Die Bundestagswahlen 2017 stehen vor der Tür. Daher hat sich bonnFM aus gegebenem Anlass mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Tilman Mayer getroffen, um die diesjährige Wahl zu reflektieren.
Im Interview ging es neben der AfD vor allem darum, wie die neuen Medien den Wahlkampf 2017 prägen, warum man heute eher Personen als Parteien wählt und was der Kanzlerkandidat der SPD in sein Tagebuch schreibt.
Die spannendsten Fragen und Antworten aus dem Gespräch haben wir hier für euch zusammengefasst. Für alle, die das komplette Interview hören wollen, haben wir das Ganze aber auch nochmal als Audiodatei bereitgestellt.
bonnFM: Herr Prof. Dr. Mayer, Haben Sie das Gefühl, dass die diesjährige Wahl eine besondere ist?
Mayer: Besonders an der Bundestagswahl 2017 ist vielleicht, dass die Differenz der Hauptkandidaten doch eine gewisse Begrenzung hat. Von daher ist die Spannung natürlich nicht so unwahrscheinlich stark und die Polarität ist nicht so gegeben. Daher meint man vielleicht, sie sei sehr langweilig, aber im Grunde wird hier über die Zukunft Deutschlands entschieden und das kann nicht langweilig sein.
bonnFM: Hat sich in den letzten Jahren an der Art der Wahlen in Deutschland etwas verändert?
Mayer: Ja, es gibt eine gewisse stärkere Personalisierung der Wahlen. Bisher waren die Parteien eigentlich mit ihrer Programmatik stärker im Zentrum gestanden. Zwischenzeitlich ist es so, dass diese bei den beiden Volksparteien nicht gerade austauschbar ist, aber jedenfalls eine große Nähe existiert, sodass es stärker auf die Persönlichkeiten ankommt, inwiefern die überzeugen. Wenn sie heute durch die Straßen fahren, sehen Sie hauptsächlich auch Köpfe, die hier einen Rolle spielen. Programmatische Aussagen gibt es auch, vielleicht mehr bei den Grünen als bei den anderen, aber die Personen überwiegen sehr stark, sodass auch in der Politikwissenschaft dieser Faktor mehr Beachtung findet, das ist schon zu erkennen in der 2017-Wahl.
Was verändert sich in der deutschen Politik?
bonnFM: Meiner Auffassung nach läuft der Wahlkampf stark über die Medien (Social Media, YouTube, etc.). Würden Sie sagen, dass die Medien dann auch automatisch mehr Aufmerksamkeit auf die Wahl ziehen? Hat das auch eine Auswirkung auf die Wahlbeteiligung?
Mayer: Das ist sehr schwer zu sagen. Gesehen werden die Dinge, aber ob dann auch mobilisiert wird, ist die andere Frage. Die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, hält sich ja in Grenzen. Bei der Bundestagswahl ist die Wahlbeteiligung noch am höchsten und es wird auch erwartet, dass man über die 70% kommt. Eine Wahlkampfzeit ist immer eine Zeit der hohen Mobilisierung, politischer Diskussion, Auseinandersetzung und Präsenz von Themen, und in sofern gibt es natürlich in diesem Vorlauf eine gewisse Tendenz, daraus dann zu schlussfolgern, dass die Leute dann doch wählen und eine gewisse persönliche Verpflichtung sehen, sich daran zu beteiligen. Andererseits gibt es natürlich auch viele, die von vornherein wissen, dass Sie nicht wählen gehen, egal wie stark vorher die Intensität der Auseinandersetzung war.
bonnFM: Könnte die deutsche Politik in der heutigen Zeit vielleicht etwas mehr „Pepp“ vertragen?
Mayer: Die beiden Naturelle der diesjährigen Kandidaten geben das nicht her. Kürzlich ist Heiner Geißler gestorben, das war ein Mensch, der sehr stark debattieren und polarisieren konnte. Der hat den Gegner fast so angegriffen, als ob er ein Feind gewesen wäre und hat damit natürlich auch Entsetzen ausgelöst. Dieser Clinch war wesentlich stärker und das mobilisiert natürlich dementsprechend dann auch stärker. Man kann aber auch sagen, weil das eben an der Spitze der beiden Lager fehlt, haben die kleineren Parteien größere Chancen, um auf sich aufmerksam zu machen. Während in einer Ära wie von Strauß, Brandt oder Geißler, die Anhängerschaft eine viel größere war und abgeholt werden konnte, ist es heutzutage z.B bei Frau Merkel eben so, dass sie den konservativen Part nicht erreicht, genauso wie die Sozialdemokraten oder die Linke.
