Die Zeit der klassischen Vampirfilme liegt schon Jahrzehnte hinter uns – aber Robert Eggers schenkt auch unserer Generation mit „Nosferatu – Der Untote“ die klassische Vampirgeschichte, auf die wir alle gewartet haben.
Wer um 2000 geboren wurde, hatte in seinem Leben zwar keinen Mangel an Vampiren auf der Kinoleinwand. Mit dem erfolgreichen Twilight-Franchise, den Underworld Filmen, „Dark Shadows“ oder zuletzt „Renfield“ oder „Die letzte Fahrt der Demeter“ waren Vampire schon immer ein großer Teil der Popkultur und haben die GenZ seit der Kindheit begleitet. Allerdings haben diese Inhalte eines gemeinsam: Sie wollen den Vampir-Mythos neu erzählen. Was wäre, wenn Vampire glitzernde Teenager wären? Wie sähe eine Vampir-WG a la 5 Zimmer Küche Sarg aus? All diese Adaptionen wollen modern, anders und innovativ sein. Denn die klassische Bram Stoker-Geschichte gab es schon zu oft. Aber seien wir mal ehrlich: Wie viele von euch haben „Dracula“ (1959) mit Christopher Lee oder Friedrich Murnaus‘ Stummfilm „Nosferatu“ gesehen?
Wisborger Vampire Vibes
Hätte man mich gefragt, wie ich mir den perfekten Vampirfilm vorstelle, dann wäre die Antwort sehr nah an Robert Eggers „Nosferatu“ gewesen. Bei der Atmosphäre redet er nicht um den heißen Brei herum, sondern trifft genau ins Schwarze. Eine viktorianisch-gotische Welt, die genau die Stimmung vermittelt, die es für einen Vampirfilm braucht. Visuell ist der Film absolut großartig. Von den beklemmenden Straßen der Küstenstadt
Wisborg, über das verschneite Transsilvanien, bis hin zu den Gemächern der Familie Harding – so gut wie jeder Shot ist ein verstörendes Kunstwerk. Die Kostüme sind nicht nur sehr stylisch, sondern wirken auch historisch akkurat und helfen dabei, sich ins Jahr 1883 zu versetzen. Die Szenen draußen sind in melancholisch kühlen Tönen gehalten, während drinnen der warme Kerzenschein geheimnisvolle Schatten an die Wand wirft. Die Welt von „Nosferatu“ wirkt kalt, hoffnungslos und unangenehm. Passenderweise spielt der Film auch um Weihnachten herum, sodass einen die Stimmung auch nach dem Verlassen des Kinosaals nicht loslässt. Nicht nur das Szenenbild überzeugt, sondern auch der Sound. Seien es die Hufe der Pferdekutsche, das gemeinsam mit der Musik anschwellende Stöhnen von der besessenen Ellen oder ein gewisses…Schluckgeräusch, das ich leider nicht mehr vergessen kann – auch auditiv ist der Film sehr stark.
Und zu guter Letzt sorgen die Schauspieler:innen dafür, dass sich dieser Film auch auf über zwei Stunden nicht wirklich zieht. Insbesondere Lily-Rose Depp gibt hier absolut alles und fesselt in gleich mehreren Szenen das Publikum mit ihrer Performance. Da sich ihr Körper immer wieder auf unnatürliche Weise dreht und streckt, fragt man sich schnell, ob dort mit CGI gearbeitet wurde – es ist aber tatsächlich alles echt. Auch der Rest des Casts kann sich sehen lassen – von Nicholas Hoult, der den verschreckten, aber trotzdem entschlossenen Thomas spielt, über Willem Dafoe, der als Professor von Franz sehr gekonnt zwischen Comic Relief und Mentor Figur balanciert.
