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Berlinale – das Filmfestival auf der Suche nach einer neuen Identität

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Es ist wieder diese Zeit des Jahres – die Berlinale findet diese Woche statt (13. – 23. Februar), und zieht Tausende akkreditierte Branchenvertretende und filmbegeisterte Fans in die deutsche Hauptstadt. „Das größte Publikumsfestival der Welt“, denn es geht nicht nur um die eingeladenen Stars oder Fachleute wie in Cannes und Venedig, sondern – jeder kann sich ein Ticket holen und jeden Film im Kino schauen. Der Name „Berlinale“ darf also vielen bekannt sein, doch was macht das Festival aus?

Ein Filmfestival, das Deutschland vereinen sollte

Wir schreiben das Jahr 1950. Ganz Deutschland und insbesondere Berlin liegen in den Trümmern, die Stadt ist in vier Besatzungszonen geteilt. In einem Jahrzehnt wird die Mauer entstehen, die Deutschland nicht nur geographisch, sondern auch politisch weiter trennt. Was kann man also in dieser Situation unternehmen, damit es doch eine, selbst schmale, Brücke zwischen den beiden Welten gibt? Zum Beispiel wendet man sich an Kunst und Kultur, die bekannterweise keine Grenzen kennen – so ist die Idee der Berlinale 1950 entstanden. Im Sommer 1951 wurden in Westberlin die ersten Internationalen Filmfestspiele Berlins ins Leben gerufen; später kam die Abkürzung „Berlinale“ dazu. Zum Beginn ihrer Geschichte verfolgte die Berlinale einerseits das Ziel, ein Ort der Begegnung für das west- und ostdeutsche sowie internationale Publikum zu werden; andererseits wollte sie im Licht des beginnenden Kalten Kriegs als Schaufenster für die junge Bundesrepublik auftreten. So müsste ein kultureller Neustart in einem durch Krieg zerstörten Land ermöglicht werden. Doch Berlin wollte es anders als Cannes oder Venedig haben – zu dem Zeitpunkt bereits große und bekannte Filmfestivals für ein eher privilegiertes Fachpublikum. Die Berlinale sollte ein Festival werden, bei dem sich Menschen treffen, um gemeinsam Filme zu schauen, und zwar unabhängig von Herkunft oder Sozialstatus. Diesem Ziel bleibt das Festival bis heute treu. Es darf also jede Person für jede öffentliche Vorführung eine Karte kaufen, selbst wenn es große Filmpremieren mit Weltstars sind. Man muss nur schnell genug sein, denn die Tickets sind in der Regel innerhalb weniger Minuten ausverkauft.

Sektionen, Filme, Preise – was geht?

Bei den vielen Sektionen, Kinos und Preisen, die es auf der Berlinale gibt, kann man schnell den Überblick verlieren. Aber keine Sorge – es ist weniger kompliziert als es scheinen mag. Die wichtigste Sektion, das sogenannte Schaufenster des Festivals, ist der Wettbewerb. Jedes Jahr werden ca. 20 Filme für den begehrten Preis nominiert – den Goldenen Bären für den besten Film. Dazu kommen noch Silberne Bären für Regie, Drehbuch, Schauspiel und technische Leistungen, sowie zwei Jurypreise. Als A-Festival (so werden die größten und wichtigsten Filmfestivals der Welt bezeichnet) versucht die Berlinale, möglichst viele bekannte Namen für ihren Wettbewerb zu gewinnen, was allerdings immer schwieriger wird. Noch vor elf Jahren wurde das Festival mit Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ eröffnet; heute stößt man eher auf Produktionen, die in Cannes und Venedig abgelehnt wurden und deshalb nach Berlin kommen. Darüber hinaus gibt es immer einige Filme, die ihre Weltpremiere einen Monat vor der Berlinale auf dem Sundance Film Festival feiern und erst dann als europäische Premiere auf der Berlinale gezeigt werden. Das Festival und insbesondere sein Wettbewerb befinden sich also in einer gewissen Krise und suchen konstant nach einer neuen Identität, die mit dem Status des A-Festivals vereinbar ist. Neben dem Wettbewerb gibt es einige weitere Sektionen. Berlinale Special zum Beispiel ist ein Magnet für große Produktionen mit weltbekannten Stars; 2024 feierten „Love Lies Bleeding“ und „Spaceman“ ihre Premiere. Panorama ist die Publikumssektion, ein Liebling unter Festivalgästen, bei der viele Dokumentationen, aber auch Spielfilme laufen. Hier wird ein Publikumspreis vergeben, über den die Gäste entscheiden dürfen, indem sie nach dem Screening einen Stimmzettel abgeben. Im Forum läuft das sogenannte junge politische Kino: Das Ziel ist, unabhängige und oft nieschige Produktionen zu zeigen, die über wichtige und aktuelle Themen aus aller Welt sprechen. In der Sektion Generation werden Filme für junges Publikum gezeigt; in der Regel werden die Vorstellungen von Schulgruppen besucht und oft wird eine deutsche Übersetzung live eingesprochen, was für einen ungewöhnlichen Kinobesuch sorgen kann. Bei Classics und Retrospektive laufen Restaurationen der bekannten Klassiker und Genreperlen, die man für sich neu entdecken kann. Die Auswahl im Jahr 2025 bietet zum Beispiel einen neuen Blick auf die deutschen B-Movies aus den 1970/80er an. Schließlich gibt es die neue Sektion Perspectives, in der Debütfilme von jungen Filmemachenden gezeigt werden.

