Jannik Brunke, von der Nordsee-Insel Juist, ist Newcomer im deutschen Pop. Auf Social Media teilt er mit Hunderttausenden, was in seinem Leben passiert. Wir wollten Jannik näher kennenlernen und waren bei seinem ausverkauften Konzert in Köln.
„Wer oder was soll ich sein?“ ist die erste Frage, die sich Jannik stellt, als er auf der Bühne steht. Dutzende stehen unmittelbar vor ihm und seinem Mikrofon. Einige Grüppchen singen die Fragestellung aus dem Lied „17 Kilometer“ mit. Dann nimmt Jannik Fahrt auf, steigert seine Energie, kommt in den Fluss und vereint die Grüppchen zu einem Schwarm. In den bunten Schwingungen von Janniks Stimme tanzt er und lässt sich mitreißen von den Wellen der akustischen Gitarrenklänge und Elektrobeats.
Für Jannik Brunke, 22 Jahre alt, ist es die erste eigene Tournee durch ganz Deutschland. Das achte Konzert an diesem Freitagabend im Kölner Kulturcafé Lichtung ist ausverkauft. Die Zusatz-Show am nächsten Tag ebenfalls. Die Kids, die hier in der Kellerbar abgehen, sind fast ausschließlich Teenager-Mädels und für viele ist es das allererste Konzert überhaupt. Sie kommen her, um Songs voller Sentimentalität, aber ohne kitschigen Beigeschmack, zu hören. Selbstzweifel und Fragen nach eigenen Zielen im Leben verarbeitet Jannik in poppigen Beats und elektronischen Sounds. Die Stimme steigert sich teilweise in Höhen, die wir sonst von Künstlern wie The Weeknd kennen. In ihren vielfältigen Facetten spiegelt sich Janniks enormes Talent wieder.
Ein Sänger wie aus dem YouTube-Bilderbuch
Das Zauberwort für Janniks bisherige Musiker-Laufbahn lautet: YouTube. Ein kleiner Pilzkopf, der noch vor seinem Stimmbruch Cover von seinen Lieblingssongs hochgeladen hat, tat hier den ersten Schritt in die Öffentlichkeit. Nein, nicht Justin Bieber ist gemeint. Der Junge, der sich in den Videos selbst auf der Gitarre begleitet, ist natürlich Jannik, als er 2012 seinen Channel startet. Die eigenen kleinen Produktionen wurden immer professioneller und dank ein paar Videodreh-Skills bildete sich schon bald eine eigene kleine Community.
Nach dem Abi, so die Legende, schloss er sich zuhause auf der Nordseeinsel Juist im Keller ein und machte dort ein Jahr lang Musik. Und wie es sich für einen YouTube-Artist gehört, ließ auch ein Auftritt bei den VideoDays im Jahr 2015 nicht lange auf sich warten. Die Convention war für einige Jahre der „Place to be“ für jeden aufstrebenden Internetstar. Und so verwundert es nicht, dass Idole wie die Lochis Jannik als Vor-Act für ihre Touren buchten. Dafür schmiss er sogar das Studium. Wenn ihr Jannik wie 160.000 andere User online folgt, seht ihr den Sänger über den Musiker-Alltag zwischen Freunden, Produktionsstudio und Konzerten vloggen.
Wie sich all das anfühlt, erzählt Jannik im Interview: „Als ich letztens in Trier ein Konzert hatte und auf die Bühne gegangen bin, dachte ich: Wow, ich mache das, was ich immer wollte. Früher stand ich vorm Spiegel und habe Robbie Williams nachgesungen. Heute stehe ich auf meiner eigenen Bühne und singe meine Songs.“
Von den Coversongs in „Richtung Ich“
Den Coversongs vom Beginn seiner YouTube-Karriere hat der Wahl-Berliner abgeschworen: „Als ich die Coversongs gemacht habe, wusste ich noch nicht, wer ich bin und was ich eigentlich will, wofür ich stehe.“ Im September 2017 ging es daher für ihn auf Weltreise. Auf die Reise „Richtung Ich“, wie er sagt und wie er auch sein aktuelles Album betitelte. Nordamerika, Singapur und Inseln im Südpazifik waren einige Stationen.
„Ich wollte unbedingt wieder aus Berlin raus, wo es mich ja zuvor hingetrieben hat, weil mir alles zu viel wurde. Ich habe diesen Blick um mich herum verloren, weil ich nur im Studio war und nur Musik gemacht habe. Auf dieser Reise habe ich dann gelernt, was es da draußen überhaupt noch gibt“, schildert er seine Beweggründe. Mit ihm unterwegs waren zwei Freunde, die eng in die Produktion seiner Musik eingebunden sind. Dabei wurde auch immer fleißig für Musikvideos gedreht. Der Zeitpunkt der Reise reiht sich ein in eine Abfolge von neuen Dingen, die Jannik ausprobiert. Etwa das Vloggen, mit dem er 2016 begann, ein persönliches Internet-Tagebuch und die Touren mit anderen YouTubern.
Die Reise scheint nicht nur ein Selbstfindungstrip gewesen zu sein, Janniks musikalisches und öffentliches Profil sollten geschärft werden. Ein Konzept dafür hat das Label mit ihm ausgearbeitet und ihn um die Welt geschickt. Es bleibt ein wenig fragwürdig, ob eine Reise, wenn sie durchdacht geplant ist und in der man im Hinterkopf hat, etwas abliefern zu müssen, existenzielle Fragen beantwortet.
Noch ein YouTuber, der zum Goldesel gemacht wird?
„Das klingt alles so hart und nach Business, aber bei meinem Label sind Menschen, mit denen ich gut befreundet bin und mit denen ich auch einen Trinken gehe. Wir haben eben zusammen dieses Konzept entwickelt“, erzählt Jannik.
Ein Fake ist er sicher nicht. Das wird während des Konzerts deutlich. An manchen Stellen kann er einem wirklich leid tun. Er sucht Möglichkeiten, mit dem Publikum zu reden, Geschichten zu erzählen, die Entstehung von Songs zu schildern. Aber nicht bei allen stößt er damit auf Verständnis. Nicht begeistert, sondern übertrieben laut fahren ihm einige Mädchen frech ins Wort und haschen wild nach Aufmerksamkeit. Jannik lässt sich dann nicht viel anmerken und fängt mit dem nächsten Song an. Was soll er machen? Ihm ist bewusst, dass er auch eine Projektionsfläche darstellt. In seinem Internet-Tagebuch äußert er sich sehr persönlich über Momente, die ihn nachdenklich stimmen. In denen er von Zuschauern bedrängt wurde, Menschen nur ein Foto mit ihm machten, um sich vor anderen darzustellen. Das geht sicher vielen bekannten Künstlern so. Und Jannik reflektiert und macht diese Gefühle online direkt zugänglich. Ähnlich wie hier öffnet er sich vielmals in seinen Songs aus „Richtung Ich“ und in persönlichen Gesprächen. Das wirkt dann sehr ehrlich.
Mehr Kuschelkurs als Rumgekreische
Am Freitagabend sind nicht alle Momente so belastet und die schönen Zeiten überwiegen. Die Intimen, in denen der Künstler von der Bühne klettert und im Kreis seiner Fans unveröffentlichte Lieder singt und auch seiner Familie, die an diesem Abend im Publikum ist, liebevolle Grüße zuruft. Wer Jannik zuvor noch nicht kannte, wird hier zumindest ein kleines bisschen zum Fan.
Der „Dude von der Insel“, wie er sich selbst nennt, ist einer, der das machen will, was er liebt – Musik. Es gibt Linien, mit denen Jannik gezielt gepusht und ihm ein Image verpasst wird. Aber das Konzept passt sich ihm und seinem ehrlichen, tiefgründigen Charakter an. Es ist mehr ein Trichter, durch den Jannik seine Lebenserfahrungen und persönlichen Reflexionen nach Außen trägt. Letztendlich sucht auch er nur die Antwort auf die Frage: Wer oder was soll ich sein?