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Bild: bonnFM

Digitaler Marathon – blöd gelaufen?

Lesezeit: 3 Minuten

Als der Lockdown im Frühjahr begann, entschied man sich erstmal den Bonner Marathon in den Oktober zu verschieben. Doch ein halbes Jahr später ist das große regionale Event nach wie vor nicht mit den Hygienemaßnahmen vereinbar. Stattdessen wird auf ein neues Konzept gesetzt: Vom 02.10 bis zum 11.10, etwas länger als eine Woche, haben Läufer die Möglichkeit sich eine Marathon-App herunterzuladen, die an dem selbst ausgewählten Renntag Zeit und GPS-Signal misst. So soll jeder seinen eigenen Lauf hochladen. Alternativ können auch Resultate der eigenen Lauftrainings-App eingereicht werden. Weil die Resultate nur schwer überprüft werden können, wurde auf den Sportgeist gesetzt.

Auf der Webseite des Deutsche Post Marathons ist, wahrscheinlich auf letztes Jahr bezogen, von 14.000 Teilnehmern die Rede. Eine solche Zahl bleibt dieses Jahr aus. Kurz vor der Hälfte des digitalen Laufevents vermerkt der Veranstalter 1000 Anmeldungen. Vielleicht es auch einfach die Freude an einem großen Event teilnehmen zu können, die vielen fehlt und von der Teilnahme abhält.

Marathon auf Knopfdruck

Eigentlich hatte ich auch dieses Jahr vorgehabt im April an der Startlinie zu stehen. Doch meine Anmeldung verläuft anders, als ich es mir noch im Frühling ausgemalt hatte: Statt mich in der Innenstadt in eine Liste zu tragen und loszulaufen, sitze ich Anfang Oktober auf meinem Bett, durch den Play Store scrollend.

Die App der Deutschen Post ist schnell gefunden, 56 Megabyte sind mein Tor zum diesjährigen Rennen. Ein ganzer Marathon wird es dieses Jahr nicht, ich schreibe mich für den Halben ein. Entgegen gemischter Bewertungen, die unter anderem das Design der App kritisieren, gelingt bei mir auch die Anmeldung ohne Probleme. Eine Mail und einen Namen muss ich angeben, Alter und Geschlecht können optional ebenfalls eingegeben werden. Danach bleibt nur noch ein Button: „Start“. Den drücke ich morgen, entscheide ich, am selbstgewählten Lauftag.

Etwas antiklimatisch ist das schon, wirkliche Spannung kommt nicht auf. Der „Virtual Run“ fühlt sich nicht wie eine vollwertige Alternative an, doch das geht auch schlecht. Zwar laufe ich wirklich nur als Hobby, aber auch ich kenne das zusätzliche Gewicht von Ergebnissen in normalen Marathonevents.

Über das Gewicht des „große Tages“

Wer eine neue eigene Bestzeit ablegen möchte, der kann das zwar privat in einem eigenen Trainingslauf, doch da solche Zeiten nicht überprüft werden können, setzt man viel auf die Zeiten in einem echten Laufevent. Es zählt was unter echten Bedingungen am Tag des Rennens gelaufen wird, kein Versuch unter Idealbedingungen. Das ist der Grund warum die offizielle Marathon Bestzeit zum Beispiel nach wie vor knapp über 2 Stunden ist, obwohl Rekordhalter Eliud Kipchoge in einem eigens dafür organisierten Lauf bereits die 1:59:40 schaffte. Nur die Zeit, die am echten Wettkampftag, trotz Wetter oder Tagesform abgeliefert wird, setzt sich durch.

Weniger Nervenkitzel

Dass man mit dem Virtual Run eine eigene Zeit und Strecke auswählen kann ist zweifelsohne praktisch, aber weil die Resultate nicht wirklich überprüft werden können und demensprechend nicht dasselbe Gewicht tragen, fühlt sich das Event eher wie Training an. Oder bin ich einfach zu ehrgeizig? Eigentlich brauche ich so eine „offizielle“ Zeit ja nicht, mein Tempo ist bei weitem nicht das eines Weltsportlers, aber trotzdem, das Gefühl bleibt. Der Gedanke den Lauf einfach abbrechen zu können beruhigt, genauso aber fehlt der Nervenkitzel der aufkommt, wenn man vor Menschenmassen innerhalb der Absperrungen steht und das Gefühl hat, es gibt kein Zurück.

Das etwas andere Jubiläumsfeeling

Und doch, die Höhen des traditionellen Formats hatte man sich letzte Woche bestimmt nicht als Ziel gesetzt. Der Virtual Run ist ein Versuch, trotz der Situation auch dieses Jahr, dem 20. Jubiläum des Laufs, ein Angebot präsentieren zu können. Jenen Läufern, die sich alljährlich auf das Event freuen, auch jetzt eine Möglichkeit und Herausforderung zu bieten. So setzte auch Köln vergangene Woche auf ein digitales Konzept. Der größte Marathon Deutschlands, sonst immer für den September in Berlin angesetzt, findet dieses Jahr hingegen gar nicht statt.

Herbstliche Rheinvista und die eigene Zielgerade

Für mich verläuft das Rennen angenehm. Mit einem Freund mache ich mich Sonntagnachmittag auf zum Rhein. Das Herbstwetter ähnelt dem, was man auch im April erlebt hätte – kühle Temperaturen, die sich zum Laufen bestens eignen. Immer mal wieder sieht man andere Läufer. Von außen kann man nicht erkennen ob sie vielleicht auch am Virtual Run teilnehmen. Die mir bekannte Strecke am Flussufer ist wie immer fantastisch. Das Ganze fühlt sich zwar wie ein Trainingslauf an, aber auch ein Trainingslauf kann schließlich Spaß machen. Ich gebe trotzdem mein Bestes und komme nach einem Sprint am Ende, nach Luft schnappend, wieder zuhause an. Ein Shirt und eine Medaille gibt es auch dieses Jahr. Eine Woche lang konnte man sie sich in der Innenstadt abholen, das habe ich bereits vor dem Rennen gemacht. Verdient habe ich sie mir erst jetzt. Euphorie kommt auf. Dem Bonner Marathon kann nicht abgesprochen werden, es versucht zu haben. Per App und ohne all die ZuschauerInnen ist zwar nicht das Gleiche, aber es macht Laune, in Zukunft wieder auf der richtigen Rennstrecke zu stehen. Der 20. Marathon in Bonn hatte auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal. ​