Das Festival im Licht der aktuellen Herausforderungen

Die Berlinale hat es dieses Jahr nicht leicht. Schon seit einigen Jahren steht das Festival aus verschiedenen Gründen in der Kritik. Letztes Jahr wurde schließlich das Festivalleitungsduo von Marietta Rissenbeek und Carlo Chatrian entlassen. Die neue Leiterin Tricia Tuttle hat damit eine schwierige Aufgabe übernommen – das Festival und sein Konzept neu zu gestalten, trotz der Budgetkürzungen und der grundsätzlich schweren Lage in der Kulturbranche. Der Termin im Februar im eiskalten und grauen Berlin steht vielen Vorsätzen zusätzlich im Wege. Es ist die Zeit kurz vor den Oscars, aber gleichzeitig das Frühjahr, weshalb viele große Premieren einen zeitgebundenen Nachteil für die nächste Filmpreis-Saison in Aussicht haben. Vielen Produktionen aus dem Frühjahr droht es nämlich, schnell in Vergessenheit zu geraten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Politisierung des Festivals. Die Berlinale sieht sich selbst als Raum für politisches Kino und kritischen Diskurs. Nach dem Eklat mit der israelisch-palästinensischen Dokumentation „No Other Land“ aus dem Jahr 2024 hat sich in dieser Hinsicht jedoch vieles geändert. In „No Other Land“ dokumentierten der israelische Journalist Yuval Abraham und der palästinensische Aktivist Basel Adra die systematische Besetzung der Dörfer und die Vertreibung ihrer Bewohnerinnen im Westjordanland seitens der israelischen Armee und der rechten israelischen Bewohner. Nachdem die Dokumentation mit dem Panorama-Publikumspreis bei der Preisverleihung ausgezeichnet wurde, appellierten die beiden Filmemachenden von der Bühne zu einem Ende der Apartheid. Die Uraufführung der Dokumentation sowie die Rede der Filmemachenden bei der Preisverleihung sorgten schlussendlich unter anderem für Antisemitismus-Vorwürfe an die Berlinale und das Festivalteam. Am Ende konnte das Festivalteam keine eindeutige Position beziehen. Bei der Festivalausgabe dieses Jahr sind die Folgen des Eklats noch immer zu spüren, weshalb beim Blick auf das Programm der Eindruck entsteht, dass umstrittene politische Themen insbesondere im Wettbewerb keinen Platz finden.

Auf welche Filme kann man sich dieses Jahr freuen?

Trotz aller vorhandenen Probleme dürften sich die Festivalgäste auf einige nennenswerte Filmvorführungen freuen. Im Rahmen des Berlinale Special feierten prominent besetzte deutschsprachige Filme wie „Heldin“, „Köln 75“ sowie der englischsprachige Film des deutschen Regisseurs Jan-Ole Gerster „Islands“ ihre Weltpremiere. An Hollywood-Stars hat es dieses Jahr auch nicht gefehlt: Die Teams von „A Complete Unknown“ und „Mickey 17“ kamen zu ihren deutschen Festivalpremieren nach Berlin. Im Wettbewerb liefen der neue Film von Richard Linklater „Blue Moon“ mit Ethan Hawke, Margaret Qualley und Andrew Scott, „Dreams“ von Michel Franco mit Jessica Chastain, „La Tour de Glace“ von Lucile Hadžihalilović mit Marion Cotillard, und weitere Produktionen von bekannten Arthouse-Regisseur*innen. Auch dieses Jahr glänzt die Berlinale mit ausverkauften Kinosälen, einer Festivalstimmung in der ganzen Stadt und Begegnungen zwischen Filmemachenden und dem Publikum. Da das Festival noch einige Tage dauert, darf man sich in Berlin über weitere Kinobesuche freuen.