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Bild: Alamode Film

„Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ – Film als Form des Aufstands gegen das Regime

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Ist Kunst heutzutage in der Lage, einen politischen Widerstand gegen ein autoritäres Regime zu leisten? Um etwas präziser zu sein, kann ein Film dafür sorgen, dass das Regime in eine unsichere Position gerät? „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ von Mohammad Rasoulof aus dem Iran beweist mit aller cineastischer Kraft, dass das durchaus möglich ist.

„Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ ist ein iranisches Drama des Regisseurs Mohammad Rasoulof, der unter anderem für „Doch das Böse gibt es nicht“ bekannt ist – ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären auf der Berlinale 2020. Im Mittelpunkt seines neuen Films steht eine Familie in Teheran: Der Vater arbeitet als Richter für den Staat, seine Frau kümmert sich um den Haushalt und die zwei Töchter studieren. Schnell merkt man, dass die Lebensrealität der Eltern und der Töchter weit auseinander geht. Der Vater ist ein Patriarch, der dem autoritären Staat als Richter dient. Die beiden Schwester haben aber eine kritische Position und informieren sich über das Geschehen lieber in sozialen Netzwerken. Als die iranische Protestbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zu der Filmkulisse wird, lassen sich zwei verschiedene Perspektiven erkennen – des Vaters als Verkörperung des Staats gegen die unterdrückte Gesellschaft – seine Frau und Töchter – und damit die Spaltung innerhalb der Familie. Wir begleiten nun alle Familienmitglieder bei ihren Entscheidungen gegen oder für das Regime. Damit endet die Geschichte allerdings nicht – es ist erst der Anfang. Als die Dienstwaffe des Vaters aus dem Haus verschwindet, schlägt der Film eine komplett neue Richtung ein – bis sich das Geschehen so aufdreht, dass es kein „Zurück“ mehr gibt. Denn wenn zu Beginn einer Geschichte eine Pistole gezeigt wird, muss diese bekannterweise auch abgefeuert werden.

Wenn die Filmhandlung zu einer eigenen Realität wird

Regiearbeit in heutigem Iran ist grundsätzlich schwer. Viele Filmschaffende werden festgenommen und nicht wenige müssen im Exil leben, um einer Gefängnisstrafe in ihrer Heimat zu entgehen. Auch Mohammad Rasoulof musste bereits mehrmals ins Gefängnis – trotzdem setzte er sich nach jeder weiteren Entlassung sofort an die Arbeit. „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ wurde strikt geheim mit einem kleinen Team gedreht – die Premiere musste er beim Filmfestival in Cannes feiern. Als die iranische Regierung davon erfahren hat, kam schnell die Anordnung, Rasoulof und sein Team festzunehmen. Denn man darf die politische Situation im Land nicht kritisieren, insbesondere keinen ganzen Film ohne die Genehmigung der zuständigen Behörden drehen. Bis zum Premierentag wusste niemand, ob die Filmschaffenden den Iran verlassen können. Mohammad Rasoulof musste fliehen – sein Pass wurde von den iranischen Behörden beschlagnahmt, er selbst musste sich zu Fuß über zahlreiche Dörfer in Richtung Grenze begeben, 28 Tage lang. Mit Hilfe des deutschen Konsulats konnte er schließlich ausreisen und ein Asyl in Hamburg beantragen. Bei der Premiere in Cannes zeigte er Porträts der Schauspielenden, die es nicht aus dem Iran geschafft haben. Reporter*innen berichteten, dass das Publikum nach der Premiere über 15 Minuten lang applaudierte.

Viel mehr als seine dramatische Produktionsgeschichte

Junges iranisches Kino hat viel zu bieten: Mit solchen Festivalhits wie „Holy Spider“, „Tatami“ oder „My Favourite Cake“, um nur ein paar prominente Beispiele der letzten zwei Jahre zu nennen. Diese Aussage gilt auch für „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ – mit einem Spezialpreis in Cannes ausgezeichnet, konnte Rasoulof das Kinopublikum überall auf der Welt mit seiner Kompromisslosigkeit gegenüber dem iranischen Regime beeindrucken. Dies aber nicht nur aufgrund seiner dramatischen Produktionsgeschichte, auch wenn dahinter eine gewisse Ironie steckt: Der Regisseur dreht einen Film über das Gerichtssystem, das ihn zur Gefängnisstrafe verurteilt hat. Viel mehr liegt es an der Erzählungsform: Die Geschichte bleibt bis zum letzten Moment sehr spannend und lässt das Publikum nicht los. Die Saat wird zu Beginn des Films gesät – die drei Frauen, die eigentlich von ihrer Position im Rahmen des Systems profitieren, müssen lernen, gegen das Patriarchat und das Regime aufzustehen – so geht die heilige Saat am Ende auf und rundet die Narrative ab. Dafür sorgen nicht zuletzt das meisterhafte, bewegende Schauspiel und der dynamische Schnitt, der Filmaufnahmen mit den echten Protestaufnahmen von den Straßen Irans kombiniert. Am Ende entsteht ein mitreißender, mutiger Film, der die Lage im heutigen Iran darstellt, und uns allen zeigt, dass Courage viele Formen und Gesichter haben kann.

„Die Saat des Heiligen Baums“ ist eine deutsch-französische Co-Produktion und deshalb der deutsche Oscar-Beitrag in der Kategorie „Best International Feature Film“, der bereits in der Longlist aufzufinden ist. In den deutschen Kinos – unter anderem im Rex in Bonn – ist „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ ab dem 26. Dezember zu sehen.