Also von daher wünscht man sich einerseits stärkere Figuren, aber andererseits können wir mit den friedlicheren Formationen natürlich auch gut leben, denke ich.
bonnFM: Wie kann es sein, dass die AfD, trotz ihres immensen medialen Gegenwindes, den sie erfährt, immer mehr Wähler dazu gewinnt?
Mayer: Ja, das ist so eine gewisse Schwierigkeit, der Umgang mit der AfD und die Bereitschaft der so genannten etablierten Medien, sich gegen die AfD öffentlich in Stellung zu bringen. Das ist vielleicht für die Anhänger, oder potentiellen Anhänger, der AfD Wasser auf die Mühlen ihrer Auffassung, dass ohnehin in diesem Medienspektrum manipuliert wird. Deswegen kann man das durchaus als zweiseitig ansehen. Einerseits ist es nachvollziehbar, dass man über die gewisse Radikalität, die mit der AfD verbunden ist, sprechen muss. Andererseits, indem man diese Position aber grundsätzlich problematisiert, bestätigt man die Vorurteile, die es eben tatsächlich gegenüber dem Mediensystem in gewissen Kreisen gibt, nochmal zusätzlich. Und auch bei den Wahlumfragen ist es das Phänomen, dass wir auch da nicht die offen erklärte Sympathie vorfinden, sodass die Einschätzung der AfD, unter demoskopischen Gesichtspunkten, schwierig ist.
bonnFM: Welche Partei betreibt dieses Jahr den geschicktesten Wahlkampf?
Mayer: Auffallend ist natürlich sicherlich die FDP mit Lindner und der Fokussierung auf ihn, sowie die Art wund Weise, wie er in den Medien, auch in den Filmausschnitten die es da gibt, promotet wird. Andererseits natürlich auch die großen Köpfe, die in den letzten 14 Tagen plakatiert werden, wie Frau Merkel, aber auch Frau Wagenknecht. Das sind natürlich schon irgendwie eindrucksvolle Bezugspunkte, wo man tatsächlich auf den persönlichen Faktor, den wir vorhin schon angesprochen haben, rekurriert und rekurrieren kann. Aber es ist natürlich auch eine teure Angelegenheit, so etwas zu machen. Von der Wahlforschung her gesehen, ist es aber dennoch berechtigt, weil eben die eigenen Anhänger überzeugt werden. Wenn also Wagenknecht plakatiert wird, wird kein SPD oder CDU Anhänger davon überzeugt, sie zu wählen. Aber die Anhänger, oder potentiellen Anhänger der Linken werden dadurch motiviert zu sagen „wir identifizieren uns mit dieser Figur“. Deswegen macht es durchaus Sinn, auch im 21. Jahrhundert noch mit diesem „uralt Medium“ Plakat etwas anzufangen.
bonnFM: Haben Sie entscheidende Veränderungen in der Parteienlandschaft der letzten Jahre feststellen können?
Mayer: Naja, unser Dauerthema AfD ist schon etwas Neues. Das Phänomen tritt damit in Erscheinung, dass wir eben im konservativen Bereich, rechts der CDU, etwas haben, was wir über Jahrzehnte nicht hatten. Aber in dem Maße, in welchem die Anhänger oder die Führungsriege der AfD sich untereinander bekämpft, was ja eigentlich ein Virus innerhalb dieser Partei ist, dass das ständig vorkommt, damit würde sich die Partei erledigen. Andererseits ist es natürlich ein konservatives Potential und damit wäre die Bundesrepublik auch ein stückweit normaler im Vergleich zu den anderen Demokratien. Bisher hatten wir das eben nicht. Das kann sich ändern, wenn sich z.B in der „nach Merkel Zeit“ jemand konservatives innerhalb der CDU etablieren würde und damit sozusagen das Spektrum wieder nach rechts, wie das früher war, abdeckt. Ohne, dass die CDU dabei eine rechte Partei werden würde.
bonnFM: Welche Partei ist sich am längsten und ehesten Treu geblieben?
Mayer: Die Grünen sind z.B mit der Ökologie ihrem Spektrum sehr treu geblieben, aber das zeigt auch, dass das in der heutigen Zeit einfach nicht ausreicht, wenn man nur eine „One Issue Party“ Programmatik an den Tag legt. Die Liberalen sind auch eigentlich irgendwo auf ihrer Spur des Liberalismus geblieben, auch wenn sie sich unter Lindner natürlich neu haben erfinden müssen, weil sie vorher kritisch gesehen wurde. Auch die Linke hat sich in der Programmatik nicht verändert. Das ist vielleicht auch dort ein Problem, dass sie sich mit nur sehr begrenzten Themen, die offensichtlich dann doch nicht so viele Leute bewegen, beschäftigt. Unter Lafontaine war das etwas anderes. Da kommen wir wieder auf unser Thema der Persönlichkeit zurück. Es gibt eben Spielräume für Parteien, wenn sie entsprechende Zugpferde an der Spitze haben. Wenn sie das nicht haben, fallen sie zurück auf ihre treuen Thematiken. Es kommt aber eben einfach darauf an, dass man auch über das bisherige Stammwählerpotential hinaus Leute motiviert und fasziniert. Und das bringt uns wieder zurück zu den Personen.
„Der Schulz Hype war doch eher eine Fata Morgana“
bonnFM: Was hat die SPD beim diesjährigen Wahlkampf falsch gemacht?
Mayer: Zusätzlich zu den diesjährigen Themen, liegt es in erster Linie an dem Kandidaten, der von der Kompetenz her einfach nicht mit der Herausforderin mithalten kann. Aber es liegt, ähnlich wie bei Steinbrück, auch an der Programmatik, dass sich die Sozialdemokratie momentan zu schmal aufstellt. Das heißt, dass sie ihr Volksparteispektrum nicht abdeckt, sondern es vernachlässigt und so zusagen den kleinen Mann, oder die kleine Frau, allein ins Zentrum rückt. Natürlich bekennen sich viele zu diesem Bild des kleinen Mannes, aber die SPD müsste sich eigentlich sozusagen in die Mitte hinein viel mehr sozialisieren können und das eben auch bei den Facharbeitern und den Leuten, denen es durchaus gut geht, und die trotzdem eine soziale Ausrichtung haben. Das kommt einfach zu kurz und ist über diesen Kandidaten eben auch nicht vermittelbar. Daher entsteht dieses Resultat.
bonnFM: Wieso hat es Schulz nicht geschafft seinen „Hype“ zu halten? Und was würden Sie ihm raten?
Mayer: Dieser Hype ist auch für ihn, glaube ich, schwer erklärbar. In seinem Tagebuch, aus dem er letztens einen Auszug mitgeteilt hat, hat er selbst geschrieben, dass er auch nicht so ganz daran glaubt. Der Hype war der Situation geschuldet, dass man dachte „mit Gabriel geht das so nicht weiter“ und jetzt kommt ein neuer Messias. Es sind dann alle in diese Richtung geschwärmt und das war eben doch eher eine Fata Morgana und auch eine Überforderung des Kandidaten. Von daher ist es fast schon eine tragische Entwicklung.
bonnFM: also hat er keine Fehler gemacht?
Mayer: Man könnte es so sagen. Er ist der geblieben, der er immer war. Er war Präsident des europäischen Parlamentes und dort war er sprachlich und rhetorisch gefordert, aber er hatte nie ein entsprechendes Amt oder die Verantwortung für eine große Gruppierung und irgendwann merkt man das eben. Von daher könnte man sagen, dass Schulz einfach eine Fehlbesetzung war.
bonnFM: Denken Sie, dass die AfD am Sonntag drittstärkste Kraft wird?
Mayer: Das kann durchaus passieren. Einfach vor dem Hintergrund, dass die Befragung der Anhängerschaft, oder potentiellen Anhängerschaft, durch die Demoskopen ein schwieriges Geschäft ist. Im Moment wird sie, glaube ich, nicht auf Platz drei gesehen, aber es könnte durchaus passieren, dass das eintritt und dass das auch einer der Überraschungspunkte des Abends am 24. sein kann.
bonnFM: Vielen Dank Herr Prof. Dr. Mayer!
Oh und noch etwas: Die Bundestagswahl am Sonntag ist vielleicht eine der wichtigsten Wahlen der letzten Jahre. Informiert euch und geht wählen!