlebt: „Dieses generelle Gefühl, dass es einfach nicht reicht, kann einen runterziehen.“ Zwei bis drei Jahre lang fühlte sie sich wie gefangen – trotz hartem Training wurden ihre Zeiten nicht besser und ihre Leistung stagnierte.
Nicht nur die sportliche Entwicklung kann durch dauerhaften Leistungsdruck eingeschränkt werden, sondern auch gesundheitliche Folgen wie Schlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Panikattacken mit sich bringen. Auch im Arbeitsalltag oder in der Uni, wenn man das Gefühl hat, noch mehr schaffen zu müssen und besser zu sein, kann ständiger Leistungsdruck schädigend sein. Außerdem steigt langfristig das Risiko für Depressionen oder Burn-out. Daher ist es umso wichtiger, frühzeitige Gefahren zu erkennen und dagegen vorzugehen.
Strategien gegen den mentalen Druck
Wie kann man lernen, mit dieser Belastung umzugehen? Yasmin hat dafür vieles ausprobiert, wie zum Beispiel positive Affirmationen oder die Visualisierung des Wettkampfes. Am besten geholfen hat ihr eine ganz simple Methode zum fokussieren: „Kopfhörer rein, Musik volle Lautstärke, ein Lied was dich aufpusht und dann alle Gedanken wegschieben.“ Trotzdem gibt Yasmin zu, ihren Weg noch nicht vollständig gefunden. „Mit dem Leistungsdruck umzugehen ist sehr schwierig. Ich muss ehrlich sagen, ich glaub, bei mir hat’s noch nicht so ganz geklappt.“
Auch Laura Juppen betont, wie wichtig es ist, mentale Strategien zu entwickeln: „Viele denken automatisch an Situationen, in denen es mal schief gegangen ist. Stattdessen sollte man den Blick stärker auf die eigenen Erfolge und Stärken richten.“ Sie rät zu einer realistischen Zielsetzung und bewusstem Prioritäten setzen – besonders für Athlet*innen, die wie Yasmin Studium oder Arbeit mit dem Sport vereinbaren müssen. „Man kann nicht alles zu 100 % machen. Deshalb braucht es ein kreatives Zeitmanagement – zum Beispiel den Fahrtweg nutzen, um eine mentale Pause zu machen oder Lernstoff durchzugehen.“ Solche Strategien sind übrigens nicht nur für Sportler*innen hilfreich, denn auch sonst muss man im Leben viele Dinge unter einen Hut bekommen und kann auch da natürlich nicht immer überall 100% geben und das ist vollkommen okay!
Was können wir daraus ziehen?
Leistungsdruck betrifft nicht nur den Spitzensport, sondern kann auch in allen anderen Bereichen des Lebens wie beispielsweise bei Klausuren, im Job oder durch familiäre Erwartungen auftreten. Egal ob man in einer lauten Schwimmhalle kurz vor einem wichtigen Wettkampf steht oder kurz davor ist, eine wichtige Prüfung zu schreiben – die Mechanismen dahinter sind oft ganz ähnlich. Was zählt, ist der Umgang damit. Mentale Stärke muss genauso trainiert werden, wie Technik oder Ausdauer. Und manchmal hilft es auch, sich Unterstützung durch Menschen zu holen, die zuhören – denn ihr seid nicht alleine damit! Yasmins Erfahrungen zeigen: Rückschläge gehören dazu und manchmal ist es ein Erfolg, einfach dranzubleiben.