You are currently viewing Zwischen singenden Stars und “Chai Tea” mit Heidi
Quelle: unsplash

Zwischen singenden Stars und “Chai Tea” mit Heidi

Lesezeit: 3 Minuten

Wenn Influencer*innen und Stars plötzlich anfangen zu singen, kann das doch eigentlich nichts werden, oder doch? Unsere Kolumnistin ist in die musikalische Parallelwelt der Stars und Sternchen abgetaucht, um  genau dieser Frage nachzugehen.

Freitag ist für viele ja ihr absoluter Lieblingstag der Woche. Endlich kann man das langersehnte Wochenende begrüßen, endlich hat man ein bisschen Ruhe von der Uni oder der Arbeit. Für mich ist Freitag auch immer ein ganz besonderes Highlight: Denn Freitag ist der Tag für die neuesten Musik-Releases. Voller Vorfreude öffne ich dann die Musik-Streaming-App meiner Wahl und klicke mich freudig durch all die neuen Veröffentlichungen. Doch dabei wurde ich letzte Woche plötzlich ganz schamlos aus meiner geliebten  Indie-Bubble gerissen.

Wie, die singt jetzt auch noch?

Denn da hat die gute Heidi Klum einfach mal ganz heimlich einen Track mit Snoop Dogg aufgenommen. Während ich den ebenso überraschenden Weihnachtssong von Heidi noch gekonnt ignoriert habe, trifft mich dieses Duett dann so unverhofft, dass ich mich kurz frage, ob ich gerade in einer absurden Parodie dieser ohnehin täglich näher an Satire grenzenden Welt gelandet bin. “Chai Tea with Heidi” (feat. Snoop Dogg) ist aber ganz real, und wird auch noch der Titelsong von der neuen Staffel Germany’s Next Topmodel. Der Song versucht dabei ganz offensichtlich mit einem ohrwurmwürdigen Refrain und Club-Beat zu überzeugen, gerahmt durch größtenteils inhaltslose Rap-Einlagen von Snoop Dogg. Dabei bleibt er allerdings sowohl textlich als auch rhythmisch konsequent –  und überragend dünn.

Ohrwurm wider Willen

Diese Entdeckung stürzt mich dann direkt in ein dunkles Loch von äußerst absurden Star-Duetts, die sich allesamt an einer schmerzhaft dünnen Grenze zwischen herrlicher Selbstironie, ungewolltem Unwohlsein und wahrem Talent zu bewegen scheinen. Mein absoluter Favorit wird dabei ganz schnell das Feature des einzig wahren “Volksrock’n’rollers” Andreas Gabalier und All-Around-Talent Arnold Schwarzenegger, die mich mit “Pump It Up – The Motivation Song”  innerhalb von knapp vier Minuten  einfach mal aus meiner Winterdepression gerettet haben. Außerdem erinnere ich mich bei meiner intensiven Recherche schaudernd an Bibi’s blumigen Sommer-Hit “Wap Bap”, über den sich 2017 ganz Deutschland zu empören schien, den wir aber trotzdem einen ganzen Monat lang als Ohrwurm hatten.

Zwischen Autotune, Fame und waschechtem Indie

Aber warum reagieren wir eigentlich auf solche überraschenden Releases oft erstmal mit so viel Missgunst? Wenn man hört, dass ein*e Schauspieler*in oder Influencer*in jetzt auch noch Musik machen will, ist die erste Reaktion häufig ein wütender Aufschrei, verbunden mit dem Vorwurf von Gier und noch mehr Fame. Die bereits erfolgreiche Celebrity-Elite spielt sich in der Gesellschaft der Reichen und Schönen, zu der sie ja gehören, doch ohnehin nur selbst in die Karten. Mit genug Follower*innen, Geld und Autotune kann plötzlich jede*r zumindest durchschnittlich gute Musik machen, während die wirklich talentierten Indie-Acts gerade seit Beginn der Pandemie um Reichweite und Unterhalt bangen. Denn auch wenn Bezeichnung ‘Indie’ heutzutage fast inflationär Gebrauch zu finden scheint, ist es für die wirklichen Independent Artists – also die ohne Label und großes PR-Team – noch immer unfassbar schwer, Reichweite zu generieren. Egal wie viel Leidenschaft und Liebe dann in der neuen EP steckt, von den paar Cent durch Spotify-Streams und selbstgedruckten Merch lässt es sich dann meist leider doch nicht leben.

Systemkritik oder doch einfach nur Missgunst?

Natürlich kann man über die Vocal-Range Heidi Klums streiten und ob der kleine, all-female Indie-Act aus Berlin-Spandau die Millionen Klicks nicht vielleicht mehr verdient hätte. Aber leider scheint der Grund für diese empörten Aufschreie oft weniger auf flammende Systemkritik, sondern vielmehr auf eine allgemeine Missgunst der Gesellschaft zurückzuführen zu sein. Der Grund für unsere pauschale Abneigung scheint oftmals nicht der Aufruf zu einer Revolution der Musikindustrie, sondern vielleicht eine ganz individuelle Unzufriedenheit zu sein. Vielleicht ist es aber auch einfach mein ganz persönlicher Neid, dass Menschen mehr als nur ein Talent haben können, während ich es auch im vierten Lockdown noch nicht geschafft habe, mir ‘Somewhere Over The Rainbow’ auf der Ukulele beizubringen.

Manchmal kann’s auch klappen

Es gibt nämlich auch Beispiele für gelungene Übergänge: Idris Elba etwa, der normalerweise als Schauspieler in Serien wie Luther unterwegs ist, auf der neuen EP der australischen Band Lime Cordiale erst diesen Monat aber einfach eine unbestreitbar gute Performance abgeliefert hat. Aber man muss für solche Beispiele gar nicht mal unbedingt außerhalb Europas suchen: Denn auch in Deutschland gibt es einige Schauspieler*innen, die neben einer Karriere in Film und Fernsehen auch ganz soliden Indie-Rock machen. Jonas Nay zum Beispiel, der mit seiner Band Pudeldame letztes Jahr ein ganzes Album voller  Hymnen für “Kinder ohne Freunde” hingelegt hat, das nicht nur vom Sound, sondern auch durch die  gekonnte Selbstironie an Indie-Lyriker wie Bilderbuch erinnert.

Auf einen Chai mit Heidi – und Snoop Dogg

Vielleicht sollte man Schauspieler*innen und A- bis D-Promis also doch nicht prinzipiell ihre musikalischen Fähigkeiten absprechen, nur weil sie nicht schon immer Musik gemacht haben. Vielleicht gibt es wirklich einfach Menschen, die mehr als eine Sache richtig gut können. Und wer weiß, ganz vielleicht feiern wir im Sommer, wenn die Clubs endlich wieder öffnen und wir alle genug überteuerte Cocktails getrunken haben ja dann sogar zu “Chai Tee” mit Heidi.