Bild: Universal Pictures
Ein neuer OrLook
Es gibt nichts Schlimmeres als einen unglaubwürdigen Horrorfilm. Wenn sich der Protagonist entgegen jeder Logik einfach unfassbar dumm und naiv verhält dann leidet auch das ganze Narrativ. Insbesondere Graf Orlok stand schon immer auf dem Prüfstand, denn als blasser Glatzkopf mit spitzen Hasenzähnen sieht er zwar monströs aus, aber gibt keinen besonders glaubwürdigen Immobilienkäufer ab. Bill Skarsgård hat sich schon mit seiner Pennywise-Performance im Horror-Genre etabliert und beweist auch mit Graf Orlok, dass er ein besonderes Händchen dafür hat, Monster zu spielen. Der neue Orlok hat ein besonderes Merkmal – er trägt Schnäuzer. Wie auch im echten Leben ist dieser Bart sehr umstritten: Entweder man liebt oder man hasst ihn. Für mich macht er die Figur aber deutlich realistischer, denn in schlechtem Licht sieht diese wandelnde Leiche fast aus wie ein sehr alter, ranziger Mann. Der neue Orlok erinnert deutlich mehr an Dracula-Inspiration Vlad Ţepeş, der einen ähnlich schicken Schnauzer rockte. Sein Kostüm ist den Gewändern alter transylvanischer Adeliger nachempfunden und er spricht die ausgestorbene Sprache “Dakisch”, die ein Sprachwissenschaftler versucht hat zu rekonstruieren. Seine rasselnde Stimme und sein schwerer Dialekt im Englischen können zuerst etwas übertrieben wirken.
Wenn man aber bedenkt, dass er ein alter, rumänischer Lord sein soll, dessen Muttersprache nicht englisch ist, dann kann man schon nachvollziehen, dass Thomas nicht sofort die Beine in die Hand nimmt. Auch alberne Szenen der Vorgänger, wie das Nuckeln an Thomas Finger nach einem Schnitt (und das gleich am ersten Abend) wurden hier zum Glück weggelassen. Für mich bringt Bill Skarsgård bis jetzt den gleichzeitig authentischsten und furchteinflößendsten Vampir überhaupt auf die Leinwand.
Bild: Universal Pictures
Dracula = Nosferatu?
Wer sich schon einmal, ähnlich wie ich, durch Bram Stokers „Dracula“ gekämpft hat (keine Empfehlung an dieser Stelle), dem ist vielleicht etwas Interessantes aufgefallen. „Nosferatu“ ist ein Abklatsch von „Dracula“, und damit auch eine Geschichte, die fast alle von uns kennen. Auch ich wusste bis vor Kurzem nicht, dass Friedrich Murnau, der Regisseur des originalen „Nosferatu“ (1922) damals massiven Urheberrechtsbetrug begangen hat, indem er einfach die Geschichte von Bram Stoker leicht abgeändert hat. Die Handlung spielt nun in Deutschland statt in London, die Figuren heißen anders, werden teilweise zusammengelegt und Graf Dracula wird – einhergehend mit einer Typveränderung, von der selbst Heidi Klum beeindruckt wäre – zu Graf Orlok.
Zentral ist weiterhin die Reise von Thomas Hutter nach Transilvanian, wo er einem alten Grafen mit verdächtig langen Fingernägeln ein Anwesen in seiner Heimatstadt Wisborg verkauft. Da lebt auch Thomas Frau Ellen, die leider schon als junge Frau mit einem besonderen Gespür fürs Übernatürliche Bekanntschaft mit Graf Orlok gemacht hat, als sie “auf der Suche nach Nähe” (aka horny) einen Schutzengel angerufen hat, um ihr Trost und Zärtlichkeit zu spenden. Na gut, wir waren doch alle schon mal an dem Punkt. Als Orlok nach Wisborg kommt, bringt er gleich mal die Pest mit und stellt ein Ultimatum an Ellen – sie muss sich ihm innerhalb von drei Nächten hingeben, oder er wird auch Thomas umbringen. Der hat sie übrigens mehr oder weniger unwissentlich für einen Sack voll Gold vorher an den Grafen verscherbelt.
Bild: Universal Pictures
Von Frauen und Monstern
Der Film ist dem Grundmaterial sehr treu, konzentriert sich aber auch auf eigene Themen. Zentral wäre da der Diskurs über Leidenschaft vs. Liebe. Graf Orlok, der nicht nur wegen seinem neuen Schnauzer als ugly-hotter Fuckboy durchgeht, repräsentiert den niederen sexuellen Trieb und gibt sich selbst den Spitznamen “Appetit”. Thomas steht als loyaler Ehemann zwar auf den ersten Blick für die wahre Liebe, ist aber meistens auf monetäre
Stabilität fixiert. Er gibt Ellen zwar Halt in der patriarchalen Gesellschaft, scheint aber ihre Libido nicht so wirklich zu akzeptieren. Immerhin wurde die Frau im 19. Jahrhundert – und seien wir ehrlich, leider auch heute oft noch – nicht als sexuell freies Individuum gesehen, sondern als Hausfrau, Gebärmaschine und Eigentum. Und obwohl die Männer in ihrem Umfeld, wie Thomas Freund Friedrich oder Dr. Sievers, keine vernarbten Monster sind, nehmen sie Ellens Bedenken nicht ernst, versuchen ihre Lust zu unterdrücken oder zu ignorieren und beschäftigen sich lieber mit Geld, Verträgen und Held spielen, als mit ihrem Wohlempfinden.
Als wichtiger Knotenpunkt fungiert Prof. von Franz, der sich in seinen Studien dem Okkulten zugewandt hat und somit in der aufgeklärten Gesellschaft der frisch gebackenen Moderne ein Außenseiten ist. Das hat er mit Ellen gemeinsam, weshalb die beiden Figuren eine ganz
eigene Ebene miteinander haben. Von Franz verbietet sofort, Ellen nachts in ein Korsett zu schnüren und mit Opiaten vollzupumpen, sondern akzeptiert ihre übernatürliche Gabe und sieht darin den Weg, um die Stadt zu retten. Die “aufgeklärte” westliche Welt im Jahre 1883 bietet hier ein perfektes Setting, um auch über den Konflikt von Aberglaube und Wissenschaft zu sprechen. Denn in seinem eigenen Heimatland, dem ruralen und sehr religiösen Rumänien, hat Graf Orlok nicht so viel Macht wie im modernen, bürgerlichen Deutschland. Dort, wo alles jenseits der Empirie schnell belächelt wird – so auch Ellen, deren Visionen und Intuition von niemandem ernst genommen werden. So ist der Film auch ein Kommentar auf die pseudo-aufgeklärte Moderne, die oft auf ein männlich dominiertes Weltbild zurückgeht und letztendlich von Graf Orlok als Symbol des Unerklärlichen zerrüttet wird.
Bild: Universal Pictures
Das Ende: feministisch oder rückschrittlich? (Spoiler!)
Wer „Nosferatu“ schon gesehen hat weiß, dass Ellen am Ende des Films stirbt, um Wisborg und ihren Mann Thomas zu retten. Dieses Ende entspricht auch „Nosferatu“ (1922) und geht auf ein schon mittelalterliches Narrativ zurück. Denn weil eine Frau ja nicht selbst kämpfen kann, ist die heldenhafteste Tat die ihr möglich ist das Selbstopfer. Die Männer überleben, die Frau stirbt. Schade, denn sie hätte es sicherlich nicht verdient.
Mit Blick auf die Metaphern, kann dieses Ende aber schon emanzipatorischer gelesen werden. Während die Menners mit Fackel und Pflock erfolglos Vampirjäger spielen, ist Ellen diejenige, die (mithilfe von Prof. von Franz) den einzigen Ausweg aus der Situation erkennt. Dabei befreit sie sich von den Zwängen denen sie auch schon in ihrem Alltag unterlag – gefangen im Bund der Ehe, mit einem Mann der Finanzen über Zufriedenheit stellt und den einfältigen Herren der Wissenschaft ausgeliefert. Sie lädt Orlok zu sich ein, schläft mit ihm und erkennt damit auch ihre gesellschaftlich geächtete Lust an. Dabei ist sie am auch Ende diejenige, die Orlok noch ein letztes Mal auf ihre Brust drückt, um ihn endgültig zu besiegen und zeigt damit nochmal ihre Handlungsmacht. Das Ende bleibt ambivalent und erinnert an die Rolle der Frau in der Gesellschaft – im 19. sowie im 21. Jahrhundert. Und egal ob man den Tod als Emanzipation oder Bestrafung interpretiert, scheint dieser für Ellen der einzige Ausweg aus der Unterdrückung zu